Christoph Tepperberg
Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, herausgegeben von H. G. Adler, Hermann Langbein und Ella Lingens-Reiner, 7. korrigierte und aktualisierte Auflage mit einer Einführung von Katharina Stengel.
Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 2020.
Taschenbuch, 341 Seiten, Euro 22,70.-
ISBN: 978-3-86393-097-4 (Paperback)
ISBN: 978-3-86393-529-0 (eBook)
Herausgeber des Bandes sind drei prominente Auschwitz-Überlebende: H. G. Adler (1910–1988), ein österreichischer, dann in London lebender Schriftsteller und viel publizierender Zeitzeuge. Trotz KZ-Haft in Theresienstadt, Auschwitz, Birkenau, Niederorschel und Langenstein-Zwieberge überlebte er als einziger seiner Familie den Holocaust. Aufgrund einer Namensgleichheit mit dem Eichmann-Mitarbeiter SS-Sturmbannführer Hans Günther Adler führte er ab 1945 nur noch die Initialen seiner Vornamen. Hermann Langbein (1912–1995), ein österreichischer Publizist und kommunistischer Widerstandskämpfer, Häftling in den Lagern Dachau, Auschwitz und Neuengamme, Mitbegründer des Internationalen Auschwitzkomitees und Sekretär der Österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz, trat als Zeuge in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen auf und schrieb mehrere Bücher über Auschwitz. Ella Lingens-Reiner (1908–2002), eine österreichische Ärztin und Juristin, versteckte Juden vor der Gestapo, wurde verraten und nach Auschwitz deportiert. Sie publizierte und referierte über ihre Lagererfahrungen und wurde 1980 von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet.
Die über das Konzentrationslager Auschwitz erschienene Literatur füllt heute ganze Bibliotheken. Als 1962 der Sammelband »Auschwitz. Zeugnisse und Berichte« erstmals erschien, war das Buch eine Pionierleistung: die erste Publikation, die der deutschsprachigen Leserschaft ein umfassendes Bild von Auschwitz vermittelte. Inzwischen sind die Herausgeber des Bandes längst verstorben, von den Autoren (Zeitzeugen) nur noch ganz wenige am Leben. Umso wichtiger ist die von Katharina Stengel verfasste »Einführung zur Neuausgabe« mit den Hintergründen, Entstehungsgeschichte und dokumentarischer Bedeutung der »Zeugnisse und Berichte«. Der Band ist thematisch in sieben Abschnitte gegliedert. Diesen Abschnitten sind 40 »Zeugnisse und Berichte« zugeordnet. In den Texten wird die zermürbende Zwangsarbeit, der tägliche Kampf ums Überleben, die fortwährenden Schikanen der SS-Mannschaft, die Grausamkeit der Kapos, Folter und Hinrichtungen, Vernichtung in Auschwitz-Birkenau, aber auch Widerstand und Selbstbehauptung von Häftlingen gegenüber ihren Peinigern dokumentiert.
Der überwiegende Teil der Autor/innen sind Auschwitz-Überlebende, u.a. der polnische Mediziner Tadeusz Paczuła (1920–2000): »Die ersten Opfer sind die Polen«, der polnische Häftling Wojciech Barcz: »Die erste Vergasung«, die böhmisch-jüdische Tänzerin Grete Salus geb. Gronner (1910–1996): »Frauen in Auschwitz«, Ella Lingens-Reiner (1908–2002): »Selektion im Frauenlager«, der österreichische Arzt und Sozialist Otto Wolken (1903–1975): »Chronik des Quarantänelagers Birkenau«, der 1929 in Mährisch-Ostrau geborene israelische Künstler Jehuda Bacon: »Mit der Neugier von Kindern«, die 1929 in Prag geborenen Zwillinge Zdeněk und Jiří Steiner: »Zwillinge in Birkenau«, die 1926 in Stuttgart geborene Sintiza Elisabeth Guttenberger geb. Schneck: »Das Zigeunerlager«, Hermann Langbein (1912–1995): »Im Bunker« und »Die Kampfgruppe Auschwitz«, der polnische Häftling und Blockschreiber Jan Pilecki: »Standgericht«, der niederländisch-jüdische Psychiater Eduard de Wind (1916–1987): »Der Experimentierblock«, der polnisch-jüdisch-französische Komponist, Arrangeur und Leiter des Lagerorchesters Simon Laks (1901–1983): »Musik aus einer anderen Welt«, der polnisch-israelische Historiker Israel Gutman (1923–2013): »Der Aufstand des Sonderkommandos« und viele andere.
Der Band enthält auch einige Zeugnisse von SS-Tätern: des Lagerkommandanten Rudolf Höß (1901–1947), der beiden SS-Oberscharführer Josef Erber eigentlich Josef Houstek (1897–1987) und Josef Klehr (1904–1988) und des berüchtigten Schreibtischtäters SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (1906–1962). Diese Täterberichte sind in Kursive gesetzt. Zeittafel, Anmerkungen und ein Personenverzeichnis ergänzen dieses bedrückende Buch zum dunkelsten Kapitel unserer Geschichte.