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GASTBEITRAG Bobby Fisher

Stephen Sokoloff

GASTBEITRAG

 

Hallo, ich bin Bobby Fisher – Sohn einer deutschen Jüdin und der beste Schachspieler, den die Welt je gesehen hat. Vor mir gab es noch keine Schach-Profis. Selbst Grossmeister spielten nur in der Freizeit. Ich dagegen habe mich nur diesem Sport verschrieben. Und das seit meinem siebten Lebensjahr.

Inhalt

Damals schenkte mir meine Schwester ein Schachset. Ich war immer allein zuhause – meine Kindheit war schrecklich langweilig! Das Brettspiel war meine Zuflucht, gleichzeitig aber auch mein Gefängnis. Es liess mich nicht mehr los, ich konnte an nichts Anderes mehr denken. Sogar während des Essens spielte ich im Kopf weiter.

 

Mit acht nahmen sie mich als einziges Kind in den Brooklyn Chess Club auf. Dort war ich ihr Prügelknabe: Sie fanden es lustig, dass ich mich vergeblich um einen Sieg bemühte, und das machte mich wütend. Manchmal brach ich deshalb in Tränen aus! Der Präsident des Clubs erteilte mir aber immerhin Privatunterricht und schon 1956 war ich mit 14 Jahren US-Champion. Noch sieben Mal verteidigte ich den Titel. Es war grossartig zu gewinnen und das Ego meines Gegners zu zerstören; ihn zu beobachten, wenn er wie ein geprügelter Hund das Schlachtfeld verliess.

 

Die High-School brach ich mit 16 ab. Damals interessierten mich Frauen überhaupt nicht. Ich hielt sie für schlechte Schachspieler und ausserdem für nicht sehr intelligent. Allerdings verlor ich in Argentinien meine Unschuld. Das Treffen dazu fädelten meine Begleiter ein. Ein Fiasko, sag ich euch! Unmittelbar danach spielte ich miserabel! Willst du ein Meister werden, musst du wie ein Mönch leben und auch körperlich topfit sein. Sonst wirst du den Stress eines stundenlangen Turniers nicht aushalten. Lässt die Konzentration nur einen Augenblick nach, hast du schon verloren.

 

Die Sowjets stellten damals die weltbesten Schachspieler. Damit demonstrierten sie die Überlegenheit ihres Systems. Als ich 1972 Boris Spasski besiegte und Weltmeister wurde, brach in den USA die Fisher-Mania aus. Über Nacht avancierte ich zum Superstar und war ein gefragter Gast in TV- und Talk-Shows. Ich – und damit die gesamte Nation – hatte die Russen besiegt!

 

Wie ich das geschafft habe? Ich studierte ein rotes Buch mit 350 Matches, die Spasski gespielt hatte, bis ins Detail. Dabei lernte ich jeden Zug auswendig, jede Strategie des Meisters. Dennoch zögerte ich, gegen ihn anzutreten. Auch dann noch, als sie das lächerliche Preisgeld von 125 000 Dollar verdoppelten. Ich bestand auf wesentlich besseren Bedingungen. Eines Tages rief mich Henry Kissinger, Präsident Nixons Sicherheitsberater, persönlich an. Ich sollte unbedingt die Herausforderung annehmen und die Ehre unseres Landes verteidigen, meinte er. Auch ich verabscheute den Kommunismus – vielleicht, weil meine Mutter ihn liebte. Beim Turnier in Reykjavik in Island bedauerte ich aber meine Entscheidung. Dort störte mich einfach alles: vor allem das Surren der Fernsehkameras und das Raunen des Publikums. Ich verlor das erste Spiel, trat zum zweiten nicht an und wollte nur noch nach Hause. Schliesslich lenkte ich ein, weil Spasski meinen Bedingungen zustimmte. Danach setzten wir ohne Kameras und Publikum das Duell fort. All die Streitereien hatten meinen Gegner wohl aus der Bahn geworfen. Er war nicht mehr fokussiert. Ihn zu besiegen war nun ein Kinderspiel.

 

Drei Jahre später weigerte ich mich, meinen Titel zu verteidigen. Ich war nicht bereit, die fiesen Organisatoren alles mir machen zu lassen, was sie wollten. Einmal haben mir Zuschauer sogar Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen – und sie sahen einfach darüber hinweg! Auch dieses Mal waren ihre Bedingungen für mich nicht akzeptabel. Ich lehnte also ab! So nahmen sie mir den Titel einfach weg und schenkten ihn Anatoli Karpow. Ein Skandal ersten Ranges! Dazu hatten sie kein Recht!

 

Zwanzig Jahre lang trat ich nicht mehr an und war fast mittellos. Warum, werden Sie sich fragen. Ein Vermögen hatte die Church of God von mir kassiert. Sie lehrte, dass die Welt dem Untergang geweiht war und dass nur wir Auserwählten überleben würden. Ich wollte unbedingt einer davon sein. Dann aber kam es zu einem Sexskandal in der Sekte. Einfach ekelhaft! 1977 trat ich aus.

 

1992 spielte ich wieder gegen Spasski. Ein neureicher Schwindler hatte uns auf seine Privatinsel eingeladen. Das war in Jugoslawien während des Bürgerkriegs. Die US-Regierung verbat mir die Teilnahme. Sie drohten mir sogar mit einer Geldstrafe und bis zu zehn Jahren Gefängnis. Ich spuckte auf ihr Dekret! 3,5 Millionen Dollar konnte ich damals einstreifen.

Nachher verbrachte ich zehn Jahre in Ungarn, bis ein Freund mein Vertrauen missbrauchte. Ich übersiedelte nach Japan. Alle drei Monate musste ich von dort auf die Philippinen umziehen und wieder retour, weil ich in beiden Ländern nur Visa für 90 Tage bekam. Da wie dort hatte ich eine Freundin. Die Amerikaner wollten mich zum Schweigen bringen, aber natürlich lenkte ich nicht ein. In philippinischen Radiosendungen wetterte ich gegen mein schreckliches Heimatland. Und ich liess alle wissen, dass die Juden die Weltherrschaft an sich reissen wollten. Obwohl ich eigentlich selbst Jude bin. Ich empfand es als Kränkung, in einer Liste grosser jüdischer Schachmeister zu stehen. Viele hielten mich für paranoid, aber seien wir ehrlich: Auch Paranoiker können recht haben.

 

Schliesslich annullierte die US-Regierung meinen Reisepass. Sie verlangten, dass die Japaner mich ausliefern sollten. Stattdessen steckten mich meine Gastgeber acht Monate lang ins Gefängnis, bis mir Island politisches Asyl gewährte. Dort lebte ich vier Jahre lang. Meine japanische Ehefrau – wir hatten inzwischen geheiratet – blieb aber zuhause. Sie wollen wissen, warum? Das sage ich Ihnen nicht! Wenn sie mir persönliche Fragen stellen, beende ich sofort unser Gespräch!

 

Ich las inzwischen alles, was mir in die Hände fiel: Geschichte, Literatur, Geopolitik, Philosophie. Um nicht so ungebildet zu sein wie meine Kollegen. Schachspieler sind sehr eindimensional! Es lohnt sich kaum, mit ihnen zu reden. Ich schätze sie nicht besonders.

Die Ärzte wollten mich auf Dialyse setzen, aber natürlich lehnte ich eine solche Zwangsbehandlung ab. Ich brauchte diese Quacksalber nicht! Jeder weiss, dass Nierenleiden problemlos mit Vitaminen und Säften zu kurieren sind. Bei mir haben sie allerdings nicht geholfen. 2008 fand mein turbulentes Leben ein Ende.

 

Die Schachspieler der ganzen Welt sind mir zu Dank verpflichtet. Vor meiner Zeit spielten sie um Peanuts und die Medien ignorierten sie. Ich brachte ihnen Ruhm und Reichtum. Das hat der Grossmeister Viktor Kortschnoi geschrieben. Ich war einfach der Grösste!

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Bobby Fisher 1972. Foto: Bert Verhoeff,  Dutch National Archives, The Hague, Fotocollectie Algemeen Nederlands Persbureau (ANeFo), 1945-1989, Nummer toegang 2.24.01.05 Bestanddeelnummer 925-3512, Creative Commons, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bobby_Fischer_1972_(cropped).jpg