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Berthold Schäffner
Daniel W. Wilson: Goethe und die Juden. Faszination und Feindschaft.
München: C.H.Beck Verlag 2024.
351 Seiten, Euro 29,90.-
ISBN: 978-3-406-81494-5
2024 wird vielerorts des vor 275 Jahren geborenen Dichters Johann Wolfgang von Goethe gedacht. Ein neues Buch des Professors für Germanistik und Goethe-Spezialisten W. Daniel Wilson, das sich nunmehr mit seinem widersprüchlichen Verhältnis zu Juden befasst, erhellt mit detaillierten Recherchen und Episoden dieses heikle Thema.
Einerseits spricht und schreibt Goethe durchaus positiv über seine Haltung zu Juden. Von der Judengasse und ihren Bewohnern in seiner Geburtsstadt Frankfurt ist er als Kind fasziniert, so dass er sogar versucht, Judendeutsch zu lernen. Positiv ist auch anzumerken, dass er geholfen hat, einen Brand in der Judengasse zu löschen. In seiner Zeit als Geheimrat in Weimar macht Goethe zahlreiche Geschäfte mit jüdischen Kaufleuten und Bankiers und spendet auch für bedürftige Juden. Es ist ihm in diesem Zusammenhang sehr wichtig, dass sein persönliches Ansehen und sein Ruf glänzen. Da will er seinem Herzog Carl August nicht nachstehen. Als Theaterdirektor in Weimar spielt er Stücke, die Juden gegenüber relativ aufgeschlossen; er durchkreuzt dadurch in einigen Punkten das negative Judenbild der Zeit, und zuweilen lässt er enttäuschte Zuschauer zurück.
Andererseits hat Goethe privat durchaus seine Vorurteile und spricht hämisch über Juden. Aber er geniesst und festigt in der Öffentlichkeit geradezu den Goethe-Kult, besonders unter den Juden und jüdischen Verehrern. Mit Beginn der Französischen Revolution wird sein Bild von Juden immer dunkler, feindseliger, er tobt gegen deren Emanzipation und unterstützt die Berufung eines judenfeindlichen Professors an die Universität Jena. Er ist dafür, wieder ein Aufenthaltsverbot für Juden in Jena zu erlassen. Und als in der neuen Weimarischen Juden-Ordnung christlich-jüdische Mischehen zugelassen werden sollen, entfacht dies in ihm einen „leidenschaftlichen Zorn“. Aber seine Hauptstrategie ist „Schweigen“ gegenüber der Öffentlichkeit.
Wilson macht es sich mit seinem Urteil nicht leicht. Er übersieht nicht die „lauen“ positiven Äusserungen Goethes zum Judentum und erwähnt auch die wenigen jüdischen Bekannten, die er auszeichnet. Es fehlt aber an besonders warmer Herzlichkeit zu ihnen. Der Autor zitiert private judenfeindliche Ausfälle Goethes, der sich in der Öffentlichkeit seinen Ruf nicht verderben lassen will. „Unterm Strich war Goethe ein heimlicher Judenfeind, freilich kein extremer, was ihn allerdings nicht entlasten kann“ (S. 274). Für Wilson ist es auch wichtig, gerade im Jubiläumsjahr 2024 einen Anfang in der offenen Diskussion über Goethes Faszination mit und Feindschaft gegenüber Juden zu machen. Es ist ein Verdienst des Buches (das bestimmt zu Kontroversen führen wird), dass es Goethes im Laufe seines langen Lebens sich ändernde, ambivalente Haltung gegenüber Juden herausgearbeitet hat.