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Besuch bei Rabbi K. Rabbi Meir ben Isaak Katzenellenbogen war der Maharam von Padua

Michael Bittner

Padua ist eine interessante Stadt, zumindest für Italienurlauber, die sich nicht ans Meer legen und die Sonne auf den Toches brennen lassen wollen. Hier gibt es kein Salzwasser, aber das Centro del Tramezzino, den Prato della Valle, Designmöbel, die offensichtlich mehr und mehr verwaiste Basilika des heiligen Antonius, einen altmodischen Markt, den steilen Anatomiesaal, Palladio-Bauten, und eine jüdische Gemeinde.

Inhalt

Letztere liegt versteckt in einer Seitengasse der Hauptplätze, Zentrum ist die Synagoge aus dem 16. Jahrhundert, die man nach der Zerstörung des grossen neuen Bethauses durch die Faschisten gezwungenermassen wieder besiedeln musste. Im Gemeindehaus wohnen zwei ältere Damen aus Sopron, eine davon 102 Jahre alt, die es während des Zweiten Weltkriegs hierher verschlagen hat, und es gibt noch etwa 180 Menschen jüdischen Glaubens, zumeist ältere Semester, in dieser Stadt mit 209.000 Einwohnern. Padua hat etwa vier jüdische Friedhöfe, sagt man mir. Etwa vier? Einen aus dem 16. Jahrhundert, einen aus dem 17., zwei neuere, die zusammengelegt worden sind und einen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, der im Krieg bombardiert worden sei und daher nicht besucht werden könne (dort finden heute noch Begräbnisse statt). Die Pflege übernahm kürzlich ein Ukrainer, der damit eine sinnvolle Beschäftigung hat. Mich interessierte der älteste erhaltene Friedhof (ab 1520) in der Via Weil,1 der in der Nähe der berüchtigten Giotto-Kapelle2 liegt, um Rabbi Meir ben Isaak Katzenellenbogen zu besuchen, den Maharam von Padua.

 

Um Punkt zehn Uhr treffe ich meinen Führer Giovanni, der das Tor, das sich versteckt im Nachbarhaus befindet, aufsperrt. Schön gepflegt ist das Gelände, aber den berühmten Rabbi muss man suchen – zuerst sieht man die Gräber der Kohanim, dann solche von anderen Rabbinern, von Bankiers und des normalen Volkes, Aschkenazim und Sefardim durcheinander. Erst ganz im hintersten Eck befinden sich zwei Gräber mit nett gemeisselten Katzen (trotz Bilderverbots; die  Steinmetzen waren immer Christen). Das schönere Grab gehört Katzenellenbogens Sohn und Nachfolger Samuel, daneben ganz deplatziert die mit Steinen und Zetteln versehene Grabstätte des grossen Meir, verdeckt durch das Grabdenkmal des Mediziners Abram Catalan (gestorben 1630), der sich mit der Pestprophylaxe beschäftigt hatte.3 Das Catalan-Grabmal steht, wenn man die Liegeposition des Maharam bedenkt, genau auf dem Bauch des Rabbi – sehr eigenartig.4 Daneben sieht man zwei verwitterte Grabsteine, einer davon gehört der Rebbetzin, aber welcher? Ein Rätsel mehr an diesem magischen Ort.

 

Zurück zur Hauptperson – geboren wurde der grosse Gelehrte in Katzenelnbogen5 (daher der Name) im Jahr 1473. Der Ort liegt im Rheinland, im Stadtwappen prangt nicht bloss eine Katze, sondern grossspurigerweise ein Löwe. Meir studierte in Prag, wanderte nach Italien aus, wurde Rabbiner von Padua und dann auch von Venedig und reiste zwischen den beiden Städten hin und her. Er heiratete die Enkelin des Rabbiners Abraham Minz, dem er in dieser schwierigen Zeit nachfolgte. 1565 starb er mit 92 Jahren, steinalt für die damalige Zeit. Seine Berühmtheit verdankte er zu Lebzeiten seinen Schriften,6 vor allem seinem Kommentar zu Maimonides. Die erste Auflage von Mishneh Torah, 1550 in Venedig gedruckt, wurde 1554 auf Befehl des Papstes verbrannt,7 doch überstand ein Exemplar die Vernichtung. Postum machte ihn seine Familie unsterblich – er wurde zum Stammvater einer Rabbinerdynastie, die bis ins 21. Jahrhundert8 reicht und so bekannt war, dass die Schwiegersöhne seinen Namen annahmen und diesen dadurch weitertrugen.9 Einer seiner Enkel, Saul Wahl, war der berühmte „König Polens für einen Tag“.10 Die Nachkommenschaft kommt gelegentlich den Urahn besuchen, doch nicht zur Jahrzeit, sondern das ganze Jahr über: sie reisen aus der ganzen Welt an, aus den U.S.A., aus Russland, Australien, Polen, Ungarn und anderswoher.

 

Meir Katzenellenbogens Epoche war eine Zeit der Prüfungen für europäische Juden – 1481 Begründung der Inquisition in Spanien, 1492 Vertreibung, Verfolgungen in fast ganz Europa. Zunächst wurden die jüdischen Flüchtlinge in Norditalien toleriert, die Herrscherfamilie Carraresi von Padua förderte die jüdische Gemeinde. Im 16. Jahrhundert begann aber auch hier die Verfolgung, 1509 wurden die Friedhöfe von Padua zerstört,11 1516 fasste der Rat von Venedig den Beschluss, die Juden ins Ghetto zu sperren, erstmals in der europäischen Geschichte, in Padua erfolgte dies erst nach dem Tod des Rabbi Meir. Die jüdische Gemeinde in Padua ist sehr stolz auf ihren grossen Ahnherrn, wenngleich sich die Sorge um die Zukunft breit macht. Italien ist wieder zu einem Auswanderungsland geworden, die Jungen ziehen weg, die Dörfer und Innenstädte veröden in stärkerem Masse als in Österreich, die Zahl der Gemeindemitglieder sinkt. Die Stadt vergleicht sich gern mit dem nahen Venedig: Dort sei alles noch schlechter, sagt man mir, die Juden seien noch weniger, die Touristen noch mehr und die Preise noch höher, ein schwacher Trost. So sitzen die meist älteren Herrschaften in einer wunderbaren Synagoge aus dem 16. Jahrhundert, mit originaler Einrichtung, einem äusserst prächtigen Thora-Schrein und Silberlustern aus Amsterdam. Im Nebenhaus befindet sich das Gemeindezentrum, davor steht ein Jeep in Tarnlackierung mit zwei freundlichen Soldatinnen, die aufmerksam die Passanten beobachten; gegenüber, in der ehemaligen Hauptsynagoge, liegt das jüdische Museum mit Zeugnissen der vergangenen Blüte. Immer wieder kommen Touristengruppen, die freundlichen Studentinnen, die durch die Räume führen, sind jedoch Christinnen. Padua ist ein Reiseziel für alle, die Italien mögen und denen Venedig zu überlaufen ist, und die die jüdische Kultur erleben wollen, solange es sie noch gibt. Hier brauchen sich Besucher, anders als bei den sattsam bekannten Touristenfallen der Lagunenstadt, auch nicht anzustellen.

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 Das Grab des Maharam, Meir Katzenellenbogen, in Padua.

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Friedhof des 17. Jahrhunderts in Padua.

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Innenansicht der Synagoge in Padua.

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Ausstellungsstücke im jüdischen Museum von Padua.

Anmerkungen

1 Virtuelle Tour: https://ucei.it/virtualtour/padova/en/?sc=cimitero&vis=false%20, abgerufen 23.04.2024.

2 Dies ist kein Museum, sondern eine geweihte Kapelle, daher wird sie von Juden gemieden (Auskunft meines Führers).

3 https://www7.tau.ac.il/omeka/italjuda/items/show/16, abgerufen 23.04.2024.

4 Wenn man die halachischen Vorschriften https://www.sefaria.org/Kitzur_Shulchan_Arukh.199.14 bedenkt.

5 https://de.wikipedia.org/wiki/Katzenelnbogen, abgerufen 01.01.2024.

6 She‘elot u-teshuvot https://bvbat01.bib-bvb.de/TP61/start.do?Language=De&Query=0100%3D%22%3FDE-588%3F142103209%22+IN+%5B1%5D, abgerufen 23.04.2024.

7 https://www.jewishvirtuallibrary.org/katzenellenbogen-meir-ben-isaac, abgerufen 23.04.2024.

8 https://avotaynuonline.com/2016/03/y-dna-genetic-signature-ethnic-origin-katzenellenbogen-rabbinical-lineage/, abgerufen 23.04.2024.

9 https://www.jewishvirtuallibrary.org/katzenellenbogen?utm_content=cmp-true, abgerufen 01.01.2024.

10 https://www.jewishencyclopedia.com/articles/14751-wahl-saul, abgerufen 01.01.2023.

11 https://www.cambridge.org/core/journals/ajs-review/article/abs/renaissance-in-the-graveyard-the-hebrew-tombstones-of-padua-and-ashkenazic-acculturation-in-sixteenthcentury-italy/B3F5578BD2156C82FF155135F12A9A70, abgerufen 01.01.2023.

 

 

Alle Abbildungen: I. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.