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Leserbrief Mag. Dr. Harald Büchele

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LESERBRIEF

 

„Stadtlich“ verordnete Gedenkkultur in Innsbruck                       

 

Gibt es Institutionen, die über die Formen von Gedenkkultur bestimmen dürfen? Für mich ist es völlig klar und auch wünschenswert, dass der Staat/Rechtsstaat nicht nur Gedenkkultur, sondern auch alle anderen Bereiche, die unser Zusammenleben betreffen, „im Auge“ zu behalten hat. 

In der Gedenkkultur stellt sich mir aber die Frage, ob ein Bürgermeister, ein Gemeinderat berechtigt ist, einer unbescholtenen Bürgerin, einem unbescholtenem Bürger, die Bitte nach der Verlegung eines Stolpersteins, der nicht nur in ganz Europa (sondern auch in den USA) verbreitet ist und sehr geschätzt wird („Größtes dezentrales Mahnmal der Welt“), sondern auch von höchsten Repräsentanten der Öffentlichkeit und Politik als Ort des Erinnerns, des Gedenkens und auch der Entschuldigung besucht wird, zu verbieten. 

In Graz gab es zwar „...komplizierte Vorstellung über die Umsetzung“, aber ihr letztes Argument, es gäbe keinen Trägerverein, stellte sich letztendlich als Brücke zur Genehmigung dar. 

Nicht so in Innsbruck; hier gab es weder Interesse noch Entgegenkommen in der Form einer Forderung, sondern nur das sofortige, absolute Verbot - ohne zu einem Gespräch einzuladen - mit Argumenten wie:
"...was sozusagen keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlockt“,  „Man geht gleich achtlos darüber hinweg wie über einen Kanaldeckel.“  „Diese faktische Flüchtigkeit von „Stolpersteinen“ widerspricht laut und deutlich unserem Anspruch eines permanenten, lebendigen Gedenkens an die Gräuel der Nazizeit.“ „…überzeugt davon sind, dass ein weiteres statisches Symbol nichts Wesentliches dazu beitragen würde, die Erinnerung lebendig und vor allem das Bewusstsein wach zu halten.“ Nicht ganz verständlich das nächste Argument: „Außerdem sterben nach und nach die letzten Zeitzeugen, die authentisch, also entsprechend eindrucksvoll von ihren Erlebnissen erzählen können.“

Aus diesen „Argumenten“ zieht die Vorsitzende des Kulturausschusses, der der Bürgermeister die Entscheidung übertragen hat, das folgende Resümee: 
„Aus all diesen Überlegungen heraus haben wir uns gegen die Zulassung von „Stolpersteinen“ entschieden und stattdessen das Format „gedenk_potenziale“ entwickelt…“ Bis jetzt wurden zwei Projekte (Preisgeld für jedes Projekt € 20 000) von Künstlern, ein Film und ein temporäres Kunstprojekt, bei dem „Üb immer Treu und Redlichkeit“ auf den Gehsteig projiziert wurde, über das die Bürgerinnen und Bürger, so konnte ich beobachten, fast immer recht zügig darüberschritten, umgesetzt. 

Das nächste städtische Gedenkprojekt sind die „Zeitpunkte“, hervorgegangen aus einem Wettbewerb, bei dem die Firma "Proxi Design" als Siegerin hervorging (die Design-Erstellungskosten  betragen ca. € 100.000, die Kosten der ersten 10 Zeichen bezahlt die Stadt, ein Zeitzeichen kostet € 250 - ob sich der Vorwurf der Stadt, der Stolperstein sei ein „Geschäftsmodell“, dadurch nicht etwas relativiert?). 

Aus dem höflichen Ersuchen zur Verlegung des Stolpersteins beim Bauamt der Stadt Innsbruck entstand also ganz offensichtlich ein Wettbewerb, bei dem es einen Verlierer geben musste? 

Aus dem persönlichen Schriftwechsel mit dem Herrn Bürgermeister möchte ich nur dies anführen:
„…ich darf mitteilen, dass sich die Stadt Innsbruck nach Diskussion im Kulturausschuss zu einer anderen Form des Gedenkens entschieden hat. Ich finde dies sehr gut, weil „Stolpersteine“ inzwischen schon in mehreren Orten die Form des Gedenkens geworden sind."
„In einer Demokratie muss es allerdings erlaubt sein, dass ein demokratisch gewähltes Gremium …entschieden hat, eine andere Form des Gedenkens an den Holocaust zu wählen, die „gedenk_potentiale.“ Ist ja in Ordnung, aber warum den Stolperstein deshalb VERBIETEN?

Meiner Meinung nach eine recht geschickte Strategie, ein „demokratisch gewähltes Gremium“ zu beauftragen, um einen „undemokratischen“ Willen des Herrn Bürgermeisters durchzusetzen. Leider ist auch das Verhalten der Innsbrucker Bürgerinnen und Bürger anders als z. B. in Tübingen oder Augsburg: dort setzten sich die BürgerInnen FÜR den Stolpersteine ein und erreichten demokratisch! die Erlaubnis zur Verlegung. 

Sehr erfreulich und bestätigend war für mich dagegen die Antwort von Herrn Oberbürgermeister Horn aus unserer Partnerstadt Freiburg im Breisgau (ca. 460 Steine):
„In Freiburg und in weiten Teilen Deutschlands ist die Erinnerungskultur mit den Stolpersteinen sehr ausgeprägt, wenn sich auch zum größten Teil Privatpersonen darum kümmern. Aber die Städte und Gemeinden unterstützen das und anerkennen und würdigen diese ehrenamtlichen Verdienste. …vielleicht ist einfach die Zeit der Anerkennung noch nicht gekommen. OB Horn wünscht Ihnen aber weiterhin alles Gute und Erfolg in Ihrem Bemühen.
Viele Grüße aus der Partnerstadt

Wie „demokratisch“ mit Gedenkkultur in Tirol umgegangen wird, sieht man auch daran, dass der erste Preis („Wir haften für unsere Geschichte“) für ein Kunstprojekt am ehemaligen Gauhaus (jetzt Landhaus), durch das Land Tirol (den Landeshauptmann), ohne das Jury-Votum zu nennen, stillschweigend durch den zweiten Preis ersetzt werden sollte. Nach Bekanntwerden dieser Vorgänge und die Ablehnung des Zweitgereihten meinte Landeshauptmann Mattle, dass der Wettbewerb „gescheitert“ wäre.

Ich hoffe, dass meine Beschreibung des Umgangs mit Gedenkkultur in Innsbruck/Tirol nicht zu sehr durch meine Betroffenheit durch das Verbot des Stolpersteins beeinflusst ist, aber das Verhalten der Entscheidungsträger in Innsbruck (Innsbruck war mit seiner Opferzahl die blutigste Stadt im Novemberpogrom im Deutschen Reich) dient sicher nicht dazu, bei der Aufarbeitung der schrecklichen Vorgänge im November 1938, und natürlich darüber hinaus, Hilfe zu leisten. Das, meiner Meinung nach undemokratische/diktatorische heutige Verbot erinnert denn doch zu sehr an die Innsbrucker Vergangenheit.

Eine Zäsur im Darüberschweben über der Innsbrucker Vergangenheit stellt sicher Meriel Schindlers Buch „Café Schindler“, großartig auch in ein Theaterstück umgesetzt, dar. Auch sie hatte zwei mal gebeten, Stolpersteine verlegen zu dürfen, was ihr aber, wie mir, nicht erlaubt wurde - sie ließ daher in Wien Steine des Gedenkens verlegen. Den Stolperstein durfte ich ihr in meiner Wohnung zeigen - sicher einmalig in Europa.

Abschließen noch ein Zitat aus der Arbeit (Irritationen im öffentlichen Raum, Stolpersteine in Italien) der italienischen Kunsthistorikerin Adachiara Zevi, die 2010 das Stolperstein-Projekt in Italien initiiert hat:
„Die eingravierten Texte, die auf den Zeugnissen von Familienangehörigen beruhen und in Gedenkbüchern, Stadtarchiven und Archiven der jüdischen Gemeinden sowie in den deutschen archivalischen Überlieferungen zu den verschiedenen Durchgangs-,Konzentrations- und Vernichtungslagern verifiziert wurden, lassen keinen Raum für Zweifel, Revisionismus oder die Leugnung des Holocaust. Wer die Installation verbietet, der will nicht, dass diese Geschichte eine von allen geteilte nationale Geschichte und Erinnerung wird.“

Meine höchste Anerkennung gegenüber allen Städten und Kommunen, die nicht durch Verbote, sondern durch Respekt, praktizierten Humanismus und Demokratieverständnis den Opfern einer der schrecklichsten und unmenschlichsten Diktaturen/Mörderbanden Abbitte leisten und vor möglichen Wiederholungen eindringlich warnen.

Mit großer Enttäuschung über das Verhalten „meiner Stadt“ und großem Respekt und Anerkennung gegenüber Städten wie Graz, Salzburg (dort darf ich Mitglied im Personenkomitee sein)…für die der Stolperstein - warum nicht Gunter Demnig für den Friedensnobelpreis vorschlagen?- zu einem GEMEINSAMEN (auch im Sinne der EU) Symbol der Verteidigung der Menschlichkeit gemacht wurde/wird.

 

Mag. Dr. Harald Büchele