Ausgabe

Der jüdische Semmering

Christoph Tepperberg

Inhalt

Danielle Spera (Hrsg.): Stammgäste. Jüdinnen und Juden am Semmering.

Wien: Amalthea Signum Verlag 2024.

Gebunden, zahlr. Abb. in Farbe und s/w, 256 Seiten, Euro 40,00.-

ISBN: 9783990502693

semmering.jpg

»Anfang 2022 wartete Landeshauptfrau Mikl-Leitner mit einem Angebot auf«, schreibt Danielle Spera in ihrer Einführung, »Sie bat mich, ein Forschungsprojekt über den jüdischen Blickwinkel auf den Semmering zu initiieren, das in der Folge in die Herausgabe eines Buches münden sollte. Zunächst dachte ich, dass es ohnehin schon ausreichend Literatur über den Semmering gebe. Tatsächlich findet zwar das Faktum, wie sehr Jüdinnen und Juden den Semmering und seine Umgebung geprägt haben, immer wieder Erwähnung, doch stand es nie selbst im Mittelpunkt einer Publikation.« Das ist nicht ganz richtig. In unserer Zeitschrift DAVID ist bereits ein diesbezüglicher Beitrag erschienen, nämlich über den sogenannten »Osterpogrom« des letzten Habsburgerkaisers.1

 

Der Semmering war eine beliebte Sommerfrischeregion des 19. und 20. Jahrhunderts. Mit jüdischen Gästen und »Stammgästen« verbindet den Semmering eine lange Geschichte. Im Mittelalter wurde der Semmering nur sporadisch von (jüdischen) Kaufleuten genützt. Die höchste Präsenz an jüdischen Gästen erlebte der Semmering im Fin de siècle und in der Zwischenkriegszeit. Nach der Eröffnung der Semmeringbahn (1854) entstanden Hotels mit koscherer Küche und eine eigene jüdische Sport- und Freizeitkultur. Letztere wurde Ziel des Gesundheitstourismus und Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Prominente kamen zur Sommerfrische hierher: Peter Altenberg, Sigmund Freud, Theodor Herzl, der hier sogar den Bund fürs Leben schloss, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Gustav Mahler, Robert Musil, Felix Salten, Arthur Schnitzler, Ludwig Wittgenstein, Berta Zuckerkandl, Stefan Zweig und viele andere. Sie bewohnten Villen und kleideten sich in örtlicher Tracht ein trügerisches Zeichen lokaler Zugehörigkeit. Mehr und mehr wurden die unbeschwerten Ferientage durch Antisemitismus getrübt. Sie mündeten schliesslich in Vertreibung und Enteignung durch die Nationalsozialisten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zu einem merklichen Rückgang der Gästezahlen, der Semmering konnte nie wieder an seine einstige Blüte anschliessen. Das elegante Südbahnhotel wurde zur Ruine, das riesige Hotel Panhans (»Gauhotel«) erfuhr mehrere Umbauten und zahlreiche Besitzerwechsel. Während der letzten Jahrzehnte wurde die Fremdenverkehrsregion mithilfe verschiedener Investoren und des Landes Niederösterreich wiederbelebt.

 

Danielle Spera konnte für ihr Publikationsvorhaben renommierte, fachkundige, auch junge Autor*nnen gewinnen: Judaisten, Eisenbahnhistoriker, Genealogen, Sexualhistoriker, Historiker und Publizisten für Sport und Mobilität, Kulturwissenschafter für Grafikdesign und Visual History, Zeithistoriker, Holocaustüberlebende, Museumsfachleute, Musiker und Kabarettisten sowie Fachleute für Angewandte Künstliche Intelligenz. Die Autor*nnen sind in dem Band mit bemerkenswerten Beiträgen vertreten. Spannend dazwischen die Gespräche (Interviews) von Danielle Spera mit diversen Zeitzeugen. Literaturangaben, Endnoten und Personenregister ergänzen den mit wunderbaren Bildern ausgestatteten Band. – Eine gelungene Publikation, die das jüdische Leben auf dem Semmering ansprechend und umfassend dokumentiert.

 

Anmerkung

1 Christoph Tepperberg: Des Kaisers »Osterpogrom«. Der Kampf Karls I. gegen »Müssiggang« und »Drückebergerei« im Kriegsjahr 1917. In: DAVID, Heft 114 – 08/2017. Der Beitrag liegt auch online vor (https://davidkultur.at/artikel/des-kaisers-osterpogrom). Ungekürzt unter dem Titel: »Orgien auf dem Semmering – Zechgelage beim Panhans! Kostproben der Militärbürokratie aus dem Kriegsjahr 1917«. In: Robert Kriechbaumer Wolfgang Mueller Erwin A. Schmiedl (Hrsg.): Politik und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Österreichische und Europäische Aspekte. Festschrift für Manfried Rauchensteiner.  (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburgband 58), Wien-Köln-Weimar: Böhlau-Verlag,  2017 (online 2018).