Ausgabe

Wenn der Rebbe vom Leben erzählt

Christoph Tepperberg

Inhalt

Paul Chaim Eisenberg: Lachen, Weinen, Hoffnung schenken. Wenn der Rebbe vom Leben erzählt.

Wien: Brandstätter Verlag 2021.

Gebunden, 176 Seiten, Euro 24,00.-

ISBN: 978-3-7106-0510-9

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Der 1950 in Wien geborene, einer Rabbinerfamilie entstammende Paul Chaim Eisenberg war 1983–2016 Oberrabbiner der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde. Von dem singenden, musizierenden, tanzenden und scherzenden »Rebben« sind beim Wiener Brandstätter Verlag schon mehrere Bücher erschienen: »Auf das Leben. Witz und Weisheit eines Oberrabbiners« (2017), »Das ABC vom Glück. Jüdische Weisheit für jede Lebenslage« (2019) und »Zuversicht ist auch ansteckend!« (2020). Der vorliegende Band ist autobiographischer Natur. Der Rebbe versucht, seiner nichtjüdischen Umgebung die jüdische Lebens- und Gedankenwelt näherzubringen. Entlang des bekannten jiddischen Liedes »Un az der Rebbe lacht...« erzählt Eisenberg in bündigen Episoden aus seinem Leben, mit Weisheit und Humor, der die Christenwelt in Staunen versetzt. (S. 7-11)

 

Das erste Kapitel »Wenn der Rebbe Schabbes macht« verrät uns Tricks, wie man sein Gegenüber dazu bringt, ohne Zurechtzuweisung oder Kritik positiv zu handeln oder die Gebote der Thora zu befolgen. (S. 13-21) In »Wenn der Rebbe singt« erzählt Eisenberg über das Wesen jüdischer Lieder mit ihren tiefsinnig fröhlich-humorvollen, traurigen Texten. Dabei unterstreicht er die Bedeutung der jüdischen Kantoren für den sakralen Gesang: »Manche Rabbiner sagen über mich, ich sei der beste Kantor unter den Rabbinern, weil sie mir nicht zubilligen, dass ich auch ein guter Rabbiner bin.« (S. 23-35)

 

»Wenn der Rebbe weint« beschäftigt sich mit Eisenbergs eigener Familie vor dem Hintergrund des Holocaust. Er erzählt über das Ergehen seiner Eltern in Ungarn und den Judenretter von Ungarn Raoul Wallenberg (1912–1947). In puncto Antisemitismus konstatiert Chaim deutliche Vorzüge Österreichs gegenüber Ungarn oder Polen. Sein Vater Béla Akiba Eisenberg (1908–1983) war Rabbiner in Ungarn und nach dem Krieg Oberrabbiner in Wien, wo Chaims Schwester und er selbst zur Welt kamen. (S. 37-53) Auch in »Wo der Rebbe herkommt« erzählt er über seine weit verzweigte Familie in Ungarn, Wien, Israel und den U.S.A. – mit humorigen Episoden und zugleich bitterer Trauer über die Shoah. (S. 69-75)

 

In »Wenn der Rebbe träumt« lesen wir vom palästinensischen Terroranschlag 1981 auf die Wiener Synagoge und den Terroranschlag 2020 in der Wiener Innenstadt. Man erfährt, dass Yitzhak Rabin (1922–1995) kurz vor seiner Ermordung Eisenbergs Idee zur Gründung eines »Instituts für Judentum und Frieden« sehr positiv aufgenommen hatte. Eisenberg ist Friedensaktivist, wie einst Rabin, ohne Vorurteile gegenüber Arabern. Der Rebbe träumt vom Frieden im Nahen Osten – selbst unter Aufgabe von Teilen des gelobten Landes. (S. 55-67)

 

»Wenn der Rebbe lernt«: Chaim konnte mit vier Jahren Hebräisch, mit fünf Deutsch lesen. Er besuchte das versnobte Wiener Akademische Gymnasium, war Klassenbester, studierte zunächst Mathematik an der Universität Wien, liess sich aber dann doch zum Rabbiner ausbilden. Er ging auf eine Jeschiwa in Jerusalem und nahm begeistert Thorastunden bei er bekannten Bibelwissenschafterin Nechama Leibwitz (1905–1997). Übrigens werden nicht alle Jeschiwa-Studenten später Rabbiner, denn Tora und Talmud »sind tägliches Brot für jeden Juden...« Und »der Lohn des Lernens steckt im Lernen selbst.« (S. 77-93)

 

»Wenn der Rebbe eine Familie hat«: In Jerusalem lernte Chaim seine Frau Annette kennen. Ihre Eltern waren aus Deutschland in die U.S.A. geflüchtet, nachdem sie nur knapp der Shoah entkommen waren. Chaim und Annette wohnten zunächst in Israel, dann in Wien. Heute leben sie voreinander getrennt: sie in Israel, er in Wien. Sie haben sechs »geniale« Kinder: 4 Töchter, 2 Söhne. Von den Töchtern sind drei in Israel, eine in New York verheiratet. Ein Sohn lebt in Toronto, der andere als Rabbiner in Manchester. Der Grossvater hat 30 Enkelkinder, die er regelmässig besucht. Chaim Eisenberg ist extrovertiert, nicht gerade bescheiden, gewohnt im Mittelpunkt zu stehen und war seinen Kindern oft auch peinlich; sie nannten ihn dann PPP »Peinlicher Papa Pauli«. (S. 95-113)

 

»Wenn der Rebbe Fussball spielt«: Der begeisterte Fussballfan berichtet über die Anfänge des jüdischen Fussballklubs »SC Maccabi Wien«, der 1995 bei einer Bar-Mizwa-Feier in Anwesenheit von Oberrabbiner Eisenberg, dem ehemaligen Austria-Wien-Torhüter Franz Wohlfahrt und dem heutigen IKG-Präsidenten Oskar Deutsch mit Unterstützung durch Bürgermeister Helmut Zilk (1927–2008) ins Leben gerufen wurde. (S. 115-121) 

 

»Wenn der Rebbe herumfährt«: Als Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinden Österreichs (seit 1988) berichtet Paul Chaim Eisenberg über alle jüdischen Gemeinden ausserhalb Wiens: Baden, Graz, Linz Salzburg, Innsbruck, über seine damit verbundene Reisetätigkeit, über Geschichte und Persönlichkeiten dieser Gemeinden, z.B. den Auschwitz-Überlebenden Marko Feingold (1913–2019). (S.133-143)

 

»Wenn der Rebbe hilft«: Zu den Aufgaben eines Rabbiners gehören Besuche bei Kranken, Depressiven, Trauernden und Häftlingen. Dazu kommen auch Streitschlichtungen unter Juden. (S. 145-155) »Wenn der Rebbe Ausnahmen macht« handelt von den Ängsten und Sorgen der Menschen in Zeiten der Krise, konkret in der gegenwärtigen Pandemie, und die Rolle des Rabbiners darin. (S. 157-171)

 

»Wenn der Rebbe das Buch fertigschreibt«: Chaim Eisenberg beendet sein Buch mit einer dem Judentum eigenen divergenten Diskussion über den Zeitpunkt des Kommens des von G’tt verheissenen Messias. Mit der Hoffnung auf den Messias verbindet Eisenberg auch die Hoffnung auf das Ende der COVID-Pandemie und eine friedliche Weiterentwicklung der Menschheit. (S. 173-175) In einer Rezension kann man leider nicht all die klugen, humorvollen Episoden wiedergeben. Dazu muss man das Büchlein einfach lesen. Eine Lektüre, die ich nur wärmstens empfehlen kann!