Ausgabe

Galerist, Judenretter, NS-Raubkunst- profiteur: Wolfgang Gurlitt

Stephen Sokoloff

Als „Zauberprinzen“ portraitierte einst der Maler Oskar Kokoschka den Kunsthändler Wolfgang Gurlitt. Damit traf er exakt dessen Wesen — eine durchaus schillernde Persönlichkeit.

Inhalt

Prominente Vorfahren schmücken Wolfgang Gurlitts Stammbaum. Sein Vater war der erste Galerist, der Werke französischer Impressionisten in Deutschland ausstellte. Der 1888 geborene Wolfgang stieg 1912 in das lukrative Geschäft ein und setzte den Erfolg fort. Er vertrat namhafte Künstler wie Oskar Kokoschka, Lovis Corinth und Max Pechstein. Die Presse feierte die von ihm eingerichtete Villa als „Neuschwanstein des Expressionismus“, ähnlich opulent wie das Schloss des exzentrischen Bayernkönigs Ludwig II. Sparsamkeit zählte nicht zu Gurlitts Tugenden; immer wieder schlitterte er sich in den finanziellen Ruin. Statt seine Gläubiger zu entschädigen, liess er dann eine seiner Frauen als Eigentümerinnen aufscheinen: über Jahrzehnte hinweg führte er eine ménage a cinque mit seiner Ehefrau Käthe Gurlitt, seiner Exfrau Julyet Gurlitt geb. Goob, seiner Exschwägerin sowie seiner Geliebten Lily Agoston. Das war ein Stück nicht nur amouröser Jonglierkunst, würdig eines „Zauberprinzen“.

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Die Kuratorin Elisabeth Nowak-Thaller vor Lovis Corinths Gemälde von Wolfgang Gurlitt.

Helfer verfolgter Juden

Gurlitt, seiner jüdischen Wurzeln gewahr,1 blieb eng mit der jüdischen Gemeinde vernetzt; er gründete einen jüdischen Verlag und schickte seine Töchter in den jüdischen Kindergarten. Später verbat er ihnen, dem BDM2 beizutreten; seinen Cousin Hildebrand Gurlitt bezeichnete er als Nazi. 

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 Oskar Kokoschka: Wolfgang Gurlitt als Zauberprinz, 1923.

Die Gurlitts machten Geschäfte mit Hitlers Regime (ähnlich wie Oskar Schindler) – einige Juden rettete auch Wolfgang Gurlitt, immerhin: Dem Maler Eric Isenburger half er, 1933 rechtzeitig vor den Nazis nach Paris zu fliehen. Wolfgang Gurlitts jüdische Geschäfts- und Lebenspartnerin Lily Agoston blieb bis 1939 unbehelligt (vielleicht, weil sie Ungarin war).  Dann allerdings musste sie Deutschland verlassen. Prompt organisierte der wendige Galerist eine Scheinehe mit einem Dänen für sie. So bekam sie einen Reisepass ohne verräterisches „J“ und war berechtigt, Devisen aus Deutschland auszuführen. Obwohl von der Deutschen Wehrmacht besetzt, genoss Dänemark bis 1943 eine gewisse Autonomie.3 Ab diesem Zeitpunkt bot die dänische Staatsbürgerschaft Lily Agoston keinen Schutz mehr. Wieso sie dennoch weiterhin im Deutschen Reich leben und die Galerie Gurlitt führen konnte, lässt sich nicht eindeutig klären – vielleicht dank der engen Beziehungen, die Gurlitt zu Artur Schmidt, dem Referenten der NS-Standesorganisation in Goebbels' Propagandaministerium, der Reichskammer der Bildenden Künste, pflegte. 

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Oskar Kokoschka: Lily Christiansen-Agoston 1922.

 

Trotz rigider Vorschriften verschonten die Nazis immer wieder Personen, die ihnen nützlich waren. Nur Lobendes schreibt Wolfgang Gurlitts Bürogehilfin Elizabeth Willis über ihren Chef. Nicht nur, dass er ihr, einer sogenannten Halbjüdin, die niemand anzustellen wagte, Arbeit gab — er schickte sie sogar in eine private Handelsschule. Oft erschienen, wie sie berichtet, Juden mit dem „Judenstern“ angeheftet in der Galerie und flehten den Händler angeblich an, Kunstwerke aus ihrem Eigentum zu kaufen: „Selbst, wenn die Gegenstände keinen besonderen Wert hatten, half Gurlitt jedem“. Die Haushälterin des Galeristen war ebenfalls Halbjüdin, sein Bürovorstand ein Rom. Nach den Nürnberger Rassengesetzen galten Menschen mit zwei jüdischen Grosseltern automatisch als Halbjuden.4 Deutsche, die in diese Kategorie fielen, blieben von der Deportation verschont, solange sie weder Mitglieder einer Israelitischen Kultusgemeinde waren noch jüdische Ehepartner hatten. Der Grund für diese Ausnahme könnte sein, dass sich die Nazis nicht den Unmut der nichtjüdischen Verwandtschaft zuziehen wollten. Dennoch erfuhren deutsche Halbjuden schwere Benachteiligungen, sie wurden beispielsweise nicht zum Studium zugelassen.5

Raubkunst und Restitutionen

1940 erwarb Wolfgang Gurlitts Ehefrau gemeinsam mit seiner Exfrau (!) in Bad Aussee eine Villa, und dorthin verlagerte der vorausschauende Kunsthändler den Grossteil seiner Sammlung, bevor im Oktober 1943 Bomben seinen Besitz in Berlin zerstörten. In der neuen Unterkunft litt die Ehefrau Käthe Gurlitt unter der dauernden Anwesenheit der Geliebten ihres Mannes, denn in Berlin hatte sie mit ihren Töchtern getrennt von Lily Agoston gewohnt. Wolfgang Gurlitt, notorisch in Geldnöten, versuchte immer wieder, Geschäfte mit den Nazis einzufädeln. Die Nazis erlaubten dem „unzuverlässigen Vierteljuden“, sich an Zwangsverkäufen zu beteiligen und enteignete Gemälde aus jüdischem Besitz zu lukrieren; in seiner Ausseer Zeit erwarb Wolfgang Gurlitt Bilder aus zwangsenteigneten jüdischen Sammlungen der arisierten Villen. Interessanterweise konnte er für den Sonderauftrag Linz, die Beschaffungsaktion für Hitlers geplantes Führermuseum, nur ein einziges Kunstwerk zur Verfügung stellen – vielleicht, weil er sein Augenmerk bereits auf die Zeit nach dem Krieg richtete und daher die wertvollsten Gemälde für eigene Zwecke zurückhielt?

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Ehemalige Gurlitt-Villa in Bad Aussee.

Bereits 1946 gründete Wolfgang Gurlitt, der nach Kriegsende nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt war, in Linz ein Museum mit Leihgaben aus seiner Sammlung, das er Neue Galerie der Stadt Linz, Wolfgang-Gurlitt-Museum nannte. Als „Direktor ohne Gehalt“ verdiente er stattdessen an Verkaufsausstellungen, die er im Museum veranstaltete: 163 Gemälde, welche die Stadt selbst von Gurlitt ab 1953 für die Neue Galerie akquirierte, wurden zur Grundlage des Museums. Gurlitt betrachtete sich gerne als Mäzen, tatsächlich übervorteilte er aber die Stadt nicht nur bei einigen Werken, er jubelte seiner Käuferin auch wissentlich NS-Raubkunst unter. Zwölf Kunstwerke musste das Museum Jahrzehnte später an die Nachkommen der rechtmässigen Eigentümer restituieren. Kaum vorstellbar ist, dass Gurlitt über deren Herkunft nicht Bescheid gewusst hätte. Gustav Klimts Porträt Ria Munk III beispielsweise stammte aus der arisierten Munk-Villa in Bad Aussee, Marktleithen 78, deren Besitzverhältnisse Gurlitt bekannt gewesen sein mussten. Dank des Museumsarrangements verfügte Gurlitt wieder über Finanzmittel für neue Projekte. Mit der Stadt Linz zerstritten, gründete der „Zauberprinz“ später eine Kunstsammlung in München. Damit gab er sich aber nicht zufrieden, bald folgten eine zweite Galerie und ein Verlag. Wie gewohnt, häuften sich weitere Schulden an. 1965 verstarb der „Magier“.

 

Veranstaltungshinweise

Zwei sehenswerte Ausstellungen im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt-Region Salzkammergut 2024, beide kuratiert von Elisabeth Nowak-Thaller:

 

Reise der Bilder. Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut, Lentos Kunstmuseum Linz, Ernst-Koref-Promenade 1, Di bis So 10-18 Uhr (Do bis 20 Uhr), bis 08.09.2024, Eintritt Euro 14,00.-

 

Wolfgang Gurlitt. Kunsthändler und Profiteur in Bad Aussee, Kammerhofmuseum, Bad Aussee, Clumeckyplatz 1, Di-So, 10-15 Uhr (Juli/August bis 16 Uhr), bis 03.11.2024, Eintritt Euro 8,00

 

 

Nachlese

Wolfgang Gurlitt Zauberprinz. Kunsthändler – Sammler. 

Katalog zur gleichnamigen Ausstellung,

 04.10.2019–19.01.2020, 

Lentos Kunstmuseum Linz, 

Hemma Schmutz/Elisabeth Nowak-Thaller(Hg.)

Hirmer Verlag 2019.

483 Seiten, Euro 39,00.-

ISBN: 978-7774-3328-8

 

 

 

 

 

Anmerkungen

1 Wolfgang Gurlitt selbst galt gemäss der nationalsozialistischen Rassengesetze als Vierteljude; Anm. d. Red.

2 NS-Jugendorganisation namens „Bund deutscher Mädel“; Anm. d. Red.

3 Ab Oktober 1943 wurden auch aus Dänemark Juden deportiert. 7.000 Juden konnten zuvor noch rechtzeitig nach Schweden fliehen, aber etwa 500 Personen kamen ins KZ Theresienstadt.

4 Aus jüdischer Sicht wird die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft nur von der Mutterseite her weitergegeben.

5 Halbjuden der meisten anderen Nationalitäten kamen hingegen ins KZ.

 

 

Alle Abbildungen: S. Sokoloff, mit freundlicher Genehmigung.