Ausgabe

Was vom jüdischen Leben bleibt Zwei beispielhafte Friedhofsanlagen in Ungarn

Michael Bittner

Das gute Beispiel: Der Friedhof von Balatonfüred alias Agnes-Heller-Gedenkpark

Inhalt

Ein jüdischer Friedhof ist für die Ewigkeit gedacht – eine gute Idee, die aber weltweit Probleme bereitet. Denn auch eine Ansammlung von Steinen altert und macht Arbeit. Zunächst der orthodoxe Friedhof von Balatonfüred: Die Lage in einem mondänen Badeort am Plattensee ist klarerweise ein Vorteil. Hier trifft sich altes Geld mit neuem Geld. Die Grabsteine bestehen meist aus edlen Granitsteinen und werden die nächsten Jahrhunderte überdauern.

 

Das Problem war der offene Zugang, der zu Vandalenakten geradezu einlud, und die Vegetation, welche die Anlage überwucherte. Heute umgibt eine Mauer aus Bruchsteinen die Anlage, sie ist versperrt und der Bewuchs ist in die Schranken gewiesen (soweit er sich das gefallen liess, man trägt schon einige Kletten mit nach Hause). Die über 100 Opfer der Shoah haben hier ein Denkmal, das ihre Namen für die Nachwelt bewahrt; kaum jemand überlebte die Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz. Die Grabdenkmäler sind mustergültig restauriert worden. Die Grabsteine wurden aufgestellt, zusammengeschraubt, geklebt und die Schriften nachgearbeitet. Die Monumente stammen aus der Zeit von etwa 1830 bis 1944 und sind jetzt als Teil des „Agnes-Heller-Gedenkparks“ zu besuchen. Die berühmte Philosophin ist zwar nicht hier bestattet, doch verstarb sie 2019 am Ort – beim Schwimmen im Balaton. Eine gute Gelegenheit, den Friedhof durch die Umbenennung attraktiver zu machen, Dr. Ferenc Olti war Mastermind hinter der Rettung der Anlage, in seinem Museum bekommt man auch den Schlüssel für die eiserne Tür in der Régi temető-Strasse.

 

Das weniger gute Beispiel: Der Friedhof von Kővágóörs

Dieser kleine Ort in der Nähe des Plattensees ist in Ungarn bekannt geworden, da hier vier Privatmänner 2020 die ehemalige Synagoge gekauft und so vor dem Abriss bewahrt haben.[1] Sie veranstalten vor dem Gebäude jedes Jahr ein Musikfestival, das in Ungarn sehr beliebt ist und kurzzeitig viele Menschen ins Dorf bringt. Zwar ist die Restaurierung der Synagoge noch nicht abgeschlossen, aber 2025, wenn das nahegelegene Veszprém zur „Kulturhauptstadt“ gemacht wird, da sollte schon Geld für die Fertigstellung des momentan einsturzgefährdeten Gebäudes vorhanden sein. An diesem Ort gibt es auch einen jüdischen Friedhof, den die meisten Einheimischen nicht kennen, vor allem die jungen Passanten schickten uns im Kreis. Es gibt auch hier, wie in den meisten kleineren Ortschaften Ungarns, keine Juden mehr. Schliesslich, an einer Naturstrasse, wenig überraschend ohne Hinweisschild, findet der Friedhof sich hinter Unkraut versteckt. Auch hat er eine neue Ummauerung bekommen, von derselben Firma wie in Füred übrigens, doch statt einem eisernen Tor findet man eine kaputte Schwingtür aus einem Wirtshaus am Eingang, die sich nicht versperren lässt. Das mag ressourcenschonend sein, zweckmässig ist es nicht.

 

Der Friedhof besitzt etwa 200 Grabstellen, gleich viele wie der grosse Bruder in der grösseren Stadt, doch bei der Renovierung hat die Arbeiter offenbar nach zwei Dritteln der Mut verlassen. Stehen im vorderen Teil die Grabsteine in Reih und Glied (manche der Steine sind auch schön renoviert, geputzt und die Buchstaben nachgeschnitten) so befindet sich der hintere Teil in einem beklagenswerten Zustand. Die Steine sind zerbrochen, teilweise im Boden eingesunken, überwuchert und dem Verfall preisgegeben. Daneben steht plötzlich ein renovierter Stein, vielleicht eine private Initiative. Unverständlich ist die Intention, eine Renovierung eines halben Friedhofs zu machen und nicht die ganze Anlage zumindest notdürftig zu säubern und zu sichern. Aber vielleicht füllen sich die Kassen der zuständigen Organisation wieder und die Restaurierung geht weiter, damit der Friedhof ein zusätzliches Schmuckstück für „Veszprém 2025“ wird. Kürzlich habe ich erfahren, dass MAZSIHISZ, die grösste jüdische Organisation Ungarns, diesen Friedhof nicht sanieren darf, da er in Privatbesitz ist (typisch Postkommunismus). Ein ganz schlechtes Beispiel für den Umgang mit der jüdischen Vergangenheit habe ich in Westungarn nicht gefunden. Das verwundert, denn es gibt noch etwa 1.600 jüdische Friedhöfe in unserem Nachbarland: ein schönes Zeichen für die Langlebigkeit der jüdischen Kultur und das Geschichtsbewusstsein der ungarischen Gesellschaft.

 

Alle Abbildungen: Ingrid Bittner, mit freundlicher Genehmigung.

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Balatonfüred.

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Jüdischer Friedhof in Balatonfüred.

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Jüdischer Friedhof in Kővágóörs.

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