Ausgabe

Otto Friedländer und der letzte Glanz der Märchenstadt

Peter Payer

Unser Bild von Wien um 1900 ist durch ihn bis heute geprägt. Doch der Autor des einst vielgelesenen Buches Letzter Glanz der MärchenstadtOtto Friedländer (1889–1963), dessen Todestag sich voriges Jahr zum sechzigsten Mal jährte, ist heute weitgehend vergessen.

Inhalt

Geboren wurde Otto Friedländer am 31. März 1889 in Wien-Innere Stadt. Seine Eltern gehörten dem jüdischen Grossbürgertum an: sein Vater Josef war ein bekannter Hof- und Gerichtsadvokat, der am Obersten Gerichtshof bis zum Senatspräsidenten aufstieg; seine Mutter Ottilie, geborene Goldberger de Buda, entstammte einer angesehenen Budapester Familie. Die beiden hatten 1882 geheiratet und waren danach zum römisch-katholischen Glauben konvertiert: die Mutter Ottilie 1888, der Vater Josef 1892. Schon 1883 war ein erster Sohn, Erich, geboren worden (er starb 1896), sechs Jahre später dann Otto, der – im Unterschied zu seinem Bruder – bereits katholisch getauft wurde.

 

Die Familie wohnte standesgemäss in der Wipplingerstrasse; man unterhielt einen grossen Freundeskreis, zu dem so bekannte Personen wie der spätere Justizminister Franz Klein, der Kunsthistoriker Max Dvorak oder der Nationalökonom Eugen von Philippovich gehörten. Otto Friedländer erfuhr von Beginn an eine vielseitige, von humanistischen Idealen geprägte Schulbildung. Nach dem Besuch des Schottengymnasiums absolvierte er die Oberstufe im katholischen Gymnasium in Kremsmünster. 

An der Wiener Universität schrieb er sich sodann zum Studium der Rechtswissenschaften, der Nationalökonomie und der Kunstgeschichte ein. Auslandsaufenthalte in Grenoble und Oxford komplettierten seine akademische Ausbildung, zu der auch exzellente Fremdsprachenkenntnisse gehörten. Es folgten Tätigkeiten für Bankhäuser in Berlin und London sowie eine Gerichtspraxis in Wien, ehe er schliesslich nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er als Offizier der Kaiserjäger diente, im Jahr 1918 in die Wiener Handelskammer eintrat.

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Otto Friedländer, um 1955. Sammlung P. Payer, mit freundlicher Genehmigung.

 

Hier wurde er zu einem Experten für Handel- und Zollfragen und avancierte bald zum leitenden Sekretär. Seine detaillierten Kenntnisse in zeitgenössischer Ökonomie und Politik verbreitete er ab den 1920er Jahren auch in zahlreichen öffentlichen Vorträgen, journalistischen Kommentaren und Radiosendungen. Er galt als guter Redner und Volksbildner, der es verstand, komplexe Sachverhalte auf verständliche Weise zu erklären. Auch seine internationale Erfahrung weitete er sukzessive aus. Er arbeitete 1930 an Ausstellungen der Handelskammer in Antwerpen und London mit, dabei stets konsequent die Interessen Österreichs im Auge behaltend. Kurzum: Otto Friedländer verkehrte, fachlich respektiert und angesehen, in höchsten Kreisen mit Politikern, Wirtschaftstreibenden und Verwaltungsbeamten. Bis zum Frühjahr 1938. 

 

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten änderte auch sein Leben fundamental. Friedländer galt als überzeugter Österreicher, der den „Anschluss“ entschieden ablehnte, was dazu führte, dass er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und finanziell durch Entzug der halben Pension gemassregelt wurde. Seine jüdische Abstammung – gemäss den Nürnberger Gesetzen galten Konvertiten als „Rassejuden“ – wurde ihm allerdings nicht zum Verhängnis. Zwar musste er, wie auch sein Vater, eine Vermögensanmeldung abgeben, Verfolgung hatten beide jedoch keine zu befürchten. Politisch einflussreiche Hände dürften sie davor bewahrt haben. Rückblickend schrieb Otto Friedländer über die Zeit des Nationalsozialismus: „Ich habe die schweren sieben Jahre mit Geschick und Glück verhältnismässig gut hinter mich gebracht und hatte weder mit Gestapo noch mit KZ zu tun. Es ist mir sogar gelungen, meinen alten Vater vor der Verschickung nach Theresienstadt zu bewahren. Dass wir natürlich viele Aufregungen mitzumachen hatten, ist selbstverständlich. Bis zum Jahre 1943 habe ich mich mit eigenen Arbeiten und Studien befasst, von da an war ich dienstverpflichtet und habe mich absichtlich auf den bescheidensten Posten herumgetrieben, da nicht aufzufallen eine der wichtigsten Weisheitsregeln in diesen schweren Zeiten war.“

 

Friedländer wurde zum Schriftsteller. In seiner geräumigen Wohnung in Wien-Mariahilf, Dreihufeisengasse 9 (heute Lehárgasse), die er all die Jahre über behalten konnte, ging er in die „innere Emigration“ und schrieb an seinen Erinnerungsbüchern über Wien, allen voran Letzter Glanz der Märchenstadt

 

In reportagehaftem Stil, mit kurzen, anschaulichen Essays lässt Friedländer eine „in Vergessenheit versinkende Zeit“ auferstehen. Gekonnt schildert er das Kaiserhaus, das multikulturell geprägte Strassenbild der Reichshaupt- und Residenzstadt und ihre aristokratisch-bürgerlichen Bewohner. Er zeichnet den Wiener Alltag nach, von Trinkgeld-Usancen und sprachlichen Eigenheiten, über das Familienleben, Sommerfrische, nächtliches Vergnügen bis hin zu neuralgischen Orten wie Kaffeehaus und Friedhof. Beim Thema Tod wird Friedländer ungewohnt ernst. Zwar spricht er den Holocaust nicht explizit 

an, seine Anspielung am Ende des 

Buches ist aber mehr als eindeutig: 

„Heute ist das alles kaum mehr ein Schatten von damals. Seitdem Leben und Tod in Massen produziert werden, sind sie im Werte gefallen. Die Menschen werden heute schon fast wie der Abfall und Unrat verbrannt oder verscharrt.“

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Cover der Erstausgabe von 1948. Sammlung P. Payer, mit freundlicher Genehmigung.

Auf die in Wien schon zur Jahrhundertwende verbreitete Judenfeindlichkeit kommt Friedländer immer wieder explizit zu sprechen:  „Die Wiener sind grosse Antisemiten“, konstatiert er unzweideutig. Der Antisemitismus sei „sehr launenhaft, allgegenwärtig und immer sprungbereit“. 

Wenngleich Friedländers Buch (es wurde 1948 im Wiener Ring-Verlag veröffentlicht) in der Beschreibung jüdischen Lebens nicht frei von Stereotypen ist und auch darüber hinaus so manches verklärende Wien-Klischee enthält, so war es doch und vielleicht gerade deswegen von Beginn an ein grosser Erfolg. In den folgenden Jahrzehnten erlebte es noch zahlreiche Auflagen (zuletzt 2002).

 

Beruflich hatte Friedländer unmittelbar nach Kriegsende wieder in der Handelskammer Fuss gefasst. Er war zum Leiter der Abteilung „Zoll- und Handelspolitik“ ernannt worden und hatte im Mai 1946 vom Bundespräsidenten den Hofratstitel erhalten. Ein von ihm politisch unglücklich formulierter Zeitungsartikel zur schwelenden Südtirol-Frage beendete jedoch schon einige Monate später abrupt seine Karriere. Er wurde zwangspensioniert, war allerdings weiterhin schreibend tätig. Er publizierte noch weitere Bücher, unter anderem Wolken drohen über Wien (1948), und eine Vielzahl an kulturhistorischen Feuilletons. Als Schriftsteller und politisch denkender Mensch – er war in mehreren pazifistischen Vereinigung aktiv – hoch anerkannt, starb er am 20. Juli 1963 in Waidhofen an der Ybbs. Er war ledig geblieben und hinterliess keine Nachkommen. Sein wirkliches Erbe stellten seine Bücher dar. Im Jahr 1995 erhielt er, spät aber doch, gemeinsam mit seinem Vater ein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof. 

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Ehrengrab am Zentralfriedhof. Foto: Hedwig Abraham, mit freundlicher Genehmigung P. Payer.

 

Zum Autor

Peter Payer ist Historiker und Stadtforscher. Zahlreiche Publikationen, zuletzt „Gebirgswasser für die Stadt. Die I. Wiener Hochquellenleitung“ (gem. mit J. Hloch, Falter Verlag, 2023). www.stadt-forschung.at