Ausgabe

Lieben Sie Schönberg? Arnold Schönberg zum 150. Geburtstag

Barbara Moser

Arnold Schönberg 

wurde 1874 als Sohn eines jüdischen Schusters in Wien geboren. In den Familien beider Elternteile gab es einige Kantoren und sogar zwei Opernsänger. Schon als Kind brachte sich Schönberg diverse Instrumente bei und komponierte auch als Autodidakt.

Inhalt

An eine musikalische Ausbildung des jungen Arnold war aber nicht zu denken, starb doch der Vater früh und Arnold musste noch vor dem Schulabschluss in eine Bank eintreten, um Geld zu verdienen. 1895 wagte er auf Anraten von Richard Heuberger und ­Josef Labor (aus dem Brahms-Kreis) den Schritt, Musiker zu werden. Er beendete sein Dienstverhältnis in der Bank und wurde Kompositionsschüler des nur drei Jahre älteren Alexander Zemlinsky. Die musikalische Initialzündung des von Gustav Mahler geförderten Arnold Schönberg geschah durch Werke Richard Wagners. Der Beginn der Strömung in Richtung Auflösung der Harmonik ist eigentlich im dritten Aufzug des Tristan zu finden, wo Wagner die bereits ausgeweiteten harmonischen Gesetze seiner Zeit ausser Kraft setzt. Schönbergs erste wichtige Komposition, das Streichsextett Verklärte Nacht, dem ein Gedicht von Richard Dehmel zugrunde liegt, entstand 1899. Die Uraufführung durch das renommierte Rosé-Quartett (um zwei Musiker verstärkt) wurde vom Publikum grösstenteils abgelehnt und gipfelte in einem Premierentumult – und da war Schönberg noch weit von der 12-Ton-Komposition entfernt! 1900 ging Schönberg als Kabarettnummern-Komponist nach Berlin; Richard Strauss, damals Kapellmeister an der Berliner Hofoper, förderte ihn nach Kräften. Unter anderem verhalf er ihm zu einem „Liszt-Stipendium“, weiters zu einer Anstellung am Stern‘schen Konservatorium. 1903 übersiedelte Schönberg zurück nach Österreich und lebte fortan mit seiner Frau Mathilde, der Schwester seines Lehrers Zemlinsky, und seinem ersten Kind Gertrud in Mödling.

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Arnold Schönberg. Alle Rechte: Arnold Schönberg Center Wien, mit freundlicher Genehmigung.

Ein weiterer Meilenstein im Schaffen Schönbergs war sein gigantisches Oratorium Gurre-Lieder. Komponiert 1900/1901, bis 1911 instrumentiert für eine riesige Orchesterbesetzung, wurde das Werk 1913 in Wien uraufgeführt – und zu Schönbergs grösstem Erfolg. Durch den langen Zeitraum bis zur Fertigstellung hatte er sich längst vom Spätromantiker zum freitonal denkenden Musiker weiterentwickelt, hatte gerade Pierrot Lunaire fertiggestellt und war wohl deshalb über den grossen Zuspruch des Publikums nicht ganz glücklich. Die folgenden Jahre der Vertreter der Zweiten Wiener Schule waren geprägt durch ihre Entfernung von der Tonalität und den Weg über die Freitonalität bis hin zur Entwicklung der mathematischen Formel für eine Zwölftontechnik. Durch das Freitonale war es zu einer radikalen Verkürzung der Form gekommen, was die komponierten Werke äusserst kurz hatte werden lassen. Das System der Zwölftonmusik, das eine Wiederholung der zwölf Töne erst nach einmaligem Auftritt eines jeden, und dann nur in veränderter Gestalt erlaubt, erwies sich als Rettung, denn es ermöglichte den Komponisten, wieder viel umfangreichere Stücke zu schreiben. Schönbergs Bläserquintett 1923/24 gilt als eines der ersten 12-Ton-Werke der Musikgeschichte und fiel zeitlich zusammen mit dem tragisch frühen Tod seiner ersten Ehefrau.

 

1933 verliess Schönberg mit seiner zweiten Frau Österreich und übersiedelte in die U.S.A., wo sich die Familie Schönberg nach Stationen in Boston und New York 1936 in Los Angeles niederliess. Schönberg blieb auch im Exil kompromisslos und mit unverrückbarem Sendungsbewusstsein ausgestattet: Trotz seines Wohnorts Los Angeles schloss er für sich rigoros aus, wie etwa sein Kollege Erich Wolfgang Korngold ein gut bezahlter Filmkomponist zu werden, und verdiente den Lebensunterhalt für seine Familie weit weniger glamourös, nämlich als Professor an der Universität von Kalifornien und mit diversen Vortragsreisen quer durch die U.S.A. Schönbergs Agenda, die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten einhundert Jahre zu sichern, ist ihm nicht gelungen – sein Spätwerk findet sich bis heute kaum auf dem Spielplan.

 

Stellt man die Titelfrage Lieben Sie Schönberg? in ungezwungener Freundesrunde, muss man mit mehrheitlichem Kopfschütteln oder Unkenntnis rechnen. Stellt man dieselbe Frage bezogen auf Mozart (Brahms möge verzeihen, dass ich den Titel des berühmten Romans von Françoise Sagan für mein Experiment entlehnt habe), erhellen sich die Gesichter in Zustimmung. Aber warum ist das so? 

 

Der durchschnittliche abendländisch-europäische Hörer hat über viele Jahrhunderte, seit der Entwicklung der hier typischen Mehrstimmigkeit, das Harmoniehören verinnerlicht, sich an musikalische Gesetze wie Spannung und Entspannung, Harmonie im Spannungsverhältnis zur Dissonanz und so weiter gewöhnt – und dann kommt jemand und schafft es ab.  Während die Abschaffung jeglicher Hierarchie in einer Staatsstruktur unweigerlich in die Anarchie führt, hat der durchschnittliche Hörer freitonaler Musik eher das Gefühl, in eine nicht allzu bedrohliche, aber dennoch unübersichtliche Situation geraten zu sein. Die strengen Regeln der Zwölftonmusik hingegen stülpen dem zuvor anarchischen Treiben der gänzlich gleichgestellten Töne ein enges Korsett über, das, in eine Staatsform übersetzt, wohl am ehesten dem Kommunismus ähneln würde. 

 

1951 starb Schönberg an einem Herzleiden, nachdem er bereits fünf Jahre zuvor einen Herzinfarkt erlitten hatte. 1974 wurden seine sterblichen Überreste nach Wien überführt und auf dem Zentralfriedhof in einem Ehrengrab, geschmückt von einer Skulptur des Bildhauers Fritz Wotruba, beigesetzt.

 

 

Buchempfehlung

Wer etwas über den privaten Arnold Schönberg erfahren möchte, dem sei das soeben im Wiener Czernin Verlag erschienene Buch von Karin Wagner empfohlen, dessen Buchtitel der originellen Unterschrift Arnold Schönbergs in einem Brief an seine Familie aus dem Jahr 1940 entlehnt ist. Schönberg hatte fünf Kinder, geboren zwischen 1902 und 1941, seine drei aus zweiter Ehe leben noch. Karin Wagner hat mit Nuria, Ronald und Lawrence intensive Gespräche über den Familienmenschen Schönberg geführt und deren Erinnerungen, gepaart mit eigenen, das Bild ergänzenden musikwissenschaftlichen Essays festgehalten. So entsteht für den Leser ein doch überraschendes, sympathischeres Bild, als man es vom „öffentlichen“ Schönberg kennt. 

 

Als Komponist in der Öffentlichkeit war er bekannt beziehungsweise berüchtigt für seinen Zynismus und die spitze Feder seiner Kommentare, besonders gegenüber Kritikern seiner Arbeit. Als älterer Vater (bei der Geburt seines letzten Kindes war er immerhin fast siebzig Jahre alt) ist er seinen Kindern als immer präsenter, spiel- und bastelfreudiger „Daddi“ in Erinnerung, ein Tennis spielender, die Kinder von der Schule abholender, am Alltag seiner Sprösslinge interessierter Vater.

 

 

 

Nachlese

Karin Wagner: Euer Ani, Ini, Arnold Daddi.Arnold Schönberg in Familienerinnerungen und Essays. Wien: Czernin 2024.

352 Seiten, Euro 28,00.-

ISBN-10: 3707608344, ISBN-13: 9783707608342 

Wilhelm Sinkovicz: Mehr als zwölf Töne.

Arnold Schönberg. Wien: Paul Zsolnay 1998.

336 Seiten, Euro 15,00.- (gebraucht)

ISBN-10: 3552048901, ISBN-13: 978-3552048904

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Neuerscheinung: Karin Wagner, Euer Ani, Ini, Arnold Daddi. Arnold Schönberg in Familienerinnerungen und Essays.​​​​​​