Ausgabe

Politik schlägt Kunst Der israelische Pavillon auf der Biennale Venedig 2024

Michael Bittner

Der 7. Oktober hat Israel und die Welt verändert, auch die Kunstwelt. Schon bald nach den schrecklichen Ereignissen hetzten linke „Künstler“ gegen die 

Teilnahme Israels an der Biennale, der bedeutendsten Kunstschau der Welt. Absurderweise nannten sie sich „Art Not Genocide“. 

Inhalt

Es mögen Künstler das Pamphlet unterzeichnet haben, ich fand aber auch eine Bardame darunter. In den Medien formierten sich zwei Lager: solche, die Israel als Paria unter den Staaten ausmachten (interessanterweise nicht den Iran) und solche, die das Recht Israels, ein ganz normaler Staat zu sein, verteidigten. Die Proteste der Linken waren besonders in Europa, vor allem in Deutschland, laut und heftig. Eine Welle des Antisemitismus – die grösste seit den 1930er Jahren – erfasste Europa. Aber auch im fernen und als liberal geltenden Canada liessen Anti-Israel-Protestierer ein Dinner von Justin Trudeau mit Giorgia Meloni platzen, weil diese Israel unterstützt – schade um das gute Essen. Wie es scheint, eine verkehrte Welt à la Sebastian Brant: ein Planet voller bösartiger Idioten, die einen Staat lauthals verurteilen, weil seine Bevölkerung abgeschlachtet wird.

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Demonstration vor dem Israel-Pavillon, Biennale, Venedig, 17. April 2024.

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Demonstration vor dem Israel-Pavillon, Biennale, Venedig, 17. April 2024.

Bis zum Tag vor der Voreröffnung der Biennale am 17. April 2024 sah es so aus, als ob die Künstlerin Ruth Patir und die Veranstalter den israelischen Pavillon eröffnen und damit ein Statement für die Freiheit der Kunst setzen könnten. Zwar wurde erwogen, Polizeischutz zu garantieren und den Zugang zum Gelände zu limitieren, doch von einer Absage war nicht die Rede. An jenem Tag kam gegen 11 Uhr eine Nachricht von Ruth Patir auf Instagram: 

„The artist and the curators of the Israeli pavilion will open the exhibition when a ceasefire and hostage release agreement ist reached.“

 

Also doch – vor wem sind die Künstlerin oder ihre Beraterinnen eingeknickt? Welcher Künstler verzichtet freiwillig auf die Chance, auf der Biennale erfolgreich zu sein und damit zu den ganz Grossen in der Kunstwelt zu gehören? Das Thema ihres Videos „Keening“, der Druck auf Frauen, Kinder zu gebären, hätte ihr bei der rein weiblichen Jury möglicherweise einen Goldenen Löwen eingebracht (vielleicht wäre ihre Hautfarbe ein Hindernis gewesen). Die Künstlerin war in den letzten Monaten abgetaucht und in den Sozialen Medien inaktiv, sie nahm sich Zeit zum Nachdenken; sicherlich hatte sie auch Angst. Sie ist mit Vierzig schon etwas alt für den Durchbruch zur Weltelite, aus dem jetzt nichts, oder noch nichts geworden ist. Wer hat ihre Entscheidung beeinflusst? Die beiden Kuratorinnen? Die Organisatoren der Biennale? Die Diplomatie? Die grosse Politik? Ein Anruf des Kulturministers? Oder war es ihre eigene, angstgetriebene Entscheidung, die bedeuten würde: Ich bin mir wichtiger als meine Kunst?

 

Jedenfalls macht die Absage klar, dass es bei Ausstellungen zeitgenössischer Kunst gar nicht mehr um Kunst geht, so wie es bei einem blockbuster mit Alter Kunst nur ums Geld geht. Es geht hier um Politik, Weltpolitik, Gesellschaftspolitik, Frauenpolitik – „Ein garstig Lied! Pfuy! Ein politisch Lied“ meinte schon Goethe. Die Künstlerin wird instrumentalisiert, soll sich für den „guten Zweck“ opfern – was daran macht die Situation besser? Was ändert es am Leid der Geiseln und an der Grausamkeit des Krieges, wenn die Ausstellung geschlossen bleibt? Wird eine Rakete weniger verschossen? Gibt es einen Prügel weniger? Einen Toten weniger? – Nein.

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Der geschlossene Israel-Pavillon, Biennale, Venedig, 17. April 2024.

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Künstler vor dem Israel-Pavillon, Biennale, Venedig, 17. April 2024.

Was bleibt, ist das Gefühl, dass Israel an dieser Front verloren hat. Man will Schwierigkeiten mit linken Demonstranten aus dem Weg gehen, keine Probleme mit der Sicherheitslage haben, dem Gastland Italien ersparen, ein Grossaufgebot von Carabinieri nach Venedig zu schicken. Die Schutztruppe war dann am Tag der Preview, dem 17. April 2024, auch wirklich nicht da. Die Künstlerin, getarnt durch eine neue Frisur, stand um elf Uhr vor dem geschlossenen Ausstellungsgebäude. Nach einigen Minuten verschwand sie, aus allen Richtungen strömten Israel-Hasser mit Fahnen, Palästinensertüchern, Flugzetteln und Megafon herbei und brüllten laut „Shame on you!“ und andere Anti-Israel-Parolen. Interessanterweise forderten sie auch die Schliessung des geschlossenen Pavillons („Shut it down!“), Etwa zweihundert Personen blockierten den Flanierweg in den Giardini. Wer diese Meute wohl hereingelassen hat? Der Zugang war nur für akkreditierte Journalisten offiziell erlaubt, und auch von diesen wurden nicht alle hineingelassen.

 

Die Kunst hat verloren. Israel hat verloren. Es möge bald anders kommen.

 

Alle Abbildungen: M. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.