Christoph Tepperberg
Aus dem Französischen übersetzt von Claudia Marquardt.
Zürich: Elster & Salis Verlag 2022.
Gebunden, 368 Seiten, Euro 24,70.-
ISBN 978-3-906903-18-7
eBook 320 Seiten, Euro 14,99.-, ISBN 978-3-906903-82-8
Der Autor
Als Fabrice Humbert 2009 seinen Roman unter dem Titel »L’origine de la violence« bei Le Passage Paris New York Editions veröffentlichte, wurde dies zum Literaturereignis des Jahres. Dem jungen talentierten Autor gelang damit sein literarischer Durchbruch. Mehrfach preisgekrönt und über 100.000mal verkauft, folgte 2016 die Verfilmung durch Élie Chouraqui mit Richard Berry und Lars Eidinger. 2022 ist nun unter dem Titel »Der Ursprung der Gewalt« eine deutsche Ausgabe erschienen. Die Übersetzung besorgte Claudia Marquardt, die bereits seinen 2021 erschienenen Roman »Le monde n'existe pas« unter dem Titel »Die Gesichter des Ethan Shaw« bei Ullstein ins Deutsche übersetzt hatte. Humberts Gattin ist deutschsprachig, er selbst unterrichtet Literatur an einem deutsch-französischen Gymnasium nahe Paris. (http://fabricehumbert.canalblog.com/)
Die Erzählung
Nathan Fabre, ein junger Lehrer aus Paris, entdeckt während einer Klassenfahrt zum Konzentrationslager Buchenwald in einer Vitrine das Foto eines Häftlings, das ihn verwirrt. Denn der Mann auf dem Bild sieht seinem Vater verblüffend ähnlich. Der allerdings war nie deportiert worden, auch nicht sein Grossvater. Wer also ist dieser geheimnisvolle Fremde? Zurück in Paris stellt Nathan Nachforschungen an und findet heraus, dass die Person auf dem Foto David Wagner heisst und in Wahrheit sein Grossvater ist. Nach und nach setzt sich ein zweiter, bisher verborgener Zweig von Nathans Familie zusammen: die Wagners, die mit den Fabres durch Leidenschaft und Denunziation, Schuld und Verzeihen verwoben sind. Auf einer Suche durch Frankreich und Deutschland, in seinem neuen Leben, das er mit einer jungen Deutschen teilt, die er gerade kennengelernt hat, erforscht Nathan die Geschichte seiner Grosseltern, seiner Eltern und damit seine eigene Identität: Wer zum Ursprung der Gewalt vordringt, trifft letztendlich auch auf die eigene Gewalt. Pressestimmen: »...eine realistische Chronik, ein Bildungsroman, eine vielschichtige Erzählung, die mit akademischen, historischen, autobiografischen, mythologischen und poetischen Registern spielt. … schaut dem Bösen ins Auge.« (Nils C. Ahl, Le Monde). »Ein Buch wie ein Faustschlag. Ergreifend. Beunruhigend. … Ein klarer, trockener, nüchterner Stil. Eine meisterhaft ausgearbeitete Handlung. Atemlose Spannung. ... Ein großes Werk.« (François Busnel, L’Express).
Authentizität und Fiktion
Fabrice Humbert schreibt eine fiktive Geschichte über (s)eine Familie und die Shoah. Er ist »Spätgeborener«, gehört zur »Enkelgeneration«, erzählt daher nicht unmittelbar Erlebtes, sondern bewegt sich als Nicht-Zeitzeuge zwischen Fiktion und Authentizität, lässt Fiktion und Authentizität ineinander fliessen. Der bedeutende französisch-spanische Schriftsteller Jorge Semprún (1923–2011) hatte den jungen Autor zu diesem Roman beglückwünscht. Anders als Fabrice Humbert war Jorge Semprún tatsächlich Zeitzeuge, war 1944 nach Buchenwald deportiert worden. Er meinte zu Humberts Darstellungsprinzip, dass die Fiktion für das Schreiben über jene Zeit unerlässlich sei, es sich mit zunehmendem zeitlichem Abstand sogar als absolute Notwenigkeit erweisen werde (S. 6). Dazu Humbert: »Jedes Schreiben, so biografisch es sein mag, ist eine Fiktionalisierung, eine Annäherung an eine Wahrheit, die immer im Fluss ist, zumal ich glaube, dass man einen Menschen nie wirklich kennt. Man möge mir jedoch aufs Wort glauben: Dieses Buch ist bei aller Fiktion von absoluter Aufrichtigkeit und will nichts anderes als Authentizität, um einer Erinnerung und einer Zeit, die für immer im Zentrum meines Lebens stehen werden, Respekt zu zollen.« (S. 7). Geschichten über das Böse sind austauschbar. Auch wenn nicht persönlich erlebt, sondern mit fiktiven Personen und Handlungen erzählt, kann die Geschichte dennoch authentisch und wahrhaftig sein. Literaturhinweise am Ende des Bandes zeigen die Auseinandersetzung des Autors mit seinem Thema (S. 366-367).