Als liberale Hofjuden einer Feudalherrschaft ragte die rebellische Ära der Eltern hinein ins Leben der zweiten Generation, das von radikalen Auswirkungen der josefinischen Reformen geprägt wurde.
Die Eltern hatten ihr Leben als aufgeklärte Hofjuden unter dem Ancien Régime verbracht und von der Emanzipation geträumt. Stürmische Zeiten durchlebten sie mit ihren Kindern, der Next Generation, denn die Auswirkungen der Revolution in Frankreich mit ihrer Auflösung der alten Ordnung wie auch die nachfolgenden Koalitionskriege unter Napoleon erschütterten den Kontinent.
Kaiser Josef II. hatte, als er die Macht 1780 übernahm, ohne Rücksicht auf gewachsene gesellschaftliche Gefüge stark ideologisierte, an der französischen Aufklärung geschulte Vorstellungen von „Reformen“ umgesetzt. Intellektuellen Gegenwind hatte er, anders als der französische König für seine Phantasmagorie einer konstitutionellen Monarchie, kaum zu befürchten, da nach dem brain drain der Gegenreformation das dazu fähige Personal schlicht nicht vorhanden war. Einzig die „Akatoliken“ und Juden wären ausreichend geschult; daher wurde ihnen mit den Toleranzpatenten via Integration der Wind aus den Segeln einer etwaigen politischen Radikalisierung genommen. Ludwig XVI. und Josefs II. Schwester, die Königin Marie Antoinette, Kinder ihrer Zeit wie er, waren gleichfalls begeistert von den Ideen Rousseaus und der Enzyklopädisten, sympathisierten mit der Verbürgerlichung, hatten aber keinerlei politisches Krisenmanagement entwickelt, mithilfe dessen sich ihre eigene, zunehmend bizarre Position mit den sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen ihrer Zeit vereinbaren hätte lassen, und wurden brutal beseitigt. Josefs II. Nachfolger machten dessen Änderungen prompt rückgängig.
Für die jüdischen Untertanen Habsburgs bedeutete das ein Wechselbad erst zurückgeschraubter, dann wieder vermehrter rechtlicher Einschränkungen. Wie sich die turbulenten Rahmenbedingungen auf private Bereiche auswirkten, lässt sich anhand biografischer Details der Familien Arnstein und Eskeles – bestens dokumentierte (auch überwachte) Personenkreise der aufgeklärten Gesellschaft Wiens – ablesen.
Nathan Adam Arnstein war ebenso Nachkomme einer Hofjuden-Familie wie seine spätere Ehefrau Fanny Feigele Itzig, sein Geschäftspartner Bernhard Berusch Eskeles war ebenso Nachkomme eines Landes-Rabbiners (Mährens) wie seine spätere Ehefrau Cäcilie Zippora Itzig (Berlins). Gemeinsam mit Bernhards Schwester Eleonore Fliess, deren unangetrautem Partner, Josephs II. Privatsekretär Valentin Günther und dem noch ledigen Wolfgang Amadeus Mozart lebten sie als junge Leute in einer Art anarchischer Wohngemeinschaft, die sich am ehesten mit flower power umschreiben lässt, Patchworkfamilie inklusive. Bernhard Eskeles und Cäcilie Wulff geb. Itzig heirateten erst achtzehn Jahre später, 1800, kurz vor der Hochzeit ihrer Nichte Henriette mit dem Nachkommen der alteingesessenen Amsterdamer sefardischen Familie Pereira 1802.
Die insgesamt drei Kinder des Itzig-Schwesternpaares, Henriette, Maria Anna Cäcilia und Daniel Denis traten allesamt zum Katholizismus über, auch deren Kinder wurden ohne Umschweife getauft. Dies ist umso erstaunlicher, als sich noch im Jahr des Juden-Toleranzpatents 1782 Bernhards Schwester Eleonore gegen ihren ersten Ehemann aus dem Berliner Itzig-Clan auf der jüdischen Seite positionierte, ihn verliess, die moderne long distance-relationship wurde geschieden, er trat zum evangelischen Glauben über – genauso wie Fannys Schwester Cäcilie, die ihren Mann, einen Neffen ihrer Mutter, verliess und Jüdin blieb, 1789 konvertierte er zum Christentum.
Die entscheidende Veränderung passierte demnach zwischen 1782 und 1810, als Fannys Tochter Henriette und Heinrich Aron Pereira-Arnstein, der im selben Jahr adoptierte Schwiegersohn, schliesslich katholisch wurden. Die beiden ältesten Arnstein-Enkelkinder, Ludwig und Adolf, hatten sie bereits zuvor (!) mit Billigung des Wiener Kardinals und gegen das Gesetz heimlich taufen lassen; als Pate stellte sich Maria Theresias Berater Josef von Sonnenfels, ein Enkel des Brandenburger Landesrabbiners zur Verfügung. Er war am Sitz des mährischen Landesrabbinats, dem bedeutenden jüdischen Gelehrtenzentrum Nikolsburg aufgewachsen, sein Taufpate war der dortige Grundherr, der Freiherr von Dietrichstein (seine Mutter blieb Jüdin). Es wirkt wie eine Palastrevolution der Next Generation, ähnlich jener von Tamino und Pamina aus Mozarts Zauberflöte in der Volksoperninszenierung 2024, wenn die Kinder sich so dezidiert und endgültig von Judentum, aber auch vom seitens des deutschen Reformjudentums begeistert imitierten evangelischen Reformchristentum ab- und stattdessen nicht etwa einem religionskritischen (Natur)wissenschaftsglauben, sondern ausgerechnet dem verstaubten habsburgischen Katholizismus zuwenden. Lessings Ringparabel der Grosselterngeneration erfährt damit eine unerwartete Wendung.
Alle Abbildungen: JEA, mit freundlicher Genehmigung.
Nachlese
T. Walzer, Zur Geschichte der Familie Arnstein: Teil I, DAVID 133, Sommer 2022; Teil II, DAVID 135, Chanukka 5783/Dezember 2022.
T. Walzer, Zur Geschichte der Familie Eskeles: Teil I, DAVID 127, Chanukka 5781/Dezember 2020; Teil II, DAVID 129, Sommer 2021; Teil III, DAVID 131, Chanukka 5782/Dezember 2021.
W. Winterstein, Jüdisches Erbe, Restaurierungsarbeiten der Grabsteine Arnstein und Eskeles, DAVID 123, Chanukka 5780/Dezember 2019.
Teil II folgt in der kommenden Ausgabe, Heft 142, Rosch Haschana 5785/September 2024.
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