Ausgabe

Ybbs eine verschwundene jüdische Gemeinde

Michael Bittner

Ybbs ist Österreich. Vorarlberg könnte Schweiz sein, Tirol Bayern, Kärnten  Jugoslawien, Burgenland Ungarn und Wien natürlich Balkan – aber Ybbs ist unzweifelhaft Österreich, seit über einem Jahrtausend.1 Daher war der Aufenthalt für Juden 1670 bis 1848 verboten und heute gibt es wieder keine Juden mehr in der Stadt an der Donau.2

Inhalt

Hier erinnert kaum mehr etwas an die jüdische Gemeinde, die von 1892 bis 1938 bestand. Es gibt auch nur wenige Unterlagen; für die meisten jüdischen Familien war das Mostviertel ein Durchgangsgebiet von Böhmen, Mähren oder Galizien nach Wien, obwohl sich einige hier niederliessen und im benachbarten Kemmelbach eine Synagoge bauten.3 Auf den schön restaurierten Grabsteinen des Ybbser Friedhofs kann man überwiegend deutsche Namen lesen: Sommer, Adler, Thierfeld, Greger, Mahler, Hoffmann, Schön, Schulz, Taussig, Weiner, Weiss, auch ein paar tschechische sind dabei. Die häufigste Berufsbezeichnung ist „Kaufmann“. Der Friedhof wurde zur Begräbnisstätte von Juden im gesamten westlichen Niederösterreich, 1894 begründet, wurde er 1944 von den Nazis abgeräumt, rund 300 Steine wurden von der SS an einen Amstettner Steinmetzbetrieb verkauft, der erst 1961 einhundert davon zurückgab.4

 

Das Tahara-Haus blieb erhalten, errichtet um 1900 in einem orientalisch-modernistischen Stil. Angebaut ist die Wohnung des Friedhofswärters, die von eher unangenehmen Leuten (mit Hund) bis in die 2000er Jahre bewohnt wurde, jetzt steht sie leer. Durch ein schmiedeeisernes rostiges Gittertor (nicht mehr sicher genug für unsere Sicherheits-süchtige Zeit) gelangt man in die etwa 3.000 Quadratmeter grosse, ummauerte Anlage. Sie entspricht nicht dem Eindruck eines jüdischen Friedhofs, eine doppelte Reihe von Grabsteinen in der Mittelachse, militärisch in Reih-und-Glied, sonst leere Grünflächen, das erinnert eher an einen preussischen Exerzierplatz. 

 

Einige Prominente, wie die Familie Mahler und der frühere Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, George Wozasek, haben schöne Extraplätzchen bekommen. Diese Aufstellung erfolgte, weil man bei der Renovierung die Steine nicht mehr den Grabstätten zuordnen konnte, es gibt keine Bestandslisten mehr. Die Erforschung übernahmen Schulklassen (schon 2002), klar, das kostet nichts, aber ob es auch wissenschaftliche Erkenntnis bringt, sei dahingestellt.5 

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Tahara-Haus, Jüdischer Friedhof Ybbs-Göttsbach.

 

Jedenfalls ist nichts Schriftliches dabei entstanden, es gibt auch keine ältere Literatur, selbst die Heimatforscher produzieren nichts zum Thema. Auf dem Gelände gibt es noch Gedenktafeln und Stelen, die an die Shoa erinnern und Widerstandskämpfer ehren.6 Der Friedhof wird von der Stadtgemeinde Ybbs seit 2013 vorbildlich gepflegt und immer wieder renoviert.7 Es gibt daneben noch einen zweiten, den „alten“ Friedhof,8 der in einem Waldstück Am Kirl liegt und von der Natur fast völlig vereinnahmt ist, er ist Privatbesitz, steht aber nicht unter Denkmalschutz.9

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Grabsteinreihe, Jüdischer Friedhof Ybbs-Göttsbach.

An einem heissen Sonntag im April treffe ich dort den zuständigen Stadtrat, Peter Blessky (SPÖ). Er nimmt seine Aufgabe sehr ernst und er meint es sehr gut, umso schlimmer ist der Umstand, dass da offenbar einer ein Vorhangschloss auf das Gittertor gehängt hat und so verhindert, dass wir den Friedhof besichtigen können. Ich äussere meinen Verdacht, dass dies ein Ultraorthodoxer gewesen sei, da ich solche Dinge schon anderswo erlebt habe – ein solcher will nicht, dass Menschen den Friedhof betreten und die Ruhe der Toten stören könnten. Die fremdartige Mentalität ist dem Stadtrat nicht geläufig, er versteht nicht, dass man seine Arbeit torpediert, die er gerne und ausdauernd macht. Herr Blessky erzählt mir von den Schwierigkeiten, mit denen er kämpfen muss, den widersprüchlichen Aussagen der Vertreter der Grundeigentümerin, der IKG Wien, wo immer jemand anderer zuständig ist. Es geht alles zu langsam und zu kompliziert und seine Vorschläge werden abgelehnt, obwohl er sie gut meint; vereinbarte Projekte verlaufen im Sand. Einmal, 2019, gab es einen Vandalenakt, ein Fenster wurde eingeworfen, aber es gab keine grossen Schäden; überhaupt nehmen die Einheimischen vom Friedhof wenig Notiz.10 

 

Es ist vielleicht typisch für Österreich, dass man das jüdische „Erbe“ links liegen lässt, ignoriert und meint „das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, was man lässt“,11 obwohl der Vers von einem Deutschen stammt. Herr Blessky muss jetzt wieder in Wien anrufen, ein Handwerker soll kommen und das Vorhangschloss entfernen, damit der Friedhof gemäht werden kann. Es kann sehr frustrierend sein, für einen jüdischen Friedhof verantwortlich zu sein, wenn man es gut meint und gut machen will. Ein österreichisches Schicksal,12 ist man versucht, zu sagen.

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 Gräber, Jüdischer Friedhof Ybbs-Göttsbach.

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Friedhofstor, Jüdischer Friedhof Ybbs-Göttsbach.

 

Anmerkungen

1 Brunner, Karl: Herzogtümer und Marken. Vom Ungarnsturm bis ins 12. Jahrhundert. (Österreichische Geschichte, hg. Wolfram, Herwig), Wien 1994, S. 170.

2 Brugger, Eveline; Keil, Martha; Lichtblau, Albert; Lind, Christoph; Staudinger, Barbara: Geschichte der Juden in Österreich (Wien 2006), S. 339.

3 https://www.derstandard.at/story/1338558914177/neue-buchreihe-juedisches-leben-vom-mostviertel-in-die-ganze-welt abgerufen 29.02.2024, der Quellenlink führt nirgendwo hin.

4 https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdischer_Friedhof_Ybbs_an_der_Donau abgerufen 29.02.2024. Die Quellenlinks führen in die Irre.

5 https://www.nationalfonds.org/detailansicht/1504, abgerufen 29.02.2024.

6 https://rote-spuren.gpa.at/2015/05/21/juedischer-friedhof-in-ybbs/, abgerufen 29.02.2024.

7 https://www.friedhofsfonds.org/detailansicht/24, abgerufen 29.02.2024.

8 Walzer,Tina: Jüdische Friedhöfe in Österreich und den europäischen Ländern, In: Theune, Claudia, Walzer, Tina (Hg.), Jüdische Friedhöfe. Kultstätte, Erinnerungsort, Denkmal (Wien-Köln-Weimar 2011) S. 11.

9 https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_denkmalgesch%C3%BCtzten_Objekte_in_Ybbs_an_der_Donau, abgerufen am 07.04.2024.

10 https://www.erinnern.at/themen/e_bibliothek/miscellen/juedischer-friedhof-ybbs-geschaendet, abgerufen 29.02.2024.

11 Wilhelm Busch, Die fromme Helene (1872).

12 https://www.furche.at/philosophie-ethik/ein-oesterreichisches-schicksal-6569687, abgerufen 28.04.2024. 

 

Alle Fotos: Ingrid Bittner, mit freundlicher Genehmigung.