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Chat-GPT und die Vision einer Künstlichen intelligenz von Leo Silberstein- Gilbert

Nathanael Riemer

Der 30. November 2022 war ein besonderer Tag, ein historischer Tag, an den sich viele Schüler und Lehrer, Studenten und Wissenschaftler, Journalisten und Künstler noch lange zurück erinnern werden. 

Das Anfertigen von Schulaufsätzen und Seminararbeiten, das Ghostwriting für Reden und Autobiografien sowie das selbstständige Erstellen von Fotos und Gemälden scheinen nun endgültig der Vergangenheit anzugehören. 

Inhalt

An diesem Tag wurde der ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer) freigeschaltet und ging – befördert durch zahlreiche Hoffnungen und Ängste – sofort viral. Es handelt sich hierbei um einen Chatbot des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI.1 ChatGPT kann auf der Grundlage einer sogenannten künstlichen Intelligenz (KI, engl. AI) mit den Nutzern so eloquent Textnachrichten austauschen, dass der Eindruck entsteht, man unterhalte sich mit einem Menschen. 

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Leo Gilbert, Seine Exzellenz der Automat. Erstausgabe, Berlin und Leipzig: Schuster&Loeffler, 1907.

Das Besondere an ChatGPT und verwandten Programmen ist weniger in diesen lebensecht wirkenden Dialogen zu suchen. Vielmehr besteht das Revolutionäre darin, dass man ihnen die Aufgabe stellen kann, einen Text zu einem bestimmten Thema zu verfassen oder ein Problem zu erörtern und wirklich nur kurze Zeit später ein recht passables Ergebnis erhält. Inzwischen existieren ähnliche KIs, die nach Eingaben Kunstwerke anfertigen, von denen einige bereits mit Preisen ausgezeichnet wurden. Warum auch nicht? Neben den Aktionären der einschlägigen Unternehmen dürften es vor allem die Schüler gewesen sein, die sich am meisten über diese Nachricht freuten. Denn bei den Ergebnissen ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, ob sie von einem menschlichen Urheber stammen oder von einer KI verfasst wurden. Häufig sind die Texte einer KI stilistisch wesentlich eloquenter und auch eher fehlerfrei als die Elaborate menschlicher Gehirne. 

 

Für Sam Altman, Mitbegründer und CEO von OpenAI be­ziehungsweise ChatGPT, stellt die Entwicklung künstlicher Intelligenz eine Revolution dar, für die die oben beschriebenen kognitiven Leistungen lediglich kreative Aufwärmübungen sind. Würde künstliche Intelligenz in der Wirtschaft eingesetzt, so könnte sie seiner Meinung zufolge ihre revolutionäre Macht entfalten:

„Diese Revolution wird phänomenalen Wohlstand schaffen. Der Preis für viele Arten von Arbeit (der die Kosten für Waren und Dienstleistungen bestimmt) wird gegen Null sinken, sobald eine ausreichend leistungsfähige KI ‘zur Belegschaft stösst’. [...] Da die KI den Grossteil der grundlegenden Güter und Dienstleistungen der Welt produziert, werden die Menschen mehr Zeit haben, um mit den Menschen zu verbringen, die ihnen wichtig sind, sich um Menschen zu kümmern, Kunst und Natur zu schätzen oder sich für das Gemeinwohl einzusetzen. [...] Eine grossartige Zukunft ist nicht kompliziert: Wir brauchen Technologie, um mehr Wohlstand zu schaffen, und eine Politik, um ihn gerecht zu verteilen. Alles Notwendige wird billig sein, und jeder wird genug Geld haben, um es sich leisten zu können. Da dieses System enorm populär sein wird, werden politische Entscheidungsträger, die sich frühzeitig darauf einlassen, belohnt: Sie werden selbst enorm populär werden. [...] Die kommenden Veränderungen sind unaufhaltsam. Wenn wir sie annehmen und für sie planen, können wir sie nutzen, um eine viel gerechtere, glücklichere und wohlhabendere Gesellschaft zu schaffen. Die Zukunft kann fast unvorstellbar grossartig sein.“2

 

Dabei ist die Vorstellung einer künstlichen Intelligenz, die perfekt zu kommunizieren versteht und sogar wirtschaftlich erfolgreich tätig wird, nicht allzu neu. Denn der jüdische Ingenieur und Technikjournalist Leo Silberstein-Gilbert stellte in seinem 1907 erschienen Science Fiction-Roman „Seine Exzellenz der Automat“ dem stummen und geistlosen Golem Prags einen technisch brillanteren Cousin zur Seite, der innerhalb kurzer Zeit weitaus mehr Fähigkeiten und Erfolge aufzuweisen vermochte.3 Die Rede ist von einem Androiden, der mit einem Sprachautomaten ausgestattet ist, welcher auf Stichworte hin unzählige, variabel einsetzbare Elemente von Dialogen, Reden und auch Zoten wiedergibt. Im Roman wird diese „Maschine“ als Android bezeichnet, ist jedoch mehr als ein willenloser, menschenähnlicher Roboter. Denn während einer Veranstaltung, in der er an Investoren verkauft werden soll, ergreift er die Flucht und entscheidet sich dazu, als Grossindustrieller der Wirtschaft zu helfen. Und schon bald liegt ihm die ganze Welt zu Füssen.

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Silberstein-Gilbert in Kürschners Litteraturkalender 1895-1.

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Brief Silberstein-Gilbert an Albert Einstein, 30.08.1920.

Leo Silberstein, auch unter dem Namen Leo Gilbert bekannt, wurde am 28. Dezember 1861 als Kind jüdischer Eltern im rumänischen Galați am Unterlauf der Donau geboren. Der Nachwelt hat er zwar zahlreiche Artikel, jedoch nur wenige Informationen über sein Leben hinterlassen. Zahlreiche Details können nur nach aufwendigen Recherchen in Archiven, historischen Zeitungsbeständen und Gelehrtenkalendern ermittelt werden. Lediglich über den Besuch einer Mittelschule in Aarau (Schweiz) und sein Ingenieurstudium an dem damals jungen Eidgenössischen Polytechnikum Zürich teilt er persönliche Dinge mit.4 Denn in Zürich begeisterte er sich für Ernst Haeckel und den Monismus: 

„Ich erinnere mich des tiefen und umwälzenden Eindrucks, den auf uns junge Leute – ich studierte damals in Zürich – die Haeckelsche Darstellung der menschlichen Keimesgeschichte machte und wie sie für unsere Weltanschauung grundlegend wurde. Schon vorher war ich in der trefflichen Mittelschule zu Aarau auf den Darwinismus gründlich vorbereitet worden. Biologie und Physik, wie alle Wirklichkeitswissenschaften, bilden die Einbruchsstationen in die Philosophie. Daher werden solche Erkenntnisse besonders wertvoll, die für ein Sturmlaufen gegen veraltete und verrostete Anschauungen günstige Einfallstellen eröffnen.5

 

Zwischen den Jahren 1890 und 1904 arbeitete Silberstein-Gilbert als Wissenschaftsjournalist in Berlin.6 Als kurz nach der Jahrhundertwende die Wiener Zeit als Tageszeitung gegründet wurde, übernahm Silberstein-Gilbert die Leitung von deren naturwissenschaftlicher Redaktion. Sein erzählerisches Talent, komplexe technische Prozesse und neue Erfindungen verständlich und spannend zu vermitteln, ist allen seinen Reportagen anzumerken. Dadurch avancierte er zu einem gefragten Feuilletonisten für zahlreiche andere Tageszeitungen und Zeitschriften wie zum Beispiel die Neue Freie Presse, die Frankfurter Zeitung, das Berliner Tagblatt, die Gartenlaube, die New York Times7 und den Scientific American.8 Sein Publikum lernte ihn über seine Texte und Vorträge als fortschrittsorientierten und universalistisch gebildeten Intellektuellen kennen. 

 

Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs veröffentlicht Silberstein-Gilbert zwei naturwissenschaftliche Bücher mit den Titeln Neue Energetik (1912) und Das Relativitätsprinzip (1914), in denen er sich unter anderem auch an Albert Einsteins Relativitätstheorie abarbeitet. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, ihm im Jahr 1920, als der Diskurs um die Relativitätstheorie den sachlich-wissenschaftlichen Rahmen verliess und in persönlichen Angriffen gegen das Physikgenie ausartete, einen solidarischen Brief zu schreiben, der mit den Worten beginnt: 

„Als der entschiedenste Gegner Ihrer ’Speziellen‘ Relativitäts-Theorie muss ich mich mit ebenso solcher Entschiedenheit gegen die Hetze erklären, die jetzt in Berlin gegen Sie begonnen wurde. Die ausserordentliche Feinheit in der Verwendung wichtiger Grundlagen des Denkens zum Aufbau einer neuen Hypothese wird Ihre Arbeit zu einer äusserst wertvollen machen, insofern der Geist der Physiker in der Beschäftigung mit diesem Problem eine Schulung in <den> erkenntnisskritischen Elementen erfährt, die ihm bisher fehlten. [...] Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung[,] Ihr Sie als Forscher besonders hochschätzender Leo Gilbert.“9

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Buchcover der Neuausgabe 2023

Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb Silberstein-Gilbert aktiv. So trat er als Redner auf Wissenschaftstagungen sowie als Kursleiter in der Wiener Urania in Erscheinung. Seine beliebtesten Themen waren die „Fundamente des exakten Wissens“, technologische und philosophische Themen. Silberstein-Gilbert verstarb am 7. März 1932 in Wien und wurde (aus unbekannten Gründen) erst am 4. Oktober des Jahres in einem Familiengrab der Goldscheids auf dem Hietzinger Friedhof (ebenfalls Wien) bestattet.10

 

Mit der Nationalratswahl 1930 sowie der Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien 1932 setzten die politischen Transformationsprozesse des Nationalsozialismus ein. Es verwundert wenig, dass auch der Roman Seine Exzellenz – der Automat spätestens ab diesem Zeitpunkt in die Apparate der vorauseilenden und partei-behördlichen Zensur geriet, die ihn als einen Angriff auf ihre Regierungsweise und Ideologie verstand. Bereits 1913 hatte Philipp Stauff in seinem berüchtigten Semi-Kürschner Autor und Werk als „jüdisch“ markiert.11 Mit dem darauf basierenden Verzeichnis Jüdischer Autoren schuf die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums ein Hilfsmittel, das die nahezu vollständige Eliminierung von Autor und Werk erklärt: Der Roman wurde aus den Bibliotheken aussortiert, die sich im Herrschaftsbereich des NS-Regimes befanden, sodass Autor und Buch nahezu in Vergessenheit geraten sind.12 Es ist ausgerechnet den Hinweisen der NS-Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Frenzel zu „verdanken“, dass dieses Buch wiederentdeckt werden konnte.13

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Zeitungsausschnitt: Nachruf auf Leo Gilbert, In: Der Abend, 1932.

Hauptfigur des Science-Fiction-Romans ist der skandinavische Ingenieur Frithjof Andersen,14 der vor seiner neugierigen Nachbarschaft „die ungeheuerlichsten Dinge“ verbirgt. Zunächst gelingt es lediglich der Vermieterin, einen Blick in eine schlecht verschlossene Kiste in der geräumigen Wohnung des Junggesellen zu werfen. Hier entdeckt sie Gerippe und andere menschliche Gliedmassen, deren Ursprung ihr höchst verdächtig sind und bald das ganze Haus in Aufruhr versetzen. Es stellt sich heraus, dass der hier einsam hausende Erfinder einen alten Traum respektive Alptraum der Menschheit zu realisieren versucht. Auf die enthusiastisch-progressiv vorgetragene Frage: „Was wird der Mensch noch schaffen! Was wird der Mensch noch erfinden?!“ antwortet der Doktor schlicht: „Den Menschen!“15

 

Durch zwei anwesende junge Damen animiert, lässt sich Frithjof Andersen dazu hinreissen, seiner Nachbarschaft das geheime Projekt zu zeigen, an dem er bereits seit zehn Jahren arbeitet. 

 

Bei der Ausgestaltung der Handlung bedient sich Silberstein-Gilbert einzelner Motive aus Mary Shellys Briefroman Frankenstein oder Der moderne Prometheus (1818), verändert diese jedoch massgeblich.

 

„Der Doktor trat an den grossen, ehernen Sarkophag heran. Es war ein Doppelkasten; erst wurden die beiden schweren englischen Vorlegeschlösser des Eisengehäuses abgenommen. Die Spannung machte die Gesellschaft sehr lebhaft. Besonders die Damen umdrängten den Doktor neugierig: ’Ein Mensch, ein künstlicher Mensch?‘ Jetzt öffnete der Doktor den Deckel des inneren hölzernen Sarges. Aber die Anwesenden konnten nur einen einzigen Blick erhaschen. [...] Es schwirrte vor ihrem Geiste wie menschen ähnliches Gebilde, Kopf, Leib, Glieder angefüllt mit metallenem Triebwerk. Stählerne Stücke, Hebeln, Drahtsehnen, wimmelndes Räderwerk. Insbesondere der blutrote Kopf, hautlos und fleischig [...], hatte eine Fülle kleiner und kleinster Rädchen gezeigt. Bronzene Spindeln, blaue Uhrfedern, Windfahnen, endlose Schrauben, stiftenstarrende Walzen, die an silberne Igel erinnerten, viel zierliche Ketten, Zacken und Zähnchen, die alle zwangsmässige Gedankengänge darstellten, kluge Berechnungen, Witze, geistreiche Worte.“16

 

Der geniale Erfinder wartet nur darauf, dass er von einer der ersten Gummi- und Zelluloidfabriken die Gummihaut geliefert bekommt, um mit ihr das mechanische Wunderwerk zu überziehen. Wie der Fabrikant Frithjof Andersen garantierte,

 „soll sie an Treue und Natürlichkeit alles bisherige in den Schatten stellen. Wenn sie so ist, wie er versprochen, zart und dehnsam, durchschimmernd wie echte Menschenhaut, mit dem blauen Geäder feiner Gummiröhrchen, die sich wie Blutgefässe zusammenziehen und ihren roten Inhalt überall hin dirigieren, dass die Haut errötet und erblasst [...], dann darf mein Android in die Haut fahren.“17

 

Anders als Frankenstein verfügt der Android bereits vor seiner Belebung über ein vollständiges Sprachvermögen, das durch einen perfekten „Phonographen“ erzeugt wird. Es vereinigt in sich eine Aufnahme- und Wiedergabefunktion. Ein Metallplättchen nimmt nicht nur die Tonschwingungen auf und ritzt sie in einer Walze ein, sondern belebt die gesamte Mimik des Gummigesichts.18

 

Der Meister Frithjof Andersen konzipiert seinen künstlichen Menschen lediglich als humanoiden Roboter, rechnet jedoch nicht mit seinem Gehilfen Gunnar, der offensichtlich an einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet. So scheint Gunnar sich im Gehirn des künstlichen Menschen besser auszukennen als sein Herr und Meister und macht das vollkommene Werk noch vollkommener, indem er ihm, von Frithjof unbemerkt, einen eigenen Willen und die Möglichkeit des Selbstlernens einpflanzt. Erst dadurch wird der humanoide Roboter zu einer Künstlichen Intelligenz:

„Der Android war keine Puppe mehr; er war die Organisation zahlreicher Elementarenergien, die dunkel in ihrem Schlaf der Materie ruhten und die jäh irgendein Unheil auslösen konnten. Er war eine geistige Dynamitpatrone, besass, schlummernd in Harmlosigkeit, eine unberechenbare Schicksalsgewalt; er konnte den furchtbarsten elektrischen Funken spritzen, der je Menschengeschicke gesprengt: das Wort.“19

 

Unter verbalen Drohungen verschwindet der Android vor den Augen seines überforderten Schöpfers und beginnt ein unkontrollierbares Eigenleben zu führen. Während ihm innerhalb kürzester Zeit eine steile Karriere in der Gesellschaft gelingt, spannt er Frithjof Andersen nebenbei die Braut aus und wird schliesslich vom König sogar zum Minister ernannt. Als der Android einen Krieg vorzubereiten beginnt, versucht sein Schöpfer verzweifelt, das scheinbar Unabänderliche zu verhindern. Schon sieht er vor seinem geistigen Auge unzählige Menschen zwischen den Mahlsteinen des Krieges zerreissen und dem Schlund des Todes entgegenrasen:

 

„Er berechnete Hunderttausende Jahre von Zucht- und Erziehungsarbeit, von Elternsorge und Hoffnungsringen, die in diesem Blutsumpf ersticken sollten! [...] Das Los eines Volkes abhängig von einer einzigen verdorbenen Puppe!“20

 

Weltuntergangs-Szenarien

Glücklicherweise handelt es sich bei diesem überaus spannend und geistreich geschriebenen Buch um eine fiktive Handlung. Dennoch kann sich beim Lesen eine gewisse Beklemmung einstellen. Es mag durchaus als sehr irritierend empfunden werden, dass Leo Silberstein-Gilbert sieben Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges just solche Szenen der Kriegsbegeisterung beschreibt, wie sie sich Anfang 1914 in Europa ereigneten, die ihm schon eine prophetische Gabe bescheinigen könnten. Vor allem vor dem Hintergrund der Debatten über die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz erhält der Roman heute eine Aktualität von enormer Brisanz.

 

Im Zuge dieser Diskussionen warnen unisono Unternehmenseigentümer, Finanziers, Entwickler und Kritiker von KIs vor der aufziehenden Katastrophe, die nur eine Frage der Zeit zu sein scheint. So erklärt das Center for AI Safety in seinem kürzlich veröffentlichtem „Statement on AI Risk“: 

„Das Risiko einer Vernichtung durch KI zu verringern, sollte eine globale Priorität neben anderen Risiken gesellschaftlichen Ausmasses sein, wie etwa Pandemien und Atomkrieg.“21

 

Das Future of Life Institute alarmierte bereits im Jahr 2018 mit möglichen Weltuntergangs-Szenarien angesichts Künstlicher Intelligenz: Eine KI kann programmiert werden, „etwas Zerstörerisches zu tun. Autonome Waffen sind künstliche Intelligenzsysteme, die programmiert sind zu töten. In den falschen Händen können sie leicht grosse Mengen an Opfern fordern. Schlimmer noch, ein KI-Rüstungsrennen könnte zu einem unvermeidlichen KI-Krieg führen, unzählige Tote wären die Folge.“22 Weitaus direkter formuliert es die Süddeutsche Zeitung in einem 2021 publizierten Beitrag: „Revolutionäre Militärtechnik macht es möglich, dass KI autonom einen Atomschlag auslösen könnte. Wird der Mensch überflüssig und steigt so die Kriegsgefahr?“23 

Armageddon!, mag das Lesepublikum denken. Sicherlich spielten bei diesen und ähnlichen Kassandra-Rufen die Generierung von Aufmerksamkeit und wirtschaftliche Interesse eine Rolle, doch scheint die Büchse der Pandora schon vor geraumer Zeit vollständig geöffnet worden zu sein. Andererseits könnte es sich bei diesen Befürchtungen lediglich um Ängste handeln, die die technischen Entwicklungsprozesse der Menschheitsgeschichte begleiten, welche letztendlich den Wohlstand von einigen befördern können.

 

Nachlese

Leo Gilbert: Seine Exzellenz der Android. Ein phantastisch-satirischer Roman. Mit einem Geleitwort von Rudolf Goldscheid und einem Nachwort zur Neuausgabe von Nathanael Riemer. Frankfurt am Main: Westend, 2023.

 

Anmerkungen

1 John  Markoff: Artificial-Intelligence Research Center Is Founded by Silicon Valley Investors. In: The New York Times (11.12.2015) https://www.nytimes.com/2015/12/12/science/artificial-intelligence-research-center-is-founded-by-silicon-valley-investors.html, letzter Zugriff am 19.06.2023.

2 Sam Altman: Moore’s Law for Everything (16.3.2021) https://moores.samaltman.com/, letzter Zugriff am 19.06.2023.

3 Leo Gilbert: Seine Exzellenz der Android. Ein phantastisch-satirischer Roman. Mit einem Geleitwort von Rudolf Goldscheid und einem Nachwort zur Neuausgabe von Nathanael Riemer, Frankfurt am Main 2023. Einzelne Abschnitte des folgenden Textes sind bereits in veränderter Form meines Nachwortes zur Neuausgabe des Romans erschienen.

4 Ob Silberstein-Gilbert tatsächlich auch an der Universität zu Berlin studiert hat, muss noch genauer erforscht werden. Siehe dazu Franz Planer (Hrsg.), Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft, Wien 1929, S. 383.

5 Leo Gilbert, [Zur Bedeutung Haeckels], in: Was wir Ernst Haeckel verdanken. Ein Buch der Verehrung und Dankbarkeit. Im Auftrag des Deutschen Monistenbundes herausgegeben von Heinrich Schmidt. Zweiter Band, Leipzig 1914, S. 285-290, hier S. 285.

6 Spätestens seit dem April des Jahres 1890 lebte und arbeitete Silberstein-Gilbert in Berlin und trägt zu diesem Zeitpunkt bereits den Ingenieurstitel. Vgl. die Ortsangabe unter der Rubrik „Zuschriften an die Redaktion“ zum Artikel „Kondensation und Kondensationsanlagen“, in: Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure, Bd. XXXIV (3.5.1890) Nr. 18, S. 433. Vgl. ferner Joseph Kürschner (Hrsg.), Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1895, Stuttgart 1895, Sp. 1181.

7 Franz Planer (Hrsg.), Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft, Wien 1929, S. 383.

8 Vgl. u.a. Leo Silberstein-Gilbert: Spark-Producing Metals, in: Scientific American, Vol. 98 (08.02.1908) Nr. 6, S. 97-98.

9 Brief von Leo [Silberstein-]Gilbert an Albert Einstein vom 30.08.1920, A. Einstein Archive, Jerusalem, 36-017, Bl. 1r, 2r-2v.

10 Friedhof Hietzing, Karteikarte HI-16-160/U1.

11 Philipp Stauff, Semi-Kürschner, oder, Literarisches Lexikon der Schriftsteller, Dichter, Bankiers, Geldleute, Ärzte, Schauspieler, Künstler, Musiker, Offiziere, Rechtsanwälte, Revolutionäre, Frauenrechtlerinnen, Sozialdemokraten usw. jüdischer Rasse und Versippung, die von 1813 – 1913 in Deutschland tätig oder bekannt waren, Berlin 1913, Sp. 121, 471.

12 Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums: Verzeichnis jüdischer Autoren vorläufige Zusammenstellung des Amtes Schrifttumspflege bei dem Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP und der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums, Teil 6: S-V, [Berlin 1939], S. 18.

13 Elisabeth Frenzel, Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Stuttgart 2008, S. 509.

14 Leo Silberstein-Gilbert bezeichnet den Protagonisten zunächst als Norweger; im weiteren Verlauf ist jedoch nur noch von dessen schwedischer Herkunft die Rede. Vgl. u.a. Gilbert: Seine Exzellenz der Android, S. 11 mit S. 84.

15 Gilbert: Seine Exzellenz der Android, S. 34.

16 Gilbert: Seine Exzellenz der Android, S. 42.

17 Gilbert: Seine Exzellenz der Android, S. 43.

18 Gilbert: Seine Exzellenz der Android, S. 33.

19 Gilbert: Seine Exzellenz der Android, S. 179.

20 Gilbert: Seine Exzellenz der Android, S. 294.

21 Center for AI Safety: Statement on AI Risk, https://www.safe.ai/statement-on-ai-risk, letzter Zugriff am 17.6.2023.

22 Future of Life Institute: Benefits & Risks of Artificial Intelligence German (9.2.2018), https://futureoflife.org/translation/benefits-risks-artificial-intelligence-german/, letzter Zugriff am 17.6.2023.

23 Oliver Wittowski: Künstliche Intelligenz. Atomkrieg aus Versehen (22.3.2021), https://www.swr.de/wissen/odysso/atomkrieg-aus-versehen-100.html, letzter Zugriff am 17.6.2023.

 

 

Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung N. Riemer.