Am 6. März 2024 wurde auf dem Friedhof Sha‘ar haChesed nahe Tel Aviv der 84-jährige Geigenbauer Amnon Weinstein s.A. in die Ewigkeit verabschiedet.
Zahlreiche Freunde erwiesen Amnon Weinstein in kurzen Ansprachen die letzte Ehre, unter anderem der weltbekannte Geigenvirtuose Schlomo Mintz mit einer selbst vorgetragenen Elegie. Auch er war einer von Weinsteins „Stammkunden“ gewesen.
Die Geigenbauer-Dynastie Weinstein ist vielen unbekannt. Amnons Grossmutter hatte ihrem Sohn in Brest-Litowsk aus einem Sauerkrautfass eine Geige gebastelt – und der kleine Moische interessierte sich seitdem nicht nur für das Musizieren darauf (er sollte bald das Konservatorium im litauischen Vilnius besuchen), sondern auch für die Anatomie des Instruments. Diese Leidenschaft machte er später in Tel Aviv, wohin er mit seiner jungen Frau Golde 1938 floh, zu seinem Beruf. In jenen Jahren und in der anschliessenden Gründungsphase Israels nahmen viele jüdische Kinder Geigenunterricht, und Moisches Werkstatt wurde jeden Tag von jungen Violinisten frequentiert. Von mehreren unter ihnen nahm er nicht einmal Geld an, und das Wichtigste war, dass er auch einige von ihnen zu fördern wusste. Eines dieser Kinder, deren grosse Zukunft er voraussah, war Schlomo Mintz.
Amnon Weinstein in seiner Werkstatt. Foto: Miki Koren.
Der 1939 in Tel Aviv geborene Amnon erlernte wie sein Vater schon in jungen Jahren das Geigenspiel, doch sein Hauptinteresse galt der Holzschnitzerei und Bildhauerei. Mit seinem handwerklichen Geschick in diesem Bereich kümmerte er sich um die Wartung und Reparatur aller Musikinstrumente des Armeeorchesters, dem er während seines Militärdienstes angehörte. Später studierte er mit Unterstützung seines Vaters Geigenbau im italienischen Cremona und begann schliesslich in der Familienwerkstatt zu arbeiten, die er nach dem Tode seines Vaters übernehmen sollte. Auch sein jetzt knapp fünfzigjähriger Sohn Avshalom („Avshi“) erlernte dieses Handwerk – soweit, dass er nun seit über zehn Jahren eine eigene Werkstatt in Istanbul unterhält und neben dem Verkauf von Eigenprodukten auch die Wartung aller Streichinstrumente namhafter türkischer Künstler und Orchester innehat.
Moische, der Shoah knapp entkommen, und sein Sohn Amnon wurden durch Freunde und Bekannte sowie durch jene vielen europäischen Einwanderer, die sie im Laufe der Zeit kennenlernten, „indirekte Zeugen“ dieses Albtraums. Vor allem osteuropäische Musiker, die für Reparaturen in ihre Werkstatt kamen, erzählten ihnen so manche aufwühlende, betrübliche Geschichte über die Streichinstrumente, die sie bei sich hatten. Im Laufe der Zeit begann Amnon Weinstein, derartige Geigen anzukaufen, so unter anderem das Instrument des „kleinen Motale“ Mordechai Schlein, der jeden Abend in einem von SS-Offizieren frequentierten Wirtshaus in Polen Geige gespielt und dieses schliesslich mit in seinem Geigenkasten eingeschmuggeltem Sprengstoff in die Luft gejagt hatte. Unter den unbezahlbaren historischen Geigen, die in Amnons Werkstatt landeten, befindet sich auch die einschlägig bekannte Zimmermann-Krongold-Violine mit einem eingravierten Davidstern und Yaakov Zimmermanns Widmung an Schimon Krongold von 1924 in ihrem Bauch.
Rückseite der Zimmermann-Krongold-Violine.
Anlässlich eines Interviews für die türkische Wochenzeitung Schalom, welches der Verfasser im Jahre 2000 mit dem türkischen Geigenvirtuosen Cihat Aşkın führte, entstand auf dessen Vorschlag das Projekt „Violinen der Schoah“, bei dem sein israelischer Freund Amnon einige dieser Geigen zum jährlichen Shoah-Gedenktag in der Istanbuler Neve-Schalom Synagoge vorstellen und Aşkın auf ihnen musizieren sollte – unter anderem Werke von Ernst Bloch und Joseph Achron. Dieses Vorhaben wurde von der lokalen jüdischen Gemeinde mit Begeisterung aufgenommen und fand bei seiner Premiere im Frühjahr so grossen Beifall, dass es ein Jahr später in einem komplett ausverkauften, grösseren Konzertsaal in Istanbul wiederholt werden musste.
Ermutigt durch die grosse Wertschätzung dieser Veranstaltungen in Istanbul organisierte Amnon mit Hilfe seines Sohnes und mit erstmaliger Unterstützung von Virtuosen wie Shlomo Mintz und Cihat Aşkın Dutzende von Konzerten unter dem Namen „Violins of Hope“, anschliessend auch mit unterschiedlichen Künstlern, aber immer mit demselben Konzept, in grossen Konzertsälen unter anderem in Jerusalem, Paris, London, Rom, Monte Carlo sowie in Charlotte und Cleveland, U.S.A. Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz im Jahre 2015 wurde Weinsteins Arbeit mit einer Ausstellung seiner historischen Geigen und einem Konzert der Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle gewürdigt.
Inschrift im Inneren der Zimmermann-Krongold-Violine.
Der Name Weinstein, gekoppelt mit „Violins of Hope“ ist inzwischen zu einem Markenzeichen geworden – er wurde in Dokumentarfilme (https://youtube/Bs9nlD-7S6k) und Bücher (James A. Grymes: Die Geigen des Amnon Weinstein; Open House, 2017 und Violins of Hope; Harper Perennial, 2014)) aufgenommen. Anlässlich seines Todes erreichte Amnons Sohn Avshalom am 7. März ein Kondolenzschreiben des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, K.W. Steinmeier:
„Ihr Vater war ein grosser Kämpfer für den Erhalt der Erinnerung an die Shoah. Mit seiner hingebungsvollen Restaurierung der Violins of Hope und seinen Recherchen zu den Überlebensgeschichten der einzelnen Instrumente schuf er zusammen mit Ihnen ein einzigartiges und einmaliges Gedenken an jüdische Musikerinnen und Musiker. Die Violins of Hope sind Symbole grossartiger jüdischer Musikgeschichte und gleichzeitig eine Mahnung an uns und nachfolgende Generationen, die Vergangenheit nicht zu vergessen. (…)Der Gedanke, dass es nun nicht mehr möglich ist, zusammen mit Ihrem Vater dem Klang der Violins of Hope zu lauschen, ihren Geschichten und dem Ausdruck der Hoffnung, der mit ihnen einhergeht, erfüllt mich mit grosser Traurigkeit. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass die Violinen weiterhin erklingen und die Herzen und Köpfe der Zuhörerinnen und Zuhörer erreichen und bewegen werden. Ich versichere Ihnen, dass mein Land und ich Ihrem Vater ein ehrendes Andenken bewahren werden.“
Die Welterfolge der „Violins of Hope“-Konzerte, geleitet von Avshalom Weinstein, gehen aber weiter, zuletzt im Mai und Juni dieses Jahres in Calgary, Canada – stets in Erinnerung an die Opfer der Shoah und nunmehr auch an Amnon Weinstein selbst.
Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung Avshalom Weinstein.