Ausgabe

Stanley Kubrick zum 25. Todestag

Michael Bittner

Stanley Kubrick, ein goldener Name, ein grosser Regisseur, vielleicht der grösste, der intellektuellste: er erhielt nie einen Oscar, obwohl er epochemachende Filme drehte, die allerdings vom breiten Publikum meist nicht sofort akzeptiert wurden.

Inhalt

In der Zeit der Videokassetten und später der DVDs passierte es mir einige Male, dass ich ein Exemplar kaufte oder geschenkt bekam, kurz den Anfang anschaute und dann das Ding in die „Nie-wieder-Ecke“ des Bücherschranks legte. Diese „unvollendeten“ Filme stammten fast immer von Stanley Kubrick oder von Michael Haneke. Eine grosse Hollywood-Karriere stellte sich bei Kubrick nicht ein, nachdem er sich mit Kirk Douglas überworfen hatte, einem Machtfaktor des Filmbusiness. Der junge Kubrick führte Regie in dem von Douglas produzierten Spartacus (1960), war aber unzufrieden, dass dieser ihm zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt hatte. Das Ergebnis enttäuschte Kubrick, obwohl er für seine Regiearbeit eine Golden-Globe-Nominierung bekam.1 So wurde er zum Aussenseiter des Filmbusiness, zum Einzelkämpfer – Schach war sein Zeitvertreib, und er war immer für Überraschungen gut. Verheiratet war er (nach zwei Fehlversuchen) mit Christiane Harlan – ob sie wohl beim Abendessen über Jud Süss diskutiert haben?2

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Stanley Kubrik im Trailer zu Dr. Strangelove. Quelle:   https://picryl.com/media/stanley-kubrick-in-dr-strangelove-trailer-4-e317ed

Die Filme, die Kubrick ab 1962 in England, seinem „Exilland“ drehte, wie Lolita nach und mit Vladimir Nabokov, und Dr. Seltsam: Wie ich lernte die Bombe zu lieben3 sind rückblickend nur Vorstudien für die bahnbrechenden Streifen, die mit 2001 – Odyssee im Weltraum (1968) begannen. Erstmals sind bei diesen Filmen auch Zitate aus der Bildenden Kunst, vor allem Op Art und Pop Art, verarbeitet.4  Dazu kommen die zentralperspektivischen Kamerafahrten, die in seinen späteren Filmen immer wiederkehren.5 1971 entstand mit Uhrwerk Orange ein weiteres neuartiges Werk, das mit seiner Gewaltverherrlichung heute anachronistisch wirkt – oder doch prophetisch, wenn man den Lokalteil der Zeitung liest? Sein Umgang mit Schauspielerinnen, so auch bei Shining (1980) würde heute als Skandal empfunden, und in den U.S.A. wären ihm Klagen und Rufmord sicher. Kubricks Beschäftigung mit englischer Kunst des Rokoko mündete in den Film Barry Lyndon (1975), der Zitate historischer Malerei (vor allem von Thomas Gainsborough) ins Bild setzt. Leider missbilligte das Publikum dieses künstlerische Epos, dafür beeinflusste es eine Generation von Filmemachern wie Peter Greenaway, Lars von Trier oder Peter Webber.6 Shining nach Stephen King spielte dafür genug Geld ein, um weitere Projekte zu ermöglichen, sogar mehr als Superman oder Der Exorzist, die beide ebenfalls von Warner Brothers produziert worden waren.7 King meinte zwar, dies sei die schlechteste Verfilmung aller seiner Romane gewesen, doch ermöglichte sie Kubricks Weiterarbeit, seine akribischen Recherchen, langwierigen Dreharbeiten und ständigen Zweifel bei der Auswahl der Takes.

 

Mit dem Timing seiner Veröffentlichungen hatte Kubrick meist Pech, er konnte seinen Holocaust-Film nicht fertigstellen, weil Steven Spielberg schneller war (Schindlers Liste), ebenso wurde Oliver Stone mit Platoon früher fertig als Kubrick mit Full Metal Jacket (1987), obwohl Stone später angefangen hatte. Der Vietnamkrieg-Streifen, zur Gänze in England gedreht, spielte schon im ersten Monat seine Herstellungskosten ein, doch Platoon gilt als der wichtigere Film zu diesem Thema.8 

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Stanley Kubrick, Butcher with Slab of Beef. Quelle: https://picryl.com/media/stanley-kubrick-butcher-with-slab-of-beef-cph3d02352-e7212e

Stanley Kubricks letzter Film wurde Eyes Wide Shut (1999) mit Nicole Kidman, eine Bearbeitung von Arthur Schnitzlers Traumnovelle“.9 Hier griff Kubrick auf die Idee der Leitfarben Rot (Leidenschaft), Gelb (Betrug) und Blau (Angst) zurück, wie sie Michelangelo Antonioni eingeführt hatte. Die Schauspieler mussten „Open-End-Verträge“ abschliessen und sich verpflichten, nicht vor Beendigung der Dreharbeiten abzureisen, gleichgültig, wie lange diese dauern würden – man wusste bei Kubrick ja nie, was ihm einfallen würde.10 Noch bevor der Streifen in die Kinos kommen konnte, starb der Regisseur am 7. März 1999 an einem Herzinfarkt.11

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Stanley Kubrick, A Clockwork Orange. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a1/Stanley_Kubrick_The_Exhibition_-_LACMA_-_A_Clockwork_Orange_-_Alex_suit_%288998528377%29.jpg

Die Filme des Meisterregisseurs beinhalten kaum jüdische Reminiszenzen, kaum jüdische Stoffe, nichts Talmudisches, keine Elemente der reichen jüdischen Überlieferung. Es war ihm offenbar nicht wichtig, als jüdischer Künstler wahrgenommen zu werden. „Künstler“, weil, im Gegensatz zu anderen Filmschaffenden, Kubrick sich selbst als Kunstfigur präsentierte, als eigenwilliger, widerspenstiger, autonomer, nur der Qualität seiner Filme verpflichteter Schöpfer moderner Epen. Unerbittlicher Kämpfer für die Perfektion, gegen die Interessen der Schauspieler, der Produzenten und der Techniker: dieses Bild vom Künstler Kubrick ist bis heute geblieben. Erwähnt man gesprächsweise, man habe sich Filme von Kubrick angesehen, erntet man bewunderndes Kopfnicken bei Cineasten, während der Konsum von Spielberg-Filmen nicht als Kunstgenuss angesehen wird. Stanley Kubrick gilt heute als eine Marke in der Kulturgeschichte, die für Qualität steht, ein Ziel, das er jahrzehntelang vor Augen hatte.

 

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Stanley Kubrick, Eyes Wide Shut. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/a/a9/Stanley_Kubrick_The_Exhibition_-_TIFF_-_Eyes_Wide_Shut_%2815779415434%29.jpg/1280px-Stanley_Kubrick_The_Exhibition_-_TIFF_-_Eyes_Wide_Shut_%2815779415434%29.jpg

 

Anmerkungen

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Spartacus_(1960), abgerufen 03.02.2024.

2 Christiane war die Nichte von Veit Harlan: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kunst-und-kultur/film-jud-suess.html, abgerufen 03.02.2024.

3 Paul Duncan, Stanley Kubrick, Taschen 2008, S.45ff.

4 Pier Marco de Santi, Cinema e pittura, Giunti Florenz o.J., S.58-60. Ganz zutreffend ist diese Einschätzung nicht, man denke an die Filme von Jean Renoir, dem Sohn des Malers Auguste Renoir, https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Fr%C3%BChst%C3%BCck_im_Gr%C3%BCnen_(Film), abgerufen 12.02.2024.

5 https://www.youtube.com/watch?v=CnSTIr6DZOo, abgerufen 24.01.2024.

6 https://de.wikipedia.org/wiki/Stanley_Kubrick, abgerufen 24.01.2024.

7 Duncan, Kubrick, S.80ff.

8 Duncan, Kubrick, S.88.

9 https://www.projekt-gutenberg.org/schnitzl/traumnov/traumnov.html, abgerufen 12.02.2024. Schon dreissig Jahre zuvor hatte der kürzlich verstorbene Wolfgang Glück den Stoff mit Karl Heinz Böhm in der Hauptrolle verfilmt; https://de.wikipedia.org/wiki/Traumnovelle#Rezeptionsgeschichte_und_Verfilmungen, abgerufen 03.02.2024.

10 https://www.imdb.com/title/tt0120663/, abgerufen 12.02.2024.

11 Duncan, Kubrick, S.89f.