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Ita Heinze-Greenberg
Ines Sonder und Joachim Trezib: Mit RASSCO siedeln. Transferwege der Deutschen Alija nach Palästina–Erez Israel.
Leipzig: Hentrich & Hentrich Verlag 2023.
Gebunden, 560 Seiten, Euro 35,00.-
ISBN: 978-3-95565-586-0
Schon das Coverfoto spricht Bände. Im öden steinigen Nirgendwo sind zwischen dornigem Gestrüpp willkürlich Objekte aus einer anderen Welt verteilt: gepolsterte Stühle, Matratzen, Schränke und Kommoden, Flokatiteppiche und eine Singer-Nähmaschine. Weiterer Hausrat steht in einer geöffneten, mannshohen, aus Holzlatten gezimmerten Kiste. Die im Migranten-Jargon als „Lift” bezeichneten Container dienten vielen Einwanderern nicht nur zur Verschickung ihres Hab und Guts, sondern oft auch als erste Unterkunft. Eine tatkräftige junge Frau in Shorts und kurzärmliger Bluse versucht allem Anschein nach Ordnung in das Tohuwabohu zu bringen, während ein im Vordergrund auf der Erde sitzendes Kind dem Chaos mit offensichtlicher Glückseligkeit begegnet. Im Hintergrund lugt die Zukunft hervor: ein simples, weiss verputztes Haus mit Ziegeldach. Frisch gewaschene Kleidungsstücke baumeln an einer Wäscheleine.
Das von den beiden mit dem Moses Mendelsohn Zentrum in Potsdam assoziierten Forschern Ines Sonder und Joachim Trezib vorgelegte Buch fokussiert einen besonderen Aspekt der Fünften Alija (Einwanderungswelle), die zwischen 1932 und 1940 etwa 60.000 Juden aus Deutschland nach Palästina brachte. Der Leser erfährt von den Schwierigkeiten des Umsiedelns und der Berufsumschichtung, von Rechtsanwälten, die sich auf die Hühnerzucht verlegten, vom Bauen und Leben am Existenzminimum, von Selbstversorgung und Hilfsorganisationen, vom Transfer jüdischen Besitzes. Im Speziellen geht es um den letzten Punkt, nämlich die – zumindest teilweise – Rettung jüdischen Vermögens über das im August 1933 zwischen der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, der Jewish Agency und dem deutschen Reichswirtschaftsministerium abgeschlossene Haavara- oder zu deutsch Transfer-Abkommen. Die Ausfuhr von Bargeld aus dem Reichsgebiet war für Emigranten auf ein verhältnismässig niedriges Limit beschränkt. Der abgeschlossene Deal, bei dem sich die nationalsozialistischen Machthaber eine Stärkung der deutschen Industrie erhofften, erlaubte den jüdischen Auswanderern den Erwerb deutscher Waren und ihre Überführung nach Palästina, wo der Erlös aus ihrem Verkauf an die Migranten zurückfloss. Einkauf und Verkauf der Produkte – überwiegend Baumaterialien – wurden von jüdischer Seite zunehmend zentral organisiert. Ende 1933 wurde zwecks effizienter Lancierung der Waren- und Kapitalströme aus Deutschland von der Jewish Agency in Tel Aviv die Baugesellschaft RASSCO (Rural and Suburban Settlement Company) gegründet. Ihr vorrangiges Ziel war die Errichtung von dringend benötigten Wohnhäusern, beziehungsweise ganzen Nachbarschaften, um den Neueinwanderern in der fremden Heimat eine existentielle Lebensgrundlage zu schaffen. Innerhalb weniger Jahre gelang es – mit Produkten „Made in (Nazi-)Germany” –, komplett neue Stadtteile, Vororte und Siedlungen zu bauen, welche die urbane, insbesondere die dörfliche Landschaft Palästinas/Israels entscheidend veränderten und prägten.
In der vorgelegten Publikation präsentiert Ines Sonder beispielhaft die Genese und die sozio-ökonomische Struktur von fünf in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre errichteten Mittelstandssiedlungen – vier landwirtschaftliche Dörfer und eine Gartenvorstadt. Der Aufbau und das Leben in den RASSCO-Siedlungen werden über zahlreiche Einzelschicksale anschaulich. Im vorangehenden ersten Teil der Studie geht Joachim Trezib den zugegebenermassen trockeneren formaljuristischen und prozeduralen Grundlagen des Haavara-Abkommens und der affiliierten Baugesellschaft RASSCO nach. Dieses von jüdischer Seite mitunter als „Pakt mit dem Teufel” empfundene Abkommen mit den nationalsozialistischen Machthabern sicherte vielen Immigranten den Neuanfang in Palästina.
Die Autoren schliessen mit ihrer exzellent recherchierten Arbeit eine wichtige Lücke in der Migrationsgeschichte der deutschen Juden. Ihr Text wird durch mehr als 120 Abbildungen illustriert, die überwiegend auf das Archiv des offiziellen Fotografen der RASSCO, Rudi Weissenstein, zurückgreifen. Dessen Entdeckung muss als ausserordentlicher Glücksfall bezeichnet werden. Mit seinen hier zum Teil erstmals publizierten Aufnahmen wird – wie die Autoren selbst schreiben – auch der visuellen Kultur der Fünften Alija ein gebührender Platz eingeräumt.