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Das ist Terrorimus Zur Graphic Novel „Die Synagoge“ von Joann Sfar

Günter Krenn

„Ich muss die Fans von Action warnen, dass niemand in dieser Geschichte sterben und dass es kaum echte Kämpfe geben wird“, bekennt Joann Sfar auf der ersten Seite seiner autobiographischen Graphic Novel „Die Synagoge“, die ihn im Jahr 1988 mit siebzehn Jahren zeigt, wie er eine Synagoge in Nizza bewacht. 

Inhalt

 

Joann Sfar bewacht die Synagoge in Nizza1 keineswegs aus Religiosität, sondern, weil ihm dort bei G`ttesdiensten stets langweilig wird – und er den Unmut seines Vaters mehr fürchtet als den Zorn G`ttes. Wie in seinen Geschichten üblich, wechselt der Autor geschickt die Zeit-Ebenen, springt ins Jahr 2020, als er, nun 49-jährig, an Die Synagoge arbeitet und eine COVID-Infektion nur knapp überlebt. Zwecks Inspiration und um seinen Lebenswillen zu stärken, imaginiert er sich im Krankenhaus einige seiner literarischen Vorbilder, wie die Autoren Joseph Kessel (1898–1979) und Romain Gary (1914–1980), anhand derer er die Geschichte des Antisemitismus in Frankreich von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart rekapituliert.

 

Die Zentralfigur der Geschichte ist jedoch sein Vater, der Rechtsanwalt André Sfar, der Gangster aus Nizza ebenso verteidigt wie er Neonazis anklagt und sich regelmässig um seiner Angelegenheiten willen prügelt. Dem Vorbild des wehrhaften Vaters folgend, trainiert Joann Kampfsportarten, doch sein Weg, sich mit seinen Gegnern auseinanderzusetzen, wird ein gänzlich anderer werden. Joanns Mutter stirbt, als er drei Jahre alt ist, man lügt ihn diesbezüglich jahrelang an, erzählt, sie wäre verreist. Als er die Wahrheit herausfindet, beschliesst er, künftig ebenfalls Geschichten zu erfinden, um der Realität beizukommen. So zumindest will er sich an die Bewältigung des kindlichen Schocks erinnern. 

 

Der 1971 in Nizza geborene Joann Sfar zählt als Comic-, Roman- und Drehbuchautor sowie Filmregisseur (Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte, 2010) zu den bekanntesten jüdischen Künstlern Frankreichs. Zu seinen erfolgreichsten Comics gehören die Serien Die Katze des Rabbiners (ab 2004), Desmodus der Vampir (ab 2005) und Klezmer (ab 2007). Sfar bezeichnet sich selbst als nicht religiös, sieht sein Judentum unter rein kulturellen Aspekten, scherzt jedoch selbstironisch, er würde es als G`ttesbeweis ansehen, dass dieser einem Juden, „der immer alles tat, um der Synagoge zu entkommen, einen Geldsegen dank des Werkes mit dem Titel Die Katze des Rabbiners beschert“. 

 

Wie in dem zitierten Werk bleibt Sfar auch in Die Synagoge seinem Stil treu: Sein Zeichenstrich ist bis ins Detail skizzenhaft, wobei er dennoch jede Emotion virtuos zu erfassen vermag. Koloriert wird das Album – wie seine Erfolgsserie Die Katze des Rabbiners – von den klaren Farben von Brigitte Findakly. Nicht die jeweilige Geschichte allein inspiriert Sfar in seinen Arbeiten, sondern stets auch deren möglicher Subtext. Letztendlich geht es Sfar immer um das Fabulieren, die Verzauberung seiner Wunden in eigenwillige Geschichten, die niemand ausser ihm so erzählen und zeichnen kann. Er schafft poetische Visionen, in denen alle möglichen (und unmöglichen) Akteurinnen und Akteure zu genuinen Sfar-Figuren werden. 

 

Wie bei vielen seiner Comics fügt er auch in Die Synagoge einen Dokumentationsteil hinzu. In diesem Falle kreiert er auf über dreissig Seiten mit Zeitungsartikeln, persönlichen Bemerkungen und Dokumenten eine „Kleine Chronologie antisemitischer Vorfälle seit meiner Geburt“. Die Liste wurde beängstigend lang. Gewidmet ist das Album seinem Vater und dessen Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus.

 

Die Synagoge

Sfars Geschichte beginnt im Frankreich der 1980er Jahre. Nach einigen Bombenanschlägen auf jüdische Einrichtungen beschliesst man in Nizza, die Synagoge von Freiwilligen bewachen zu lassen. Zu ihnen meldet sich auch der junge Joann, der in seinem Alltag das Aufflammen des Rechtsnationalismus miterlebt. Eine neue politische Bewegung, der Front National, wird zum Sprachrohr von Nationalisten und Antisemiten – und diese werden damit wieder salonfähig. Vor Jean-Marie Le Pen noch unorganisiert und versprengt, versammelt man sich nun in einer Partei, deren Anführer die Gaskammern als „ein Detail der Geschichte“ bagatellisiert und den ehemaligen SS-Offizier Franz Schönhuber stolz als Freund seiner Familie präsentiert. 

 

Joann Sfar bezeichnet Die Synagoge als seinen ehrlichsten Comic, ob der historischen Wahrheit darin. In Frankreich lebt die grösste jüdische Gemeinschaft Europas; dieser Umstand wird uns meist dann vor Augen geführt, wenn sich Anschläge gegen sie ereignen – und diese nehmen beängstigend zu. Joann Sfars Einschätzung der Lage fällt resignativ aus: 

„Dieser Zorn auf jüdische Menschen ist eine Konstante, ich würde fast sagen, ein Bindeglied der westlichen Gesellschaften. Ich habe aufgehört zu kämpfen. Ich erzähle jetzt. Ohne die geringste Hoffnung – nicht mal mehr die, Schande über all jene bringen zu können, die dieses Gift verbreiten oder instrumentalisieren.“ 

 

Weitererzählen wird Sfar jedoch – wie Die Synagoge beweist – und damit Menschen zum Nachdenken bewegen. Als fatal aktuell erweist sich in Die Synagoge ein Gespräch zwischen Vater und Sohn Sfar. Der Ältere ist einerseits Zionist, andererseits auch Pro-Palästina und überzeugt, dauerhaften Frieden würde nur das wechselseitige Einhalten von Gesetzen garantieren. Israelis und Palästinenser sieht André Sfar seit dem Abzug der türkischen und britischen Besatzungstruppen zum Konflikt verdammt, der sich nur lösen lasse, wenn jedes der beiden Völker sein eigenes Land und sein eigenes Gesetz erhielte. Dieses Ziel wird immer wieder bewusst torpediert, wie Vater Sfar dem Sohn erklärt: 

„Ab dem Moment, als die Palästinenser beschlossen haben, alle Juden der Welt seien schuld an dem, was im Nahen Osten passiert, und sie zur Zielscheibe gemacht haben – selbst Juden, die noch nie einen Fuss nach Israel gesetzt haben […] Seit alle Juden der Welt zu potenziellen Zielscheiben geworden sind, ist das kein Kampf um Emanzipation mehr. Das ist Terrorismus.“ 

 

Terrorismus wiederum lehnt der Rechtsanwalt André Sfar strikt ab. Die Zeitschrift Le Monde, so listet sein Sohn in seiner Dokumentation zum Album auf, ersetzte das Wort „Terror­ist“ im Laufe ihrer Berichterstattung über den Nahen Osten immer öfter durch „Kämpfer“ und egalisierte damit die beiden Begriffe in fataler Weise, wie die Geschichte gezeigt hat.

 

Sein Buch, so klagt Joann Sfar, funktioniere nur dank seines Pessimismus. Allerdings hält er an der Hoffnung fest, dass jede seiner Zeichnungen eine klare Absage an den Weg der Gewalt darstelle: „Ich bin wirklich überzeugt, dass man gegen die grassierende Wut nichts tun kann. Deshalb muss man aber nicht die Klappe halten.“ 

 

Joann Sfar folgt konsequent dem Rat, den ihm Hugo Pratt, ein von ihm verehrter italienischer Comic-Künstler, einst gegeben hat: 

„Man muss Bücher machen und Freundschaften schliessen.“

 

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Anmerkung

1 Vgl. zu Nizza auch Tina Walzer, Nizzas grosse Synagoge. In: DAVID, Heft 129, Sommer 2021, S. 2, https://davidkultur.at/nizzas-grosse-synagoge sowie Tina Walzer, Jüdisches Leben in Nizza. In: DAVID, Heft 129, Sommer 2021, S. 4–8, https://davidkultur.at/artikel/juedisches-leben-in-nizza.

 

Alle Abbildungen: Ausschnitt aus der Graphic Novel von Joann Sfar, Die Synagoge, 2023. Mit freundlicher Genehmigung Avant-Verlag.

 

Nachlese

Joann Sfar, Die Synagoge.

Übersetzt von Annika Wisniewski.

Berlin: Avant-Verlag 2023.

208 Seiten, gebunden, Euro 30,00.-

ISBN 978-3-96445-102-6 

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