Ausgabe

Joe Lieberman s.A.

Michael Bittner

Gibt es denn Politiker, die nicht korrupt, gewissenlos und inkompetent sind? Ja, gab es, in den U.S.A. 

Inhalt

Joe Lieberman, in der Bronx wohnhaft, war der Prototyp des „anständigen“ Politikers, er hielt den Schabbat ein, auch im Wahlkampf, und versuchte die U.S.A. zu einem besseren Ort auf der Welt zu machen. Leider war er der einzige, was sich auch darin spiegelt, dass er, unbequemer Demokrat seit seiner Jugend, immer mehr die Republikaner unterstützte und schliesslich der einzige Parteilose unter den 100 Senatoren war. Er verschied am 27. März 2024 in New York.

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Joseph Lieberman 2005 -Von Autor/-in unbekannt - http://lieberman.senate.gov/images/nt/bio/jilportraitclr_hires.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1038007

Joseph (Yosef Yisrael) wurde am 24. Februar 1942 geboren, er wuchs in Stamford, Connecticut auf. Seine Eltern waren orthodoxe Juden, deren Vorfahren zu Anfang des 20. Jahrhunderts aus Russland und Österreich-Ungarn in die U.S.A. emigriert waren. Sie waren angeblich die einzigen observanten Juden des Ortes. Besonders fromm war die Grossmutter, die den jungen Joe stark beeinflusste. Mit 18 Jahren ging er an die Eliteuniversität Yale, um Jus zu studieren. Bald hatte er eine schicksalhafte Begegnung mit dem 6. Lubawitscher Rebben. Zu dessen Nachfolger Menachem Mendel Schneerson, in dem manche Anhänger den Maschiasch sahen, entwickelte er eine nähere Beziehung. Selbstverständlich betete er täglich morgens mit Telfillin, hielt alle Feiertage ein und besonders die Schabbatruhe – ein Unikat unter amerikanischen Politikern. Er blieb zeitlebens ein Chassid und geachtetes Mitglied des Lubawitscher Chabad.

 

Seine politische Karriere begann früh. Er wurde in den Senat seines Heimatstaates Connecticut gewählt (1970–1980), seit 1974 fungierte er als Majority Leader. Ab 1989 war er Vertreter des Bundesstaates im Senat. Den Höhepunkt seiner Karriere bildete die Kanditatur als Vizepräsident, als „Running mate“ von Al Gore im Jahr 2000. Nur der Wahlbetrug von Jeb Bush verhinderte, dass Lieberman als erster jüdischer Vizepräsident gewählt wurde. 2004 scheiterte seine Kandidatur als demokratischer Herausforderer von George W. Bush, dafür unterstützte er 2008 den Republikaner John McCain, hauptsächlich wegen dessen Stellungsnahme für den Irakkrieg.

 

Die Befürwortung des Krieges im Mittleren Osten stellte sich als schwerer politischer Fehler heraus, Lieberman scheiterte 2006 bei den Senatswahlen als Vertreter der Demokraten, da er sich auf die Seite von Präsident Bush geschlagen hatte. Er wurde als unabhängiger Senator gewählt, seine Stimme verlieh ihm grosse Macht im Senat, da er Gesetzesvorlagen wie die Gesundheitsreform durch seine Entscheidung ermöglichen oder ablehnen konnte („King Joe“ titulierten ihn die Medien) – er war einige Jahre das „Zünglein an der Waage“. 2012 trat er zu den Senatswahlen nicht mehr an, blieb aber in der „No Labels“-Bewegung aktiv, der Plattform für parteiunabhängige Politik.

 

Aus Joe Liebermans erster Ehe stammen zwei Kinder, 1982 heiratete er Hadassah Freilich. Aus dieser Ehe stammt die Tochter Hana. Das Paar lebte koscher und trat als prominente Mitglieder der orthodoxen Chabad-Bewegung auf, von deren streng religiösen Vorstellungen es überzeugt war, ebenso wie der berühmte Kunstsammler Ronald Lauder und viele jüdische Familien weltweit.

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https://www.chabad.org/news/article_cdo/aid/6382074/jewish/Joseph-Lieberman-82-US-Senator-Vice-Presidential-Nominee-and-Proud-Jew.htm

Mit dem Tod des bekannten Politikers verliert die Familie ihren liebenden Vater, die Lubawitscher Bewegung eine ihrer wichtigsten Persönlichkeiten, die amerikanische Politik einen der wenigen vernünftigen alten Männer, die das Land geprägt haben – eine Katastrophe in Zeiten von Biden, Sanders und Trump.