Ausgabe

Jüdische Todesopfer der Landnahme des Burgenlandes 1921

Jörg Aschenbrenner/Martin Senekowitsch

Im Zuge der Landnahme des Burgenlandes 1921 gab es auf österreichischer Seite 65 Todesopfer. Von insgesamt 35 getöteten Soldaten, starben 14 in Gefechten mit den Freischärlern. Die Gendarmerie beklagte 13 Todesopfer, davon fielen in verschiedenen Scharmützeln neun Uniformierte. Dazu waren 17 Zivilisten Todesopfer verschiedener Ereignisse. Auf Seite der ungarischen Freischärler kamen an die 50 Männer ums Leben, davon sind 27 namentlich bekannt.

Inhalt

Bei der Recherche aller Todesfälle ist den Autoren die relativ hohe Anzahl von sechs jüdischen Todesopfern aufgefallen. Das sind neun Prozent, also gegenüber einem Bevölkerungsanteil von damals rund drei Prozent deutlich überrepräsentiert. Dies lässt prima vista einen antisemitischen Aspekt vermuten, muss jedoch differenziert gesehen werden.

 

Die Fälle im Einzelnen:

  • Generalstabsarzt a.D. Dr. Eugen Turnowsky und der Kaufmann Emanuel (Meir) Blum starben bei demselben Autounfall bei Edlitz.
  • Wehrmann Siegmund Smrcka fiel im Gefecht bei Kirchschlag.
  • Der Kaufmann Moses Wiesenfeld fiel bei Zurndorf einem Raubmord zum Opfer. Hier ist wohl ein antisemitisches Motiv anzunehmen.
  • „Deutsch“ hatte unter Folter gestanden, spioniert zu haben. Zur Frage, ob er als Spion oder wegen der Tatsache, dass er Jude war, erschossen wurde, gibt ein Bericht der Arbeiter-Zeitung (4. Jänner 1922, S. 4) einen Hinweis. Auch hier ist also ein antisemitisches Motiv anzunehmen.
  • Hugo Schindler fiel wohl einem gemeinen Raubmörder zum Opfer. Ob sein Mörder Kecskés Antisemit war, lässt sich anhand der Quellenlage nicht feststellen.

 

Soldaten

Wehrmann Siegmund Smrcka (* 02. 05. 1892, Wonschowetz/Onšovec, damals Bez. Ledec, CZ), Privatbeamter aus Wien 2, Infanterist des 2. Bataillons/Infanterieregiment Nr. 5, und seine beiden Kameraden Anton Josef Gruber und Franz Rosenauer wurden im Gefecht bei Kirchschlag am 5. September 1921 so schwer verwundet, dass sie beim Rückzug zurückgelassen werden mussten, in Gefangenschaft der Freischärler beim Ort Steinbach gerieten und von diesen ermordet wurden. Zwei Morde sind durch Zeugenaussagen bestätigt. Ob auch Smrcka darunter war, ist nicht gesichert. Smrcka diente im Ersten Weltkrieg im k.u.k. Infanterieregiment Nr. 21, wo er den Dienstgrad Korporal erreichte. 1918 bis 1920 war er Angehöriger der Volkswehr. 1920 wurde er bei der 5. Kompanie/Infanterieregiment Nr. 5 eingereiht und 1921 zur 2. Kompanie versetzt. Sein Name wurde 1929 auf einer der Marmortafeln der Zeremonienhalle beim 1. Tor des Wiener Zentralfriedhofs zu den Namen der im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten angebracht, die nicht in Wien beerdigt sind. Im Jahre 1938 wurde die Zeremonienhalle in der Reichspogromnacht schwer beschädigt. Die Ruine wurde in den 1970er Jahren endgültig abgetragen. Der Verbleib der beiden Votivtafeln ist unbekannt. Zur Auffüllung des 2. Bataillons/Infanterieregiment Nr. 5 im Grenzschutzeinsatz wurde Smrcka diesem im August 1921 zugeteilt. Die drei Ermordeten wurden von Ortsbewohnern auf dem Friedhof Steinbach beerdigt und im November 1921 von einer Bundesheerkommission vor Ort identifiziert. Anlässlich der Gedenkfeiern zum 10. Jahrestag des Gefechtes wurden sie am 20. September 1931 im Ehrengrab auf dem Friedhof in Kirchschlag neben ihren bereits dort begrabenen Kameraden zur letzten Ruhe gebettet. Dem jüdischen Soldaten Smrcka wurde durch einen Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Rechnung getragen. 1981 wurde das Grab zwar neugestaltet, die drei aus Steinbach Umgebetteten blieben jedoch unerwähnt. Zu Allerheiligen 2023 wurde auf Betreiben der Autoren und des Schwarzen Kreuzes für sie ein zusätzlicher Gedenkstein gesetzt.

 

Am 3. November 1921 ereignete sich etwa fünf Kilometer südlich von Edlitz ein Unfall mit einem Mannschaftstransportwagen des Bundesheeres, der Ablösen nach Kirchschlag bringen sollte. Sieben Soldaten wurden dabei getötet, weitere sieben verletzt. Darüber hinaus starben drei Gendarmen und ein Zivilist. Generalstabsarzt a.D. Dr. Eugen Turnowsky (* 22. 07. 1871, Julienhof, Ortsteil von Deutschbrod/Havlíčkův Brod, damals Bez. Deutschbrod, CZ), Arzt aus Wien 5, Chefarzt beim Radfahrbataillon Nr. 2, verunglückte dabei tödlich. Er wurde am 8. November 1921 auf dem Wiener Zentralfriedhof, Israelitische Abteilung, Gruppe 50 Reihe 58 Nr. 91, beerdigt. Sein Name wurde 1929 auf einer der sieben Marmortafeln im Inneren des jüdischen Heldendenkmals, Gruppe 76B, Israelitische Abteilung des Wiener Zentralfriedhofes angebracht, obwohl sonst nur gefallene Soldaten des Ersten Weltkrieges dort angeführt sind. Turnowsky war der einzige Offizier des Bundesheeres, der während des Burgenlandeinsatzes verstorben ist. Er trat 1894 als Einjährig-Freiwilliger Mediziner auf eigene Kosten in das k.u.k. Infanterieregiment Nr. 4 ein und promovierte 1895 zum Doktor der Medizin. 1896 wurde er Oberarzt. Er diente in Theresienstadt, dann in Mostar und wurde 1898 zum Regimentsarzt 2. Klasse ernannt. Mittlerweile Regimentsarzt beim k.u.k. Korps-Artillerieregiment Nr. 5, heiratete er 1902 Rosa Pollak. 1917 wurde er zum Oberstabsarzt ernannt. Seit Beginn 1919 war er Chefarzt beim Volkswehrbataillon 7, dann ab 1920 im Bundesheer. Im Jahr 1921 wurde er zum Oberstabsarzt 1. Klasse sowie mit Entschliessung des Bundespräsidenten zum Generalstabsarzt a.D. ernannt. Turnowsky wurde vielfach ausgezeichnet.

 

Zivilisten

Neben Dr. Eugen Turnowsky befand sich auch der getötete Kaufmann Emanuel (Meir) Blum (* 14. 12. 1898, Krumbach, NÖ) aus Krumbach auf dem Bundesheer-LKW, nachdem er die Soldaten in Edlitz ersuchte, ihn ein Stück des Weges nach Krumbach mitzunehmen. Blum war ledig. Er wurde vermutlich auf dem israelitischen Friedhof in Lackenbach beerdigt. Die Lage seines Grabes ist unbekannt.

 

Moses Wiesenfeld wurde am 10. Juli 1890 in Rozwadów, damals Bez. Nisko, Galizien (PL), geboren. Als Wohnort wurde Mielec angegeben. Er war ledig und lebte als Kaufmann in Wien 2. Im August 1921 reiste er zum Besuch seiner Verwandten nach Makó (20 km östl. Szeged, Ungarn). Auf der Rückfahrt von Budapest nach Wien am 30. August 1921 wurde er in der Station Zurndorf von Banditen, die Offiziersuniformen trugen, aus dem Zug geschleppt und ermordet. Wiesenfeld soll einen bedeutenden Geldbetrag (40.000 tschechische Kronen und 40.000 deutsche Mark) bei sich gehabt haben, weshalb von einem Raubmord ausgegangen werden muss. Über den Ort der Beerdigung sind keine Angaben bekannt. Möglicherweise wurde er in seine Heimat überführt.

 

Anfang Oktober 1921 verübten Friedrich-Freischärler westlich und östlich des Tiergartens des Fürsten Esterházy zwischen Schützen am Gebirge und Donnerskirchen zwei Morde an Zivilpersonen. Informationen zu diesen beiden Verbrechen werden in den zeitgenössischen Tageszeitungen vielfach vermengt, obwohl es sich definitiv um zwei voneinander unabhängige Tatbestände handelt. Die Fundorte der Leichen liegen mehr als vier Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Es existieren auch Hinweise auf unterschiedliche Täter. Zur Person des getöteten „Deutsch“ wurden offenbar keine Dokumente gefunden. In Donnerskirchen wurde bekannt, dass er Jude und Tischlergehilfe aus Wien-Favoriten gewesen sein soll. Es wurde das Gerücht verbreitet, dass „Deutsch“ Kommunist sei und 1.000 tschechische Kronen erhalten haben soll, um die Stellungen der Friedrich-Freischärler auszukundschaften. Das soll auch der Grund für seine Ermordung gewesen sein. Am 14. und 15. Oktober 1921 fand bei Donnerskirchen tatsächlich ein Gefecht zwischen den im Ort stationierten Ostenburg-Friedrich-Freischärlern und den Héjjas-Banden, die entlang des Südabhanges des Leithagebirges von Jois vormarschierten, statt. In diesem Zusammenhang ist es durchaus plausibel, dass sich „Deutsch“ im Vorfeld dieses Gefechtes als „Spion“ betätigt haben könnte. Er wurde am 7. Oktober 1921 im Wald nahe der österr.-ung. Staatsgrenze (heute Landesgrenze Niederösterreich-Burgenland) gefangen genommen, gefoltert und in einem Haus festgehalten. Ein Fluchtversuch scheiterte. Augenzeugenberichten zufolge soll „Deutsch“ von mehreren Personen gesehen worden sein, als er vom Zugsführer einer ungarischen Bande namens Sarkössy und drei weiteren Freischärlern in Richtung des Steinbruches vor Schützen am Gebirge geführt wurde. Unklar bleibt, wann die Leiche aufgefunden wurde, wohl nach dem Einmarsch des Österreichischen Bundesheeres, der hier am 14. November erfolgte und vor dem 1. Dezember 1921. Jedenfalls wurde die Leiche zunächst irrtümlich für die des zweiten Opfers, Hugo Schindler, gehalten. Dessen Schwester, Riza Schindler (verh. Lustig), liess den Leichnam von Donnerskirchen nach Eisenstadt überführen und beerdigen. Offenbar wurde also „Deutsch“ fälschlich unter dem Namen Hugo Schindler beerdigt. Die falsche Agnoszierung wurde mit dem Auffinden der Leiche des Hugo Schindler am 1. Dezember 1921 offenkundig. Da die Behörden bei der Identifizierung des nunmehr wieder Unbekannten („Deutsch“) nicht vorankamen, erging in mehreren Zeitungen im Februar 1922 ein Aufruf mit Personsbeschreibung zur Feststellung der Identität des Toten.  

 

Hugo Schindler (* 1903, Gattendorf, B) war eines von drei Kindern des Ehepaares Heinrich und Frida Schindler aus Theben/Devín, heute ein Stadtteil von Pressburg/Bratislava. Sein Bruder Otto Joseph Schindler (* 30. 04. 1901, Theben) wurde am 1. Juni 1942 in das KZ Lublin verschleppt und am 8. Mai 1945 für tot erklärt. Seine Schwester Therese (Riza, geboren am 14. 01. 1900, Theben), seit 1922 verheiratet mit Markus Lustig, emigrierte 1935/36 mit der Familie nach Palästina. Der Praktikant Hugo Schindler wurde am 5. Oktober 1921 um 1700 Uhr von Friedrich-Freischärlern aus der Lederfabrik des Leopold Spitzer in Eisenstadt, wo er auch wohnte, entführt. Am 30. November brachte ein Gendarm in Erfahrung, dass etwa zwei Wochen zuvor an der westlichen Tiergartenmauer eine männliche Leiche gefunden wurde. Aus Angst vor den Freischärlern zeigte der Finder dies damals nicht an. Die Leiche wurde am 1. Dezember 1921 an der bezeichneten Stelle im Gemeindegebiet von Gschiess (Schützen am Gebirge) etwa in der Mitte der westlichen Tiergartenmauer gefunden. Die vor Ort anwesende Eisenstädter Gerichtskommission stellte in dem vom Rumpf getrennten Kopf ein grosses Loch fest, das mutmasslich von einem Kolbenhieb herrührte und damit einen Mord nahelegte. Der Lederfabrikant Leopold Spitzer sowie ein Arbeiter erkannten die Schuhe und Kleiderreste als die von Schindler am Tag der Entführung getragenen. Da die Leiche stark verwest war, konnte ein Todeszeitpunkt nicht mehr ermittelt werden. Alle vorliegenden Dokumente gehen vom 6. Oktober 1921, also dem Tag nach der Entführung aus. Der Leichnam wurde in die Totenkammer von Gschiess überführt und dort eingesargt. Hugo Schindler fand seine letzte Ruhestätte offenbar auf dem israelitischen Friedhof von Eisenstadt. Die Lage seines Grabes ist unbekannt. Seine Schwester Riza Lustig begehrte für die Begräbnisse folgenden Schadenersatz.

„Für das erste Begräbnis wurden ausgegeben: 2000 ung. K., für das Überführen 1000 ung. K., ferner 3000 ung. K. für die Leute, die zur Agnoszierung gefahren sind; für die Auffindung der richtigen Leiche erwuchsen Kosten in der Höhe von 10.000 ung. K. Für Errichten eines Grabsteines verlangt Frau Lustig 80,000.000 K., da einem von Freischärlern Erschossenen doch wenigstens ein anständiges Grab gebührt“. Eine Niederschrift der Gemeinde Gattendorf beinhaltet am 28. November 1922 Folgendes: „Riza Schindler gibt zur Begründung ihrer Forderung noch an, dass Sie für die Überführung eines auch von den Banditen ermordeten welchen man irrtümlicherweise für Hugo Schindler gehalten hat von der Gemeinde Donnerskirchen die Kosten nach Eisenstadt bezahlt hat.“

 

Zum Schluss sei noch angemerkt, dass zu allen sechs jüdischen Todesopfern kein einziger Sterbeeintrag in einer Matrik einer Israelitischen Kultusgemeinde gefunden werden konnte, was den Autoren unerklärlich ist. Nur für Wiesenfeld gibt es einen Eintrag im zivilen Sterbebuch der Gemeinde Zurndorf, da es in Ungarn seit 1895 eine zusätzliche zivile Personenstandsführung gab.

 

Nachlese

Truppendienst-Handbuch: Der Kampf um das Burgenland 1921. Der Einsatz von Gendarmerie und Bundesheer.

Hrsg. v. Bundesministerium für Landesverteidigung

Wien Amedia Verlag 2023.

398 Seiten, 1 Kartenbeilage, Euro 39,00.-

ISBN 978-3-200-08826-9

https ://www.truppendienst.com/buecher/td-buecher/detail/der-kampf-um-das-burgenland-1921-der-einsatz-von-gendarmerie-und-bundesheer

 

Burgenland 1921. Die österreichischen Todesopfer der Landnahme.

Hrsg. v. Bundesministerium für Landesverteidigung.

Wien Heeresdruckzentrum 2024.

cover_a4_burgenland_tote-1921_klein_seite_1.jpg

cover_a4_burgenland_tote-1921_klein_seite_2.jpg

TD-Handbuch, Cover.

ehrengrab-kirchschlag_aj.jpg

Das Ehrengrab für die Gefallenen des Gefechtes am 5. September 1921 auf dem Friedhof in Kirchschlag. Foto: J. Aschenbrenner, mit freundlicher Genehmigung.

1921_11_5_kronen-zeitung.jpg

grab-turnowsky-1.jpg

grab-turnowsky-3.jpg

hb-titel.jpeg