Wien, Ringstrassenkorso. Sirk-Ecke.
Ein Sommerfeiertagsabend.
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Karl Kraus feiert
150. Geburtstag!
Ein Korsobesucher (zu seiner Frau): G‘ttlob ein Jud!
Seine Frau: Komm nach Haus. Lauter Araber! (Sie zieht ihn weg).
Zweiter Zeitungsausrufer: Extraausgabee! Die Presse! Heute! OE 24! Karl Kraus fast vergessen!
Ein Offizier: Na, wos sogst?
Zweiter Offizier: Gibts des? Ham die Leut net glesen „Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt“?1
Der Erste: Na geh!
Der Zweite: Nur noch die Fackel kommt in den Zeitungen vor, doo schau – Mobilclo abgefackelt!
Der Erste: Aber ich mein, was sagst politisch, du bist doch gscheit –
Der Zweite: Ja wer‘mr halt (fuchtelt wild) – a bisserl a Aufmischung– zu seinem unrunden Geburtstag was machen, die uralten CDs mit der Jane Tilden neu auflegen.
Der Erste: Bist halt a Feschak! Des alte Glumpert vom ORF2. Na, was neichs!
Der Vierte (tritt lachend hinzu) Grüss euch! Na, was sagts zum Kraus?
Der Zweite: Wegnan Hitler? Das kann doch passiern, dass einem nix einfällt, schauts euch die Politiker an!
Der Dritte: No, das is a bissl stark!
Der Zweite: Weisst, diese Bagasch, was soll einem da einfallen?
Der Vierte: Recht hast, aber politisch korrekt war er aa net. Jö gestern hab i mullatiert –
Der Zweite: A Nörgler war er auch, Bumsti!
Der Erste: Des ghört ja auf die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums.3
Der Zweite: No wir könnten ja was von ihm vorlesen lassen.
Der Vierte: Gehts, stehts net herum bei der Potenz-Eckn. Was ist denn mit einer Gesamtausgabe?
Der Erste: Auf einer „nicht vertrauenswürdigen Webseite (502 – Bad Gateway)“. Ka Witz!4
Ein Wiener (zu seiner Frau): Najo, lass dir doch sagen, er war nicht beliebt. –
Seine Frau: Marandjosef, warum denn?
Ein Wiener: Weil er nicht popolär war, der Kraus (Ab).
Zeitungsausrufer: Extraausgabee! Krona Kurrirr! Da Kraus wird 150!
Der Kleinbürger: Her mitn Bladl! Kost –?
Zeitungsausrufer: Zwei Euro!
Der Kleinbürger: An Schmarrn! Wurzerei. Steht eh nix drin.
Zeitungsausrufer: Da Standaat! Karl Kraus lebt!
Ein Wachmann: Bitte links, bitte links!
Der alte Abonnent: Was heisst wahr? Es ist geradezu unbestreitbar…
Fräulein Körmendy: Komm weg aus dem Gedränge, alles wegen dem Kraus.
Ein Pülcher: Du hast scho recht, das ist ein Schkandal ist das.
Rufe aus der Menge: Schamen S‘Ihna!
Der alte Biach: Ja, die Zeiten sind ernst –
Der Nörgler: G‘tt, wer darf sagen: schlimmer kanns nicht werden? S‘ ist schlimmer nun, als je.
Der Redakteur: Da können wir den Kraus ja wieder gut brauchen!
Chor der Pülcher: Stier – stier - stier. O – du mein – Österreich – Österreich –
Karl Kraus und seine besten Feinde.
Foto: M. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.
Die Wörter stammen von Karl Kraus („Die letzten Tage der Menschheit“, Zürich Pegasus Verlag, 24.-29. Tsd., 1945), mit Ausnahme der fett gedruckten, die der Verfasser beigesteuert hat.
Im heurigen Jubeljahr werden folgende Veranstaltungen
zum 150. Geburtstag von Karl Kraus stattfinden:
Ausstellung Arnold Schönberg und Karl Kraus,
Arnold Schönberg Center, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 6.
17. Jänner bis 10. Mai 2024; schoenberg.at
Ausstellung der Wienbibliothek im Rathaus,
ab 26. April 2024; wienbibliothek.at
Im Konzerthaus findet eine „Problemlesung“ mit Karl Markovics statt, am 28. April 2024, dem Geburtstag von Karl Kraus; konzerthaus.at
Anmerkungen
1 Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt. Marix-Verlag: Wiesbaden 3. Auflage 2013.
2 Die unerreicht gute Gesamtaufnahme, 24 Stunden Genuss für Geist und Ohren: https://shop.orf.at/de/alle-orf-artikel/oe1/56/die-letzten-tage-der-menschheit, abgerufen am 10.01.2024.
3 https://digitale-sammlungen.ulb.uni-bonn.de/periodical/structure/7601450, abgerufen am 10.01.2024.
4 https://corpus1.aac.ac.at/fackel/, abgerufen am 09.01.2024.