Ausgabe

Das Idealbild des Politikers Robert Badinter s.A. (1928-2024)

Michael Bittner

Der grosse französische Staatsmann Robert Badinter starb am 9. Februar 2024 in seiner Geburtsstadt Paris.[1] Er verkörperte idealtypisch den Politiker, wie der Staatsbürger sich ihn wünscht – intelligent, aktiv, aufgeschlossen, gerecht, zukunftsorientiert, für die Menschenrechte eintretend, nicht korrupt, nicht desinteressiert, immer das Beste für die Menschen im Sinn – gibt es heute noch so jemanden? In Frankreich nicht mehr, in Österreich schon gar nicht, weltweit muss man einen „Staatsdiener“ wie Robert Badinter mit der Lupe suchen.

 

[1]Eintrag "Badinter, Robert" in Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/0000001644 abgerufen  20.02.2024

Inhalt

Was muss man anstellen, damit einem, nicht nur von Rezensenten, solche Rosen nachgestreut werden? Robert Badinter schaffte in Frankreich 1981 die Todesstrafe ab, als Minister der Regierung von François Mitterand. Damals war die Mehrheit der Franzosen noch für die Beibehaltung der Guillotine, doch der Justizminister blickte in die Zukunft, die Jüdische Allgemeine nennt ihn daher eine „moralische Instanz“ und Präsident Macron (beziehungsweise sein Ghostwriter) meint:

„Er war eine Figur des Jahrhunderts, ein Gewissen der Republik, der Geist Frankreichs“.[1]

abbildung-1-robert_badinter_2013.jpg

Robert Badinter 2013. Foto: iBooCREATION, Lizenz: CC BY-SA 3.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=126597589

Durch seine Justizreform wurde Badinter zum Vorreiter einer menschenwürdigen Justiz, einer Erneuerung des Denkens, zum letzten grossen Aufklärer. Weltweit wurde seither – von „Schurkenstaaten“ abgesehen – die Todesstrafe geächtet. Wie sehr sich dieses neue Denken auch in Österreich durchgesetzt hat, musste 2013 ein Neuling in der Politszene erfahren, der in Umfragen abstürzte, obwohl er nur andeutungsweise von der Todesstrafe gesprochen hatte.[2]

 

Badinter bekannte sich zu seinem Judentum, sicherlich hat auch er die überraschende Stelle im Talmud gelesen, in der die Bedeutung des Talionsgebots von Exodus 21,24 interpretiert wird: „Auge um Auge bedeutet Geldstrafe“[3]; die jüdische Religion ist immer wieder für neue Ideen gut.

 

Seine Familie stammte aus Russland und wanderte, wie viele andere, zu Beginn des letzten Jahrhunderts nach Frankreich aus. Robert wurde am 30. März 1928 in Paris geboren, beim Einmarsch der Deutschen verliess seine Familie die Hauptstadt, flüchtete nach Nantes, dann nach Lyon, wo sein Vater Simon von Klaus Barbies Schergen verhaftet, und schliesslich in Sobibor ermordet wurde. Robert überlebte mit Mutter und Bruder in einem Dorf in Savoyen, er besuchte dort sogar die Schule.

 

Nach dem Krieg begannen Badinters Studien von Jus und Literatur in Paris, 1949 folgte ein Stipendium an der Columbia University, 1951 gründete er eine Anwaltskanzlei, die er dreissig Jahre lang bis zu seiner Bestellung zum Justizminister 1981 führte.

 

Sein Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe begann 1972, als er seinen Klienten Roger Bontems nicht retten konnte; dieser wurde wegen Beihilfe zum Mord guillotiniert. 1977 konnte Badinter durch sein flammendes Plädoyer erreichen, dass die Todesstrafe für den Kindesmörder Patrick Henry in lebenslange Haft umgewandelt wurde. Am 20. September 1981 hielt Badinter seine wichtigste Rede in der Nationalversammlung, die drei Viertel der Abgeordneten dazu brachte, den Antrag zur „Abolition“ zu unterstützen. Damit war die Todesstrafe endgültig Geschichte.[4]

 

Bis 1986 blieb Badinter Justizminister, weitere Erfolge waren die Appellationsmöglichkeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die Abschaffung von Gesetzen, welche Homosexuelle diskriminierten sowie die Einführung von Ersatzstrafen für Haftaufenthalte. Eine Genugtuung bedeutete der Prozess gegen Klaus Barbie, den „Schreibtischmörder“ seines Vaters. [5] Nach seiner Amtszeit bekleidete Badinter bis 1995 das Amt des Vorsitzenden des Verfassungsrates, 1991 wurde er von der Europäischen Gemeinschaft zum Vorsitzenden der Schiedskommission über den Bürgerkrieg in Jugoslawien berufen.

 

Von 1995 bis 2011 war Badinter Senator des Départements Hauts-de-Seine; es folgten die üblichen Ehrungen und Ehrendoktorwürden. Dazu verfasste er einige lesenswerte Bücher und politische Schriften sowie einen Verfassungsentwurf für die Europäische Union, ein Buch, das man einmal in Brüssel lesen sollte.[6] Seine Themen waren vielfältig, immer wieder geht es um die Todesstrafe, aber auch andere juristische Gebiete wie Arbeitsrecht oder die Rolle des Richters in der Gesellschaft. Seine Autobiografie betitelte er „Dornen und Rosen“ – zuerst musste er durch die Dornen in seinem Leben, dann folgten die Rosen[7].

 

Robert Badinter war ein grosser Staatsmann in einer grossen Zeit. Wie kläglich die heutige politische Kultur in Frankreich beschaffen ist, demonstrierte die Witwe Badinter, eine bekannte Feministin, mit ihrer Ausladungspolitik zur Verabschiedung ihres Gatten in Paris. Sie lud die Rechten aus (sol sejn), aber auch die Linken, sodass sie der Hälfte der Mandatare die Verabschiedung verweigerte.[8] Ein trauriges Zeichen für die „Grande Nation“, ein weiteres Indiz für die politische Unkultur, die der grosse Erneuerer der französischen Justiz nicht mehr erleben musste.

 

 

abbildung-2-badinter-lexecution-1977.jpg

Robert Badinter, L’ éxécution, 1977. https://www.amazon.de/LEx%C3%A9cution-Livre-Poche-Robert-Badinter/dp/2253011223

 

[2]https://newsv2.orf.at/stories/2197298/2197299/ Bericht von 2013, abgerufen 19.02.2024

[3]Bawa Kamma 83b - 84a

[7]   Les Epines et les Roses, Edition Fayard Paris, 2011 https://www.fayard.fr/auteur/robert-badinter/ abgerufen 20.02.2024