Ausgabe

Nachruf auf Jacob de Rothschild s.A.

Michael Bittner

Jacob 4. Baron de Rothschild starb am 26. Februar 2024 im 89. Lebensjahr.[1] Er war das Oberhaupt des Londoner Zweiges des berühmtesten jüdischen Familienclans, den Mayer Amschel vor über zweihundert Jahren in Frankfurt begründet hatte.

Inhalt

Keine andere Familie hat so sehr wie die Rothschilds die Phantasie von Verschwörungstheoretikern beeinflusst, die abstruse Gerüchte von der jüdischen Weltherrschaft über die Finanzmärkte, von den Verflechtungen zwischen Hochfinanz und Politik gebiert. Von Hofmann von Fallersleben über Victor Hugo, von Richard Wagner bis Honoré de Balzac erfanden Dichter und Denker, aber auch Schwurbler und Dummköpfe die krausesten Geschichten über jene Familie, deren Name zum Synonym für Geld und Bankwesen geworden war.[1]

 

Chef einer Investmentbank, die er 1987 gegründet hatte, war Jacob ein idealtypischer Vertreter der Familie, er hatte fünf Kinder, war verheiratet. Ein würdiger Herr, ein Peer, ritterlich, obwohl er nicht in einer Rüstung herumlief wie Ferdinand, einer seiner Vorfahren[2], skandalfrei, jedenfalls überquerten keine Klatschgeschichten den Ärmelkanal.

 

Rothschild ist eine Marke von Weltruf, und der einzelne Mensch mag hinter der Marke zu kurz kommen. Seine Kinder und Enkel, seine Gattin mögen entscheiden, wie er eigentlich gewesen ist und welchen Stellenwert sein Verlust bedeutet. Leider hatte ich mit ihm wenig zu tun, nach Auffindung des Grabes seines Ahnherrn Robert Rothschild in einem Gestrüpp am jüdischen Friedhof Währing ließ er meine Bitte um eine Spende unbeantwortet, auch die Nachfrage einer befreundeten Journalistin nützte nichts. Er lebte seine Philanthropie anderswo aus, in Israel, schreibt NTV[3], nicht so öffentlich wie die Wiener Rothschilds, die ein Vermögen für die Gesundheit der Armen ausgaben – unbedankt, wie sich 1938 herausstellte.

 

Wie alle Reichen engagierte sich Jacob de Rothschild im Kunstbetrieb, aber löblicherweise auf dem Gebiet historischer Kunst, als Trustee der National Gallery London von 1985 bis 1991.[4] Lucian Freud malte den 53-Jährigen, sein Bildnis hängt in der Londoner National Portrait Gallery.[5] Der 5. Baron Rothschild tritt nun in seine großen Fussstapfen. Die Erfolgsgeschichte der Nachkommen Mayer Amschels ist noch nicht zu Ende.

 

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Portrait Jacob de Rothschild: Lucian Freud, „Man in A Chair“, 1989, National Portrait Gallery, London. Quelle:

https://www.flickr.com/photos/calotype46/28776984514, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0, 2.12.2016.