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Das Leben schrieb das Drehbuch David Seidler s.A. (1937-2024)

Michael Bittner

Am 16. März 2024 starb in Neuseeland David Seidler. David Wer? So fragen sich wohl manche, aber The King's Speech kennt jeder – der mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuchautor dieses Erfolgsfilms war David Seidler.[1] Eine österreichische Qualitätszeitung informiert uns, dass er beim Fliegenfischen starb – wie interessant.[2]

Inhalt

Vielleicht wird seine Biografie selbst einmal zum Drehbuch und verfilmt: David Seidler stammte aus einer jüdischen Familie, der Vater war Pelzhändler. Im dritten Quartal 1937 kam David in London zur Welt, die Familie flüchtete aus Angst vor Hitlers Bombenhagel Richtung U.S.A. Ihr Schiffskonvoi wurde von deutschen U-Booten angegriffen; dies führte dazu, dass David zu stottern begann. Als Heilmethode liessen die Eltern den Sohn die Reden des englischen Königs George VI. im Radio mitverfolgen, um ihn in der Überwindung des Sprachfehlers zu unterstützen.

 

In New York, ihrem neuen Wohnort, lernte Seidler auf Schule und Universität die richtigen Leute kennen – den Regisseur Francis Ford Coppola und den Schriftsteller Thomas Pynchon. Er positionierte sich als Drehbuchautor vom Metier her zwischen den beiden.

 

Seinen Drehbüchern war zunächst mässiger Erfolg beschieden; nach einem Aufenthalt in der Südsee arbeitete er eine Zeitlang in der Werbeindustrie. Ende der 1970er Jahre übersiedelte er mit seiner zweiten Ehefrau nach Los Angeles, sein Schulfreund Coppola engagierte ihn als Autor für den Film Tucker, eine Geschichte über den „amerikanischen Traum“. Der Streifen (mit Jeff Bridges) wurde für drei Oscars nominiert, doch war er finanziell kein Erfolg.

 

Es folgten weitere Hollywoodproduktionen wie Onassis, der reichste Mann der Welt (1988), Der König und ich (1999) oder Soraya (2005) sowie zweifelhafte Streifen wie Kung Fu Killer (2008).[1] Auch privat ging damals einiges schief, beispielsweise seine zweite Ehe. Der ganz grosse Erfolg stellte sich sehr spät ein, und das ausgerechnet mit dem Historiendrama The King's Speech, in dem es ums Stottern geht. Schon in den achtziger Jahren hatte Seidler einen Sohn des Logopäden Lionel Logue kennengelernt und sich in die Erforschung der Umstände jener berühmten Rede vertieft. Angeblich sagte er der Königswitwe Mary zu, den Film erst nach ihrem Tod auf den Markt zu bringen, weil ihre Erinnerungen an die darin geschilderten Ereignisse zu schmerzhaft waren (sie wurde bekanntlich 101 Jahre alt, wegen ihres täglichen Gläschens Gin).

 

Seidler musste also lange warten, arbeitete das Drehbuch auf ein Theaterstück um, das die Mutter des Regisseurs Tom Hooper sah. Diese erzählte ihrem Sohn davon, und schon entstand ein filmisches Meisterwerk. Das Drehbuch bekam mehrere Auszeichnungen, die wichtigste war der Academy Award, der Oscar, den Seidler 2011 als ältester Gewinner entgegennahm, mit 74 Jahren (das Jahr darauf bekam ihn Woody Allen, er war damals 76 und hält damit den Rekord als Senior der Oscar-Preisträger).[2]

 

Ein filmreifes Leben ist zu Ende gegangen – einer, der das Stottern überwand, wird als alter Mann berühmt durch einen Film über den König, der das Stottern (nur kurzzeitig) überwand, und beide hatten dies gleichzeitig durch dasselbe Mittel (nämlich Fluchen) geschafft.[3] Ein Leben, das Höhen und Tiefen kannte und einige Jahre vor seinem Ende einen unerwarteten Höhepunkt erreichte – dies klingt nach einer Legende. Hollywood war doch die grosse Produktionsstätte für Legenden, und David Seidler war ein Teil von ihr. Die Geschichte soll aber wahr sein – und wenn schon: „Si non è vero, è ben trovato“, sagt der Italiener.[4]

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David Seidler. Quelle: https://www.filmaffinity.com/es/name.php?name-id=500986399, en.wikipedia.org/wiki/File:Publicity_Photo_of_David_Seidler.jpg