Michael Bittner
Julius H. Schoeps: Wem gehört Picassos „Madame Soler“?
Der Umgang des Freistaates Bayern mit einem spektakulären NS-Raubkunstfall.
Berlin-Leipzig: Hentrich & Hentrich Verlag 2022.
Broschiert, 186 Seiten, 18 Abbildungen, Euro 24,90.-
ISBN 978-3-95565-538-9
Was täte ich, wenn mir ein Stückerl von einem Picasso zustünde? Nur ein kleines, sagen wir fünf Prozent, aber einem Wert von über 100 Millionen Euro? Ich würde erst einmal ein Buch schreiben, um zu beweisen, dass dieser Picasso eigentlich auch meiner Familie gehört (und nicht dem Museum, das es von einem jüdischen Kunsthändler gekauft hat).
Genau das hat Julius H. Schoeps gemacht; gleich in der Einleitung lässt er uns wissen, dass er der Sprecher der Erbengemeinschaft nach Paul von Mendelssohn-Bartholdy ist, die den Picasso jetzt, wo er etwas wert ist, haben will, nachdem man vorher von einer Kunstsammlung gar nichts wusste (Seite 75).
Schoeps bedauert auch, dass Restitutionsklagen vor U.S.-Gerichten nicht mehr möglich sind (Seite 25). Andererseits wird Vieles an NS-Raubkunst den rechtmäßigen Besitzern bis heute vorenthalten, wie wir am Beispiel der Kunstsammlung von Schieles Zahnarzt, Dr. Heinrich Rieger sehen: ich weise auf das hervorragende Buch von Lisa Fischer hin.[1]
Schoeps war mir als seriöser Wissenschaftler geläufig[2], er war Gründungsdirektor des Jüdischen Museums Wien, einem Haus, das seither viel mitmachen musste. Diese Publikation ist jedoch eine glatte Enttäuschung, weil sie nicht von Picassos Gemälde und nicht von Raubkunst handelt, sondern vom Wunschdenken des Herrn Schoeps.
Das Buch geht von einer Schilderung der internationalen rechtlichen Situation aus, wie sie sich seit 1998 entwickelt hat, dann kommen viele Parallelfälle dran, die mit der Madame Soler nichts zu tun haben. Erst auf Seite 71 schleichen sich erste zaghafte Informationen über das Titelbild in den Text ein. Ist es NS-Raubkunst, wenn Gemälde in die Schweiz exportiert und nach dem Tod des Besitzers 1935 verkauft werden? Wo bleibt der Raub? Die rauchende Walther? Für Schoeps ist es Raubkunst, weil es so sein muss, denn sonst gibt es keine Restitution, auch wenn die Dokumente etwas anderes zu sagen scheinen.
Es ist leider eine vergebene Chance, denn aus diesem Stoff hätte man nach talmudischen Prinzipien ein spannendes Frage-Antwort-Spiel machen können, das lesenswert hätte sein können. Stattdessen hält sich der Autor eher an ein klassisches Beispiel: Tacitus, der „sine ira et studio“ Geschichte schreiben will, bevor er hasserfüllt über die Kaiser herzieht, die ihn an Domitian erinnern[3], vgl. die Ausführungen Schoeps‘ auf Seite 14.
Wenn Sie über Raubkunst genaueres wissen wollen, ist dieses Buch nicht geeignet. Dennoch – Lesen bildet, hier gibt es sehr viel interessanten Stoff, den man selbst interpretieren und mit Vergleichsbeispielen abgleichen kann.
Um die Frage des Untertitels zu beantworten: der Freistaat Bayern hält sich an gesichertes Wissen und die bundesdeutschen Gesetze.
Anmerkungen
[1] Lisa Fischer: Irgendwo. Wien, Theresienstadt und die Welt. Die Sammlung Heinrich Rieger. Czernin Verlag, Wien 2008.
[2] Im vorliegenden Buch gibt es leider keine Fussnoten.
[3] Tacitus Annales 1,1, https://www.gottwein.de/Lat/tac/ann0101.php abgerufen 24.10.2023