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Wer hätte gedacht, dass die jiddische Sprache und der burgenländisch-hianzische Dialekt beachtliche Parallelen aufweisen?
Das kommt nicht von ungefähr, denn beide Idiome leiten sich aus dem Mittelhochdeutschen ab und haben typische Besonderheiten bewahrt. „Heynt“ etwa bedeutet gleichlautend „heute“ im Jiddischen wie in der heutigen burgenländischen Alltagssprache. Der schillernde Begriff e(i)ppa/ vielleicht wird im Burgenland ebenso verwendet wie im Jiddischen, das diesen Ausdruck bis nach Amerika transferiert hat. „Who has epes an idea?/ Hat vielleicht jemand eine Idee?“ versteht man da wie dort mit ungewiss-fragender Bedeutung.
Wie ist diese frappierende Ähnlichkeit zu erklären? Dazu vorerst ein kurzer Rückblick zur jüdischen Geschichte im heutigen Burgenland.
Die jüdischen Gemeinden im Burgenland
Die Gründung und Entwicklung der berühmten jüdischen Gemeinden, der schewa kehillot, ist eine sehr bewegte und bewegende, wie überhaupt die ganze jüdische Geschichte. Im Hochmittelalter, besonders im 13./14. Jahrhundert, bildete sich die erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts so genannte „jiddische Sprache“ heraus. Die Kreuzzüge und die Grosse Pest von 1348 bedeuteten für die jüdische Bevölkerung eine Zeit grosser Bedrängnis, von Flucht oder Tod. Feindbilder wurden in der Öffentlichkeit gesucht und alsbald in den abgesondert wohnenden Juden gefunden, die immer wieder und fast überall in Europa vertrieben wurden und nicht selten den Tod am Scheiterhaufen fanden – die brutale mittelalterliche Strafe für „Ketzer“. Im Jahre 1421 liess Herzog Albrecht V.in der grossen Wiener Gesera 200 Juden auf der Gänseweide in Erdberg lebendigen Leibes verbrennen.
Schon Ende des 13. und dann im 14. Jahrhundert erfolgte eine erste Ansiedlung von Juden im heutigen Burgenland während der Herrschaft der Kanizsai, eine weitere Welle löste die Vertreibung aus der Steiermark 1496 aus und 1526 folgte, nach der ungarischen Niederlage gegen die Türken bei Mohács, nochmals eine Fluchtbewegung nach Eisenstadt; auch aus dem nahen Ödenburg (ung. Sopron) wurden Juden zur Flucht gezwungen und hier angesiedelt.
Im Jahre 1670 liess Kaiser Leopold I. die Juden aus Wien vertreiben. Fürst Paul Esterházy nahm sie auf seinen Gütern in Westungarn auf und stellte ihnen am 1. Jänner 1698 einen Schutzbrief aus. In 17 Punkten wurden ihre Rechte und Pflichten niedergeschrieben und ihnen Selbstverwaltung samt niederer Gerichtsbarkeit, etwa bei Raufhändeln, gewährt. Natürlich handelte der Schutz- und Schirmherr nicht uneigennützig oder aus reiner Menschlichkeit. Er verlangte Schutzgebühren, Steuern und Abgaben – als Gegenleistung für die Erlaubnis der Ansiedlung, die innere Autonomie und die Verteidigung gegenüber Übergriffen von aussen.
In Eisenstadt siedelten diese andersgläubigen Neuankömmlinge zuerst am Schlossgrund und bildeten dann am angrenzenden Unterberg eine selbstständige Gemeinde mit einer „Schul“, also einer Synagoge, und einem, wie in Ungarn üblich, „Richter“ genannten Bürgermeister und einem „Notär“, der als angestellter Amtmann die Verwaltungsagenden erledigte. Dieses staatliche jüdische Gemeinwesen mit Selbstverwaltung war einzigartig in Europa. Es gehörte zu den bedeutendsten jüdisch-orthodoxen Gemeinschaften und war ein Zentrum der Gelehrsamkeit mit ihrer Talmud-Tora-Schule. Eine solche bestand auch in Mattersdorf (seit 1926 Mattersburg, bis 1903 als selbstständige politische Juden-Gemeinde) und in Deutsch-Kreutz, wobei Synagoge und Wohltätigkeitseinrichtungen ihre jüdische Religion, eigene Traditionen und das soziale Zusammenleben aufrechterhielten. Die jüdischen Gemeinden bestanden bis 1938, dem Jahr der zwangsweisen Auflösung auch der traditionsreichen selbständigen jüdischen Gemeinde Eisenstadt.
Sieben „heilige Gemeinden“ existierten als streng orthodoxe Gemeinschaften im Herrschaftsbereich der Esterházy im heutigen Nordburgenland: Eisenstadt, Mattersdorf, Frauenkirchen, Kittsee, Deutsch-Kreutz, Lackenbach und Kobersdorf. Unter der Herrschaft der Batthyány entwickelten sich im heutigen Südburgenland die jüdischen Gemeinden Güssing, Rechnitz und Schlaining, wobei dessen Bewohner sukzessive in das wirtschaftlich aufstrebende Oberwart übersiedelten und sich dort eine jüdische Gemeinde mit einem Rabbiner etablierte. Diese südlichen Gemeinden waren dem liberalen Reformjudentum zugewandt.
In Lackenbach waren mehr als 50 Prozent der Gesamtbevölkerung jüdisch. Während im 19. Jahrhundert 8.000 Juden im heutigen Burgenland lebten, waren es 1934 nur noch etwa 4.000, was 1,2 Prozent der Bevölkerung entsprach. – Als den Juden 1860 die Aufenthalts- und Niederlassungsfreiheit gewährt wurde, und besonders seit der vollen Gleichstellung im Staatsgrundgesetz von 1867, übersiedelten viele aus wirtschaftlichen Gründen nach Wien. In den schicksalhaften Jahren 1918 bis 1921 begrüssten die meisten Juden Deutsch-Westungarns die Angliederung des Burgenlandes an die Republik Österreich. Im Jahre 1938, gleich nach dem vollzogenen Anschluss an Nazi-Deutschland, wurden die Juden auch im Burgenland brutalem Terror ausgesetzt. Etwa zwei Drittel von ihnen gelang die Flucht. Sie gelangten (rechtzeitig) meist über Wien ins Ausland und dann nach Übersee, bevor die Deportationen und die systematische Vernichtung in den Konzentrationslagern begannen.
Zur jiddischen Sprache
Die Juden in Westungarn sprachen ursprünglich ihre aus den Gebieten nahe dem Rhein mitgebrachte west-jiddische Sprache, die sich aus dem Mittelhochdeutschen entwickelt hatte. Geschrieben wurde das Jiddische in hebräischer Schrift. Diese verläuft wie das Arabische von rechts nach links, man liest also am rechten Zeilenrand beginnend. In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant, dass die älteste Fassung des Gudrunliedes, eines hochmittelalterlichen Heldenepos´, in hebräischer Schrift überliefert ist. Übrigens ist „Jiddisch“ als Sprachbezeichnung erstmals 1597 belegt, meist wurde es wegen der grossen sprachlichen Affinität als „Judendeutsch“ bezeichnet. Für die jiddisch Sprechenden selbst heisst „ins Jiddische übersetzen“ noch immer (va)daitschn.
Die Schreibweise „jiddisch“ mit Doppel-d ist eigentlich falsch und nur der englischen Aussprache geschuldet. Mit einem -d- hiesse es phonetisch im englischen Sprachraum sonst jaid, die Verdopplung des -d- ist daher seit Anfang des 20. Jahrhunderts allgemein üblich.
Die burgenländischen Juden übermittelten ihre Sprache und Gelehrsamkeit von Generation zu Generation über ihre (Talmud-)Schulen, die in den sieben orthodoxen Gemeinden des heutigen Burgenlandes bestanden. Die Grabsteine ihrer Verstorbenen wurden traditionsgemäss nur auf Hebräisch beschriftet, im Gegensatz zu den drei südburgenländischen Gemeinden, wo die Grabinschriften auf Deutsch, gelegentlich auf Ungarisch und in lateinischen Buchstaben erfolgten. Grabdenkmäler sind heute oft die einzigen sichtbaren baulichen Relikte eines jahrhundertealten jüdischen Kulturlebens.
Die jiddische Sprache wurde im häuslichen Gebrauch und im täglichen wirtschaftlichen Umfeld allmählich durch die burgenländisch-hianzische Umgangssprache ersetzt. Kennzeichnend ist, dass deutsche Ausdrücke mit dem Umlaut –ü- wie –i- ausgesprochen werden, also „Brüder“ wie Brida.
Eine spannende Entwicklungsgeschichte zeigt uns, dass die jiddische Sprache zahlreiche Gemeinsamkeiten und nachvollziehbare Parallelen zum burgenländisch-hianzischen Dialekt aufweist, was nicht von ungefähr kommt und sich sprachgeschichtlich erklären lässt. Beide sprachlichen Ausdrucksformen leiten sich nämlich direkt aus dem Mittelhochdeutschen her und führten jeweils ein kulturelles Nischendasein, das nur im familiären Umfeld und in der Dorfgemeinschaft eine dominierende Rolle spielte. In beiden Idiomen überlebten daher auch alte deutsche Ausdrücke, die anderswo ausstarben.
Die jiddische Sprache besteht zu 70 bis 75 Prozent aus deutschen Wörtern und Wortwurzeln. Ihre Struktur und die Grammatik fussen ebenso auf der deutschen Sprache wie der Satzbau. Nicht zu vergessen ist die Betonung am Wortstamm und eine ähnlich klingende Satzmelodie. Jiddisch hat vier Fälle und drei Geschlechter, bildet unregelmässige Zeitwörter und spricht Zahlwörter wie im Deutschen, beginnend mit der Einerzahl aus, also „34“ heisst fir un dreissi. Maximal 10 bis 20 Prozent des Wortschatzes sind hebräisch-aramäischer Herkunft, also aus der Sprache, die auch Jesus von Nazareth sprach. Sprachwissenschaftlich zählt die jiddische Sprache zu den germanischen Sprachen, die (vor dem Holocaust) die drittgrösste Anzahl an Sprechern hatte – nach dem Englischen und dem Deutschen, aber noch vor dem Niederländischen oder Schwedischen; sie war in fast ganz Europa sowie vor allem in Nordamerika verbreitet.
Das Westjiddische nahm nach der Phase der Aufklärung und mit der Assimilierung der Juden in Westeuropa rasch ab, doch wuchs die Anzahl der ostjiddisch Sprechenden in Polen, Galizien, der Ukraine und Weissrussland ständig. Ihre Sprache wurde dort um zahlreiche slawische Ausdrücke angereichert. Durch Abwanderung in die grossen wirtschaftlichen Zentren Mitteleuropas wie Wien oder Budapest ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, verbunden mit einer raschen Assimilierung, und letztlich im Holocaust wurde die jiddische Sprache fast vollständig ausgelöscht. Vor allem in den U.S.A., in Israel (besonders die Ultra-Orthodoxen) und in Russland beherrschen noch 0,5 bis 1,5 Millionen Menschen die jiddische Sprache, die allerdings anerkannte Minderheitensprache in Bosnien-Herzegowina, den Niederlanden, Polen, Rumänien, Schweden und in der Ukraine ist.
Was hat die jiddische Sprache konkret mit dem burgenländisch-hianzischen Dialekt gemeinsam?
Das Jiddische, das ursprünglich in den im Jahre 1938 aufgelösten sieben orthodoxen Gemeinden des Burgenlandes gesprochen wurde, weist erstaunliche Parallelen zum burgenländisch-hianzischen Dialekt auf, doch ist keine unmittelbare Beeinflussung feststellbar, sondern wir erkennen die gleiche sprachliche Grundlage, sind doch beide Sprachen im Hochmittelalter geformt und geprägt worden. Welche gemeinsamen Linien zeichnen sich ab?
Aus dem Mittelhochdeutschen -iu wie in niuwe/neu entwickelte sich auch im Jiddischen -aj: naj/neu und aus schoene/schön wurde schejn, in der hianzischen Aussprache deutlich nasaliert. Auch Zwielaute wurden eingeführt wie gejn für „gehen“ und Ejsel für den „Esel“. Alte Ausdrücke blieben wie im oberdeutschen Dialekt erhalten wie gojder, mittelhochdeutsch goder, für das „Doppelkinn“.
Die Mitvergangenheit, das Präteritum, wird im Jiddischen praktisch nicht verwendet, auch im Hianzischen ist die klassische Erzählform nur die Vergangenheit, das Perfekt: statt „war“ also iz gwen oder gewezen. Gerne wird das Hilfsverb sajn verwendet, also „Ikh bi gestanden/gesessen“ statt norddeutsch „Ich habe gestanden/gesessen“.
Auch der Konjunktiv ist weder im Jiddischen noch im Hianzischen gebräuchlich bzw. wird er umschrieben, zum Beispiel mit mecht/mechat (rejgnan) („Es könnte regnen.“)
Relativsätze werden mit wos eingeleitet, z.B. a hoyz wos ikh für „ein Haus, das ich“ oder a mentsh wos , also „ein Mann, der/welcher“.
Zeitwörter in der 1. Person Einzahl haben kein Endungs –e („lutherisches-e“): Ikh gib,hob, shik für „Ich gebe, habe, schicke“.
Ets und eng/enka für „ihr“ und „euch/Euer“ auf Jiddisch wurde und wird im baierischen Dialekt, zu dem auch das Hianzische mit seiner nasalierenden Aussprache gehört, als e(i)ss und eng/enka verwendet – im Unterschied zum sonstigen deutschen Sprachraum.
Ein zusätzliches Reflexivpronomen „sich“ wird mit Vorliebe verwendet: die Kinder schpieln zikle für „die Kinder spielen“ oder mia treffn si anstatt „treffen einander“ oder „uns“.
Fragewörter wie „wovon?“ oder „warum/wieso/wozu?“ werden in zwei Wortteile getrennt: jeweils far wos? und fia wos?
Mehrzahlwörter werden ähnlich gebildet: für „der Tag/ die Tage“ heisst es derTo(g)/ die Teg; der bestimmte Mehrzahl- Artikel „die“ wird dann übrigens in allen Fällen, auch im zweiten und dritten Fall (statt „den“) verwendet, genauso im alten Hianzischen, zum Leidwesen der Lehrer: I gib`s di Hiana anstatt „Ich gebe es den Hühnern“.
Der zweite Fall, der Genetiv, wird kaum gebraucht. Hier gilt seit langem „Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod“, der Wes-Fall wird also jeweils umschrieben und in der Einzahl mit –n verstärkt: An taten sein hojz = „ In Vodern sei Haus“.
Die doppelte Verneinung des Zeitwortes zeigt sich in der Alltagssprache regelmässig: keyn…nit, zum Beispiel sie hot keyn kitl nit, sie hat also keinen Kittel, kein Kleid.
Etliche alte Ausdrucksformen haben überlebt: der Gsunt bezeichnet gleichermassen die Gesundheit, wejl as wichtigste is der Gsunt. Beim Niesen wünscht man Zu Gsunt! im Jiddischen wie auch früher „An Gsund!“ im burgenländischen Dialekt.
An Gwalt hobm bedeutet auch im Hianzischen, seinen Willen unbedingt durchsetzen zu wollen, etwa das Aufbegehren von kleinen Kindern.
Bei Verwandtschaftsverhältnissen zeigt sich die nahe sprachliche Verwandtschaft. Schnur ist/war jeweils die Schwiegertochter, Vetter ist nunmehr der „Onkel“ , als „Fe-ida“ im Hianzischen für einen zielich alten Mann und Mume steht für die „Tante“, nun als „Muam“ für eine alte Frau. – Für den Cousin, die Cousine sagte man im Hianzischen nur Gschwisterkind, also das logische verwandtschaftliche Verhältniswort, im Jiddischen fast gleichlautend dazu Geschwesterkind, während hochdeutsch „Vetter“ und „Base“ die ursprünglichen Bezeichnungen waren. Im Ausdruck „Geschwister“ steckt übrigens das Wort „Schwester“; Geschwister wird für alle Geschlechter verwendet. Es hat sich hier im Deutschen und Jiddischen die weibliche Form durchgesetzt, ein Beispiel für ein „generisches Femininum“ – ohne dass sich bisher der Ruf nach einer geschlechterneutralen Gender-Form erhoben hat.
Der unbestimmte Artikel lautet einheitlich a(n), zum Beispiel a Man/ a Froj/a Kind/ an Apl (eine Frau, ein Kind, ein Apfel), also genauso wie in der Mundart ohne Differenzierung nach dem Geschlecht wie in der deutschen Standardsprache („eine“).
Die Verkleinerungsformen werden jeweils mit –l gebildet, wobei zwischen –n und –l jeweils ein -d- eingeschoben wird, etwa Steindl, Kerndl oder Kindl statt „Steinchen, Körnchen oder Kindchen“, aber besonders im Jiddischen auch mit -ele wie kindele; der kleine Vogel heisst fejgele wie Ve(i)gerl(e) im Hianzischen. In der österreichischen Umgangssprache lauten ja die gängigen Verkleinerungsformen nach wie vor Stamperl, Glaserl oder Pantscherl.
Die Höflichkeitsform wird mit der 2. Person Plural gebildet – genauso wie früher im Burgenland, wo man zu älteren Personen „Ihr“ sagte: Das Ersuchen, etwas hinzustellen, lautet jiddisch also ähnlich: Sejt asoj gut, schtelt…
Aktuelle jiddische Wort-Beispiele im amerikanischen Englisch, die auch im Hianzischen gebräuchlich sind
Im Wortschatz beider Sprachen finden wir viele fast gleichlautende, teilweise weiterentwickelte Ausdrücke. Gar nicht so wenige haben sich über den “Grossen Teich“ nach Amerika gerettet.
Aus dem mittelhochdeutschen eteswar übernahm die jüdische Bevölkerung für „vielleicht“ das häufig gebrauchte Wort epess, genauso sagt man im Burgenland e(i)ppa. Gebräuchlich ist im Jiddischen auch das häufige Umstandswort der Zeit heynt für „heute“, das sich ebenso als nasaliertes hei(n)t im burgenländischen Dialekt findet.
Fardutzt im Jiddischen und vaduzt im Hienzischen: „verdutzt“ schaut jemand drein, der eine überraschende Neuigkeit erfahren hat. Das Wort stammt aus der gemeinsamen mittelhochdeutschen Wurzel verdutten.
Kibitzen wieder bedeutet gleichermassen das verstohlene Zuschauen (zum Beispiel beim Kartenspielen) samt Kommentar. Die narischkeit ist eine Dummheit und heymisch fühlt sich jemand, wenn es „gemütlich“ ist, auch wenn es im schwizbod in der kelerschtub, also in der Sauna im Souterrain sein sollte.
Das Kne(i)dl – in der Schriftsprache „der Knödel“ – heisst auch im Jiddischen knejdl, in der Mehrzahl knejdlach. Das „Kneten“ und der „Knoten“ sind übrigens verwandte Wörter; das indogermanische kn- am Wortanfang wird vor allem für Verdickungsformen im Sprachausdruck verwendet, wie beim Knie, Knopf oder Knofl/Knoblauch leicht nachvollziehbar.
As Bejgl im Jiddischen, unser Ba(i)gl oder Kipferl – in grösserer gebackener Ausführung Bagl oder Bagn, die bei Hochzeiten, dem Totenmahl oder zu Allerheiligen (als Halingstritzl) verspeisten Weissbrotwecken – hat von Amerika aus überhaupt eine internationale Karriere gemacht und wird in runder oder durchlöcherter Form (meist als Süssspeise) weltweit angeboten, nicht nur im Beisl, das wiederum aus dem hebräischen bajis/Haus stammt. Das „Beugel“ ist sprachgeschichtlich mit unserem Zeitwort „biegen“ und unserer „Armbeuge“ verwandt.
Alte Wörter, die gerne im Zusammenhang mit Kindern verwendet werden, haben sich über Vermittlung durch das Jiddische bis heute im amerikanischen Englisch erhalten. Kleinkinder (das Pitzl oder Butzele) kwitschen (oft vor Freude oder aus Angst) mit durchdringendem Ton, wenn man sie zum Beispiel schtupt/stupft; sie platzn (weinen) da wie dort, wenn sie wütend sind und ihnen der Kragen platzt. Wenn ein Schtunk/shtunk entsteht („He made a terrible shtunk“), also ein Ärger oder Durcheinander, so leitet sich dieser Ausdruck vom mittelhochdeutschen stanc, hianzisch as Gschtaung, hochdeutsch „der Gestank“ ab. — Wenn Kinder im Nassen oder im Schlamm der aufgeweichten Dorfstrasse umadumpotschn, offenbart das den gleichen Wortstamm wie im Jiddischen und in der Folge im Amerikanischen, wo ongepotchket auch „zusammengeklatscht, verdorben, übertrieben oder (mit Schmuck) überladen“ bedeutet.
Wo und wieso das Jiddische deutliche Spuren in unserer Alltagssprache hinterlassen hat
Höchst beachtlich ist auch der Einfluss des Jiddischen auf die deutsche Umgangssprache. Das Jiddische kann man als eine Schwestersprache des Deutschen betrachten, die sich grösstenteils aus der gleichen mittelalterlichen Sprachquelle entwickelt hat. Besonders in den Wiener Dialekt und letztlich auch in die burgenländisch-hianzische Mundart sind zahlreiche, ursprünglich hebräische Ausdrücke eingeflossen und Teil unserer Alltagssprache geworden – ein überzeugendes Beispiel für eine wechselseitige Beeinflussung und Bereicherung von Sprachen. Viele Wortbeispiele bezeugen dies in unserer Umgangssprache, ohne dass uns das heute noch bewusst ist.
Wenn wir montags „blau machen“, weil wir vielleicht zu viel Wein oder Most konsumiert haben und wir uns, anstatt zu arbeiten, auf die „faule Haut“ legen, so hat das nichts mit der Farbe Blau zu tun (vielleicht doch mit der Farbe der Lippen oder gar der Nase?). Der Ausdruck stammt vom hebräischen Wort beloh, was „mit nichts, ohne“ bedeutet. „Geschlaucht“ sind wir trotzdem wohl den ganzen Tag – vom hebräischen schlacha / „zu Boden werfen“ abgeleitet. Unser „Haberer“, der uns beim Nichtstun unterstützt, kommt von habar „verbunden sein“ bzw. von chaver „Freund, Kumpel“. Wenn wir dann gar „kotzen“ müssen, wird das wahrscheinlich mit einem Ekel, aus hebräisch goz, verbunden sein. Wir befinden uns jedenfalls in einem „Schlamassel“ (hebräisch schlimsal = Stechen, Unsinn), in einer trüben, aussichtslosen Situation, in der wir noch dazu „Stuss reden“ (hebräisch schetut = Dummheit), also Unsinn verzapfen, bis vielleicht ein betuchter Herr (hebr. batuach: „sicher, vertrauenswürdig“) mit uns „Tacheles redet“ (hebr. tachles = zweckmässiges Handeln) oder uns gar „Saures gibt“, wir also „Zores haben“ (von hebr. zarot = Sorgen, Kummer und zarar = Enge).
Möglicherweise „mauschelt“ (moischele = Moses; Spruch) bereits ein „mieser Ganove“ (mis = schlecht, verächtlich und gannav = stehlen) hinter vorgehaltener Hand, dass jemand „meschugge“ sei (hebr. meschuga = verrückt, wahnsinnig), zumindest aber „pleite“ (von hebr. pleto: Flucht vor Zeugen, Bankrott).
Wenn wir aber ein „Massl haben“ ( mozala/mezilla = fester Weg der Sterne und mazal = Glück), vielleicht weil wir „Eizes/Ezzes bekommen“ haben (ezza = Ratschlag) oder sich jemand „einschleimen“ wollte (schelem = Erstattung, Dank; schmeicheln), könnte sich die angespannte Situation noch ohne „Zoff“ entspannen (sa´af = Streit, Zank, Unfriede) und ohne „grossen Pahöll“ (paihe = Lärm), also ohne allzu grosses Aufsehen, erledigt sein – wer weiss, vielleicht sogar in ein „Techtelmechtel“ (tachti = geheim) münden? Wäre es schliesslich nicht erfreulicher, lieber mit einem „kessen“ Mädchen (kess vom hebräischen Buchstaben chet = Weisheit; frech, schneidig) zu „schäkern“ (hebr. schakar, chek = Spass machen) oder gar zu „schmusen“ (schmuo = Gerücht, Geschwätz; zärtlich sein)? Zu diesem Unterfangen wünschen wir jedenfalls „Hals- und Beinbruch!“ (hebr. hazlocha mozacha = Erfolg und Segen).
Wir ersehen aus diesen Beispielen die befruchtende Nähe von Sprachen und Dialekten und dass eine fast ausgestorbene (im konkreten Fall fast ausgerottete) Sprache durchaus weiterleben kann – auch wenn uns dies im Alltag nicht immer bewusst wird. Manch ein Ausdruck wird als ein bleibendes lebendiges Denk-Mal die Erinnerung wachhalten an ein jahrhundertelanges fruchtbares (manchmal auch furchtbares) Miteinander in einer bereichernden sprachlichen Symbiose.
Nachlese
Jacob Allerhand: Jiddisch. Ein Lehr- und Lesebuch. Wien 2001.
Burgenländisch-Hianzische Gesellschaft (Hg.): Da Säickl-Hianz. Das kleine burgenländische Wörterbuch für Notfälle. 2018.
Dtv-Atlas zur deutschen Sprache. München 1994.
Duden: Jiddisches Wörterbuch. Mit Hinweisen zur Schreibung, Grammatik und Aussprache. Mannheim 2018.
Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Erarbeitet unter Leitung von Wolfgang Pfeifer. Berlin 2012.
Häusler Wolfgang: Probleme der Geschichte des westungarischen Judentums in der Neuzeit. In: Burgenländische Heimatblätter, 42. Jg./1980.
Historischer Atlas Burgenland. WAB Bd. 141. Eisenstadt 2011.
Claus Jürgen Hutterer: Die germanischen Sprachen. Ihre Geschichte in Grundzügen. Wiesbaden 2002.
Lexer Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Stuttgart 1999.
Miriam Rosengarten/ Vera Loos: Iwrit. Schritt für Schritt. Hebräisch für Anfänger. Wiesbaden 2005.
Jakob Perschy: Hundert Wörter Burgenländisch. Ein Beitrag zu hundert Jahre Burgenland. Oberwart 2021.
Peter von Polenz: Geschichte der deutschen Sprache. Berlin/Boston 2020.
Leo Rosten: Jiddisch. Eine kleine Enzyklopädie. München 2006.
Reiss Johannes: Aus den sieben Gemeinden. Ein Lesebuch über Juden im Burgenland. Eisenstadt 1997.
Erwin Schranz: Die Mundart im Burgenland. In: Austria Forum, https://austria–forum.org
Soukop Oswald: Von Judendeutsch zu Jiddisch. In: Wiener Sprachblätter 4/2017.
Peter Wehle: Sprechen Sie Wienerisch? Von Adaxl bis Zwutschgerl. Wien/Heidelberg 1980.