Ausgabe

The Cow That Kept Shabbat

Elisabeth Esterle

Inhalt

Es war im Zuge meiner Recherche für eine Prüfung über Rabbinische Literatur, als ich das erste Mal über den Namen Yochanan Ben Torta gestolpert bin. Ursprünglich dem berühmten Rabbiner Akiba und dessen Lebensgeschichte auf der Spur, sprang mir dieser Name direkt ins Auge. Gewappnet mit einem simplen Gemüt und zweifelhaften Hebräischkenntnissen musste ich der Sache auf den Grund gehen, um schliesslich herauszufinden, dass „Torta“ keineswegs etwas mit einem Dessert zu tun hatte, sondern mit einem wiederkäuenden Paarhufer. Wider Erwarten liess meine Neugierde natürlich nicht nach, woraufhin ich die Geschichte Akibas erst einmal verschmähte, um mich Rabbi Yochanan Ben Torta und der Herkunft seines aussergewöhnlichen Namens zu widmen.


Wie sich letztlich zeigen sollte, gab es allerdings vergleichsweise wenig über Yochanan zu wissen. Jedoch ging aus meiner Nachforschung immerhin hervor, dass er ein offener Kritiker gegenüber Rabbi Akibas Meinung über Bar Kochba gewesen sein dürfte und ihn ein Hausrind davon überzeugte, zum Judentum zu konvertieren.


Diese neu gewonnen Informationen liessen mich erneut ruhelos zurück, da ich nun wirklich wissen musste, was es mit dieser Namensgebung auf sich hatte. Die komplette Geschichte hierzu fand ich schliesslich in der sogenannten Pesiqta Rabbati, einem Sammelwerk an ergänzenden Erzählungen zur Midrasch. Sie geht folgendermassen;

„(…) An incident concerning a Jew who had a cow to plow [his field]. He became impoverished {and he sold} [the cow] to a gentile. As soon as that gentile owned it, he plowed with it during the six days of the week. On the Sabbath he took it out to plow, but it lay down under the yoke. He beat it, but [the cow] would not move from its place. When he saw this he went to the Jew who had sold it: Come, take your cow. It has some problem. No matter how much I beat it, it will not move from its place. The Jew understood that this was related to the Sabbath, because the cow had been accustomed to rest on the Sabbath. He said to [the gentile]: Come, I will make [the cow] get up. When he came [to the cow], he spoke into its ear: O cow, O cow, you know that when you were under my care, you plowed on the six days of the week and on the Sabbath you rested. But now that my sins have brought about that you are in the hands of a gentile, please, get up and plow.“
[1]

„At once [the cow] stood up and plowed. The gentile then said to him: Until now I begged your cow, when it was resting, and then you came and made it stand up. Above and beyond this and that, I will not leave you alone until you tell me, what you did to its ear that made it stand up and plow? Because I hurt it and struck it and wore myself out, but still it did not stand up. The Jew began to calm him down and said to him: I did not perform sorcery or witchcraft. But I spoke this and this into its ear, and it stood up and plowed. At once the gentile was overcome by awe. He said: If a cow, which has no speech and no understanding, could acknowledge its Creator, I, whom He made in His image and gave me understanding, shall I not go and acknowledge my Creator? At once he went and converted and studied and acquired Torah. They called him Yohanan ben Torta. And to this day our Rabbis quote {halakhah} in his name. (…)“ [2]

Mit dieser Erklärung war mein Wissensdurst vorerst einmal gestillt und ich konnte mich getrost wieder den Rabbinen und ihrer Literatur widmen, zumindest vorerst. Schliesslich kam es im Semester darauf zur Themenwahl dieser schriftlichen Arbeit. Mein erster Impuls war, in das sich neben meinem Schreibtisch befindliche Bücherregal zu greifen und mich nach dem Buch mit der Aufschrift „Die Kabbala“ zu strecken. Ich hatte es bis dahin schon einige Male für diverse Arbeiten durchgeblättert, mich jedoch nie ausgiebig genug damit beschäftigt, um feststellen zu können, dass es sich dabei nicht um eine Sammlung mystischer Lehren handelt, sondern um ein erklärendes Begleitbuch zu besagtem Werk.


Meine Stimmung sank daraufhin in den Keller, da ich mir nun entweder schnellstens eine richtige Kabbala zulegen oder Ausschau nach einem anderen Text halten musste. Einen Augenblick später fiel mir wie aus heiterem Himmel allerdings jene Erzählung über die Bekehrung durch eine Kuh wieder ein. Ironischerweise war mir im ersten Moment ausgerechnet der Name des Mannes entfallen, der mich einst so beschäftigt hatte; einzig, dass er mit etwas Süssem zu tun hatte, war mir im Gedächtnis geblieben, weshalb ich die Schlagwörter „Kuh“ und „Schabbat“ in die Suchmaschine klopfen musste. Und siehe da, hier war er; „Die Kuh, die den Schabbat einhielt“.
Kurz darauf wurde das Thema genehmigt und ich sah mich vor meiner zweiten Hürde; was sollte ich nun aus diesem – vergleichsweise kurzen – Text herausholen?

Von meinem Ausgangspunkt, dem Text selbst, ergaben sich nach näherer Betrachtung drei wichtige Punkte, auf die ich meinen Fokus legen musste: die Pesiqta Rabbati, Yochanan Ben Torta und die Kuh. Wie sich schliesslich zeigen sollte, gab es wesentlich mehr zu wissen als ich mir je vorgestellt hatte, da mich diese literarische Reise von Textstellen der Torah über altorientalische Stierkulte bis hin zur Begründung eines Dritten Tempels in Jerusalem führen sollte. Auf die Ergebnisse dieser Suche, werde ich nun genauer eingehen.

 

Die Pesiqtot
Das aramäische Wort „Pesiqta“, welches vermutlich aus der ursprünglichen Pluralform „pesiqata“ bzw. „pasuq“ hervorging ist kohärent mit dem Hebräischen „pisqa“, welches sich mit „Vers“, „Abschnitt“, „Kapitel“ übersetzen lässt.[3]„Rabbati“ hingegen bedeutet „die Grosse“ und wurde vermutlich hinzugefügt, um den Text von der vorangegangenen „Pesiqta de-Rav Kahana“ unterscheiden zu können.[4]

Die Pesiqta de-Rav Kahana
Die Pesiqta de-Rav Kahana ist eine Sammlung von aggadischen, also erzählenden, Midraschim und zählt zu den ältesten ihrer Art.[5] Als sogenannte Homilienmidrasch wird sie in der Synagoge für Lesungen der Feste sowie der besonderen Schabbate verwendet. Handschriftliche Überlieferungen der PdRK, ebenso wie jene der späteren Pesiqta Rabbati deuten darauf hin, dass Aufbau, Reihenfolge und Umfang sehr lange nicht eindeutig feststanden. Laut Hartmut Hahn waren beide Pesiqtot „(…) als literarische Gesamtwerke nicht vor ihrer ersten Drucklegung fixiert.“


Eine Datierung der Texte ist daher nur in Bezug auf ihren Kern und hier auch nur bedingt möglich.   Der jüdische Wissenschaftler Leopold Zunz datiert die Entstehung der PdRK um etwa 700 n. Chr. Einen Widerspruch hierzu bietet die Ansicht Zunz’, der byzantinische Dichter Eleazar ha-Kallir habe die PdRK bereits gekannt, was die Entstehung somit ins 5. Jahrhundert rückdatieren würde. Fest steht, dass die Benennung nach Rab Kahana, einem babylonischen Amoräer welcher um 400 n. Chr. wirkte, ab dem 11. Jahrhundert belegbar ist. Dieser Verweis auf den babylonischen Gelehrten führte letztlich dazu, dass die PdRK in zwei Versionen zusammengefasst wurde, einmal 1868 von Salomon Buber und 1962 von Bernard Mandelbaum. Die Versionen unterscheiden sich im Wesentlichen in ihrem Anfang und der Menge der erfassten Pisqaot. Laut Zunz und Buber geht die Bezeichnung des Werkes auf den Umstand zurück, dass die grösste Texteinheit mit dem Satz „R. Abba bar Kahana patach“ begann. Laut Mandelbaum belegt die Erwähnung des Rab Kahana zu Beginn des Kapitels für Rosh Hashanah deren ursprünglichen Anfang und damit auch die Namensgebung.

Lange Zeit war die PdRK nur stellenweise in Form von Zitaten in der im 16. Jahrhundert entstandenen Schulchan Aruch, einer Zusammenfassung halachischer Schriften, und dem mittelalterlichen Nachschlagewerk Jalqut bekannt. Aus diesen Zitaten rekonstruierte Leopold Zunz schliesslich sowohl Inhalt als auch Aufbau und erschloss insgesamt 29 Kapitel, beginnend mit Rosh Hashanah. Basierend auf der Sprache sowie Verweisen auf Rabbinen und Orte konnte festgestellt werden, dass die Pesiqta palästinensischer Herkunft sein musste. 1868 veröffentlichte Salomon Buber basierend auf vier neu entdeckten Manuskripten eine um diese erweiterte aktualisierte Version der PdRK, an deren Anfang jedoch das Fest Channukka stand. Die Ausgabe von Bernard Mandelbaum wiederum beginnt ebenfalls mit Channukka, stützt sich aber wie vormalig erwähnt auf die erstmals von Zunz aufgestellte These, dass die Pesiqta nach dem jüdischen Kalender zu lesen ist und damit das Neujahrsfest Rosh Hashanah an deren Anfang stehen müsste.[6]

 

Gleichzeitig spricht die palästinensische Herkunft des Textes gegen einen Zusammenhang mit einem der sechs bekannten Rabbinen namens Kahana, da diese – entgegen eines zeitweiligen Aufenthaltes in Palästina – allesamt Babylonier waren. Trotz vieler Theorien bleibt die endgültige Antwort auf die Frage, wie es zur Namensgebung der Pesiqta kam, unbeantwortet. Verweise auf die PdRK fanden sich zunehmend nur noch in der Schulchan Aruch, sowie in Raschi-Zitaten, ehe die Pesiqta Rabbati ihren Platz einnahm und man deren Vorgänger nur noch aus dem Jalqut kannte.[7]

Die Pesiqta Rabbati
Pesiqta Rabbati“ bedeutet übersetzt „Die grosse Pesiqta“.
[8] Der Name, welcher unter anderem durch einen Raschi-Kommentar zu Exodus 6,14[9] belegbar ist, sollte wohl in erster Linie dazu dienen, um den Text von der wesentlich kürzeren Pesiqta de-Rav Kahana unterscheiden zu können. Inhaltlich gestaltet sich die grosse Pesiqta, ähnlich wie ihre ältere Schwester, als Sammlung von Predigten zu den Festen und besonderen Schabbaten, welche zur Zeit ihres Erstdruckes 1653 erstmals zusammengefasst wurde und insgesamt 47 Pisqaot zählt. Der derzeitige Aufbau, welcher sich aus den Ausgaben von Meir Friedmann (1880) und William G. Braude (1968) zusammensetzt, folgt einem Jahreskreis beginnend mit dem Neumond-Schabbat vor Channukka und endet mit dem Schabbat Bereschit.[10]

Insgesamt muss festgehalten werden, dass kein Gesamturteil über die PR möglich ist, da das Werk bereits bei seinem Erstdruck aus drei verschiedenen Manuskripten[11] zusammengesetzt werden musste. Weitere Ergänzungen unterschieden sich unter anderem in Sprache sowie Entstehungszeitraum. Fünf Pisqaot (15-18, 33 und ein Teil von 14) wurden von der PdRK übernommen. Insgesamt wird zwischen mindestens fünf oder sechs Quellen unterschieden. Eine von ihnen ist die sogenannte Jelamdenu-Quelle[12], auf die schliesslich auch Kapitel 14 und damit die Geschichte über die den Schabbat einhaltende Kuh zurückgeht.[13]

Wenngleich es inzwischen einige Argumente wie etwa die zitierten Rabbinen dafür gibt, den Entstehungsort der PR in Palästina festzulegen, so ist bislang keines dieser Argumente beweiskräftig genug, was schliesslich dazu führt, dass die Entstehungsgeschichte weiterhin ungesichert bleibt.[14] Insgesamt dürfte es mehrere Redaktoren gegeben haben, welche einzelne Homilien in Gruppen zusammenfassten, die sich in Form und Geist ähnelten. Durch diesen langwierigen Prozess entwickelten sich im Laufe der Zeit schliesslich feste Einheiten, die letztlich zu einem Predigtzyklus für das ganze Jahr zusammenwuchsen. Die bislang am öftesten vertretene Datierung platziert die Entstehungszeit der PR, wenn auch nur für einzelne Homilien-Gruppen, ins 6. oder 7. Jahrhundert.[15]

 

Yochanan Ben Torta
Über Yochanan ben Torta gibt es allgemein recht wenig zu wissen. Basierend auf den wenigen Textstellen, die auf ihn verweisen, dürfte er ein Rabbiner der dritten Generation Tannaim[16] gewesen sein und damit während des frühen 2. Jahrhunderts gelebt und gewirkt haben. Wie aus der Textstelle Ta’anit 4:5:13 im Talmud Yerushalmi hervorgeht, kritisierte er laut Rabbi Simeon ben Yohai ganz offen Rabbi Akiba und dessen Ansicht, Bar Kochba wäre der zu erwartende Messias gewesen. So soll er gesagt haben:

„Akiba! Gras wird aus deinen Wangen wachsen und David’s Sohn wird immer noch nicht gekommen sein.“

Laut Wilhelm Bachers mehrbändigem Werk „Die Agada der Tannaiten“ soll Yochanan einst in Akibas Lehrhaus die Lesung aus der Torah verweigert haben, da er die zu behandelnden Textstellen nicht zuvor durchgelesen hatte. Trotz seiner Weigerung sollen ihn die Weisen dafür gelobt haben.[17] Eine weitere Aussage tätigte er die Zerstörung des Tempels betreffend;
„ (…) we find that Shiloh was destroyed only because they slighted the holidays and desecrated the
sancta. We find that the Temple was destroyed the first time only because they were active idolators, and uncoverers of nakedness, and spillers of blood. But of the second we know that they toiled in the Torah, were careful about the commandments and tithes, and every good custom was in them; only they loved money and hated one another without reason. Hate without reason is hard for it is the equivalent if idolatry, and uncovering nakedness, and spilling of blood.“[18]

 

Schliesslich rankt sich um seinen Namen „Ben Torta“, was so viel wie „Sohn der Kuh“ bedeutet, die Legende jenes Tieres, das ihn zum Judentum bekehrt haben soll. In manchen Versionen war Yochanan allerdings nicht der Käufer, sondern in der Rolle des jüdischen Mannes, aus dessen Besitz die Kuh ursprünglich kam. Die Seite jewishvirtuallibrary.org verweist allerdings auf einen anderen Ursprung des Namens; dieser basiere eher auf Yochanans Geburtsort als auf dessen spiritueller Konversion. Ich müsste lügen, würde ich an dieser Stelle behaupten, dass diese mir bisher entgangenen Information mich nicht ein wenig trübsinnig stimmten. Immerhin war ich zu diesem Zeitpunkt bereits knietief in Textstellen über die Symbolik von Hausrindern im Judentum versunken. Von da an aber galt es herauszufinden, ob an dieser Behauptung etwas dran war – immerhin war in der angegebenen Quelle, dem erwähnten Werk von Wilhelm Bacher, nichts davon gestanden. Da ich mich auf alle Eventualitäten vorbereiten wollte, machte ich mich nun auf die Suche nach einem Ort namens Torta, aus dem Yochanan stammen sollte.
 

Tatsächlich konnte ich zwei Textstellen finden, die einen Ort desselben Namens beschreiben.
Einmal im Mischnatraktat Avoda sara 26a, sowie unter Sanhedrin 64a. Beide Stellen weisen nicht uninteressante Parallelen zueinander auf: beide haben einen Bezug zum Götzendienst, und in beiden Textstellen befindet sich Rav Menashe auf einer Reise zu einem Ort namens „Bei Torta“ bzw. „Be-Toratha“. Wie sich nach langwieriger Suche herausstellte, handelt es sich bei „Be Toratha“ um eine nicht näher identifizierte Stadt in Babylonien.[19] Unzufrieden mit dieser Antwort liess ich dennoch nicht ab und fand schliesslich den Hinweis darauf, dass „Be-Thortha“ möglicherweise mit einer ausschliesslich von Juden bewohnten Stadt namens Bithra ident wäre, welche „südlich des königlichen Kanals“ und „auf dem Weg nach Seleukia“ gelegen haben soll, bis sie schliesslich von Kaiser Julian niedergebrannt wurde.[20] Ähnliches berichtet eine andere Quelle, laut welcher der römische Kaiser Julian, der Juden gegenüber sehr tolerant gewesen sein dürfte, im Zuge des Feldzugs gegen die Perser eine kleine, von ihren jüdischen Bewohnern verlassene Stadt namens „Birta“ aus Rache von den römischen Truppen niederbrennen liess.[21]

 

Trotz aller Bemühungen konnte ich letztlich weder Torta noch sein potenzielles alias Bithra lokalisieren, weshalb ich mich einige antike Landkarten später geschlagen geben musste. Dennoch konnte ich getrost optimistisch zum dritten meiner Hauptpunkte blicken, da Yochanans Name, so banal sein Ursprung nun auch wirken mochte, tatsächlich Hinweise auf eine wesentlich grössere Thematik gab, nämlich die Zusammenhänge zwischen dem vom Monotheismus verpönten Götzendienst und einem Hausrind.
 

Die rote Heifer

Als ich den Text „Die Kuh die den Shabbat einhielt“ zum ersten Mal las, dachte ich mir nicht viel dabei. Ich wusste zwar bereits, dass Kühe von Haus aus intelligente Tiere sein sollen, fand die Idee einer sturen Kuh, die ihre Ruhezeiten einforderte, in erster Linie aber einfach liebenswert. Erst als ich mich näher mit der Symbolik dieses Tieres und der versteckten Nachricht hinter der Geschichte auseinandersetzen musste, stellte ich fest, dass ich gerade einmal die Spitze eines Eisberges gestreift hatte. Ähnlich wie Alice im Wunderland musste ich erst „down the rabbit hole“ fallen, um die Ausmasse dieser Thematik erfassen zu können.

 

Zurück zum Anfang: Der Text „Die Kuh die den Shabbat einhielt“ befindet sich in Kapitel 14 der Pesiqta Rabbati, die bekannterweise eine Sammlung aus homiletischen Erzählungen darstellt, welche zu Festtagen und besonderen Schabbaten vorgelesen werden. Einer dieser besonderen Schabbate ist der sogenannte „Shabbat Parah“, was übersetzt so viel wie „Shabbat der Kuh“ bedeutet. Zu diesem Shabbat, welcher direkt auf das Fest Purim folgt, wird üblicherweise das Kapitel der „Parah Adumah“ bzw. „Roten Heifer“ verlesen. Als „Heifer“ wird ein Rind bezeichnet, welches bislang noch nicht gekalbt hat, wortwörtlich entspricht dies also eigentlich keiner Kuh, sondern einer Färse.


Die genannte Stelle der Torah findet sich unter Numeri 19:1-22 und beschreibt die Weisung HaSchems, eine besondere Kuh solle als Opfergabe den Prozess eines Reinigungsrituals einleiten. Dabei müsse die Kuh rot, makellos und noch nie unter ein Joch[22] gekommen sein. Dieses Tier solle man vor den Priester Eleasar bringen und es schlachten. Ihr Blut würde dann vom Priester mit dessen Finger sieben Mal gegen die Vorderseite des Stiftszeltes[23] gesprenkelt und die Kuh komplett mit Haut, Fleisch und Unrat verbrannt. Dem Feuer würden zusätzlich Zedernholz, Ysop und hochrote Wolle hinzugefügt. Der Priester solle indes dahingehen, sich und seine Kleider waschen, aber dennoch bis zum Abend als unrein gelten. Ebenso ein zuvor reiner Mann, welcher die Asche des verbrannten Tieres aufsammeln und ausserhalb des Lagers an einen reinen Ort bringen sollte, wo sie fortan als Besprengungswasser der Gemeinde in Verwahrung bleiben sollte. Der Absatz endet mit dem Verweis darauf, dass es sich hier um ein Entsündigungsopfer handle. Weiters wird der Umgang mit Toten und der rituellen Reinigung, sollte man als lebender Mensch mit einer Leiche in Berührung gekommen sein, beschrieben. Als vollständig rein galt erst, wer sich mit dem durch das Entsündigungsopfer hergestellten Wasser besprengen liess.

Das Ritual
Wie aus dem Abschnitt hervorgeht, setzt sich dieser also mit der rituellen Reinigung nach Kontakt mit etwas „Unreinem“ wie einem toten Körper auseinander und gibt eine Anleitung zur Herstellung des Instrumentes, das dafür benötigt wird. Das Rind dürfe weder zu jung, noch zu alt, noch nie für Kalbung oder Arbeit auf dem Feld benutzt worden sein und selbst mehr als zwei andersfarbige Haare würden sie bereits von einem makellosen Zustand disqualifizieren. Aufgrund dieser hohen Anforderungen dürfte sich das Finden eines passenden Tieres im Laufe der Zeit derartig schwierig gestaltet haben, dass es bis heute insgesamt nur neun Rinder gegeben haben soll[24], auf welche diese Beschreibung passte.

 

Die Zeder, besonders jene, die im Libanon wächst, hatte für die Völker des Altertums einen hohen Stellenwert. Sie wurde unter anderem für den Schiffsbau oder diverse Rituale verwendet. Auch in den Schriften des Tanach gibt es mehrere Verweise auf die Nutzung von Zedernholz. So sollen es die Könige Salomo[25] und David[26] jeweils für den Bau ihres Palastes verwendet haben. Auch die Dachkonstruktion des Tempels soll aus dem Holz der Zeder gefertigt worden sein[27]. Neben der Robustheit ihres Holzes wirkt das aromatische Öl der Zeder zusätzlich antibakteriell und aufgrund der vorhandenen Vitamine und Mineralstoffe auch immunisierend, weshalb es sich als ideale Zutat für Reinigungswasser anbieten würde – ebenso wie der Lippenblütler Ysop, dessen Name sich vom babylonisch-hebräischen Wort „ēzōb“ ableitet, was übersetzt „heiliges Kraut“ bedeutet. Auch dieses wurde aufgrund seiner entzündungshemmenden Wirkung in verschiedenen Formen nachweislich bereits in der Antike als Heilmittel eingesetzt. Ebenso wie der Zeder sagt man auch Ysop eine antibakterielle Wirkung nach.

 

Einzig die dritte Zutat des Reinigungswassers, der hochrote Stoff, hat eine säubernde Wirkung der anderen Art. Bereits in Jesaja 1,18 wird verdeutlicht, dass Rot die Farbe der Sünde ist. Ein weiteres Reinigungsritual mit den vormals genannten Zutaten Zeder und Ysop findet sich in Leviticus 14:49, wenngleich der „hochrote Stoff“ hier mit dem Wort „Karmesin“ benannt, und statt einer Kuh diesmal ein Vogel geopfert wird. Aber die wohl berühmteste Verwendung eines roten Stoffes findet sich in der Erzählung über das heute im allgemeinen als Sündenbock bekannte Opfertier.

 

Dieser soll gemeinsam mit einem zweiten Bock vom Hohepriester Aaron per Los auserwählt werden, um alle Sünden des Volkes Israel aufgeladen zu bekommen und schliesslich damit in die Wüste geschickt zu werden.[28]  Laut dem Mischnatraktat Joma 4,2 soll der Bock zuvor noch einen roten Faden um seinen Kopf gewickelt bekommen, welcher zusätzlich die Sünde symbolisch darstellen soll. Während der andere Bock als Opfergabe für G’tt dient, wird das mit Sünden beladene Tier Richtung „Azazel“ geschickt, um alle ihm aufgeladenen Sünden hinfort zu tragen.
Diese Erzählung wird üblicherweise am Morgen des Jom Kippur, des Versöhnungstags, verlesen.
Somit kann dem roten Stoff, wiewohl anders als Zeder und Ysop, dennoch eine heilende Wirkung zugestanden werden, selbst wenn er als personifiziertes Objekt der Sünde doch eher die Seele als den Körper reinigt.

 


Die rote Heifer soll ebenfalls als Entsündigungsopfer dienen, allerdings werden ihr, anders als ihrem bärtigen Kollegen, die Sünden nicht direkt auferlegt damit sie diese hinfort tragen kann. An diesem Punkt stellte sich für mich die Frage, wofür das Rind denn nun eigentlich geopfert wird. Hier stiess ich dann auf zwei mögliche Erklärungen: Erstens; nachdem das Prozedere des Reinigungsrituals jenem des Umgangs mit Toten vorangestellt ist, kann davon ausgegangen werden, dass das Berühren eines toten Körpers per definitionem ein sittliches Fehlverhalten darstellt, das einer Sünde gleichkommt. Um sich von dieser Sünde wortwörtlich reinzuwaschen, braucht es das Reinigungswasser und dieses Wasser eben die Heifer. Die zweite und für mich wesentlich plausiblere Erklärung fand ich in einem Raschi-Kommentar zu Numeri 19:22, in welchem er eine Midrasch des Rabbi Moshe ha-Darshan zitierte. Laut diesem wäre die Opferung der Kuh als Wiedergutmachung für das Goldene Kalb zu betrachten. 
 



Das Goldene Kalb

Die Geschichte des Goldenen Kalbes in Exodus 32 rückte die Opferung der Heifer tatsächlich in ein ganz anderes Licht. Nachdem Moses aufgrund seiner signifikanten Rolle als Sprachrohr G’ttes auf unbestimmte Zeit damit beschäftigt war, dessen neu auferlegtes Regelwerk entgegenzunehmen, wandte sich am Fusse des Sinai das jüdische Volk an dessen Bruder Aaron, der gleichzeitig Stellvertreter Moses’ und der erste Hohepriester war. Um ihrer Verzweiflung über einen fehlenden Anführer entgegenzusteuern wies er die Leute an, ihren Schmuck auszuhändigen, um daraus das Abbild eines Kalbes giessen zu können. Gleichzeitig wurde ein Altar für HaSchem errichtet und ihm ein Opfer dargebracht, was dieser in seiner Wolke allerdings fälschlicherweise als Opfergabe für die Statue des Kalbes interpretiert haben dürfte und sich daraufhin vornahm, das gesamte Volk auszurotten. Moses konnte ihn vorerst besänftigen, war aber nach dem Anblick tanzender Menschen um das Idol selbst dermassen erzürnt, dass er kurzerhand die ihm überreichten Gebotstafeln zertrümmerte. Das Idol warf er ins Feuer, zermalmte es zu Staub, streute dieses auf Wasser und liess die Kinder Israels davon trinken.[29]

Auch hier lässt sich eine Prozedur der Reinigung von Sünde erkennen, welche der Opferung durch Verbrennung sehr ähnlich ist. Mit dem Trinken des durch das verbrannte Kalb angereicherten Wassers sollte sich das Volk Israel von der Sünde des Götzendienstes reinigen. Weiters kommt mit der Heifer schliesslich das Muttertier für die Sünde des Nachwuchses auf, ein Umstand, der sich umgekehrt auch bei den genannten Hohepriestern wiederfindet. So wird beim Opferritus der roten Heifer der Priester Eleasar anstelle seines Vaters Aaron mit einbezogen, welcher zuvor für die Entstehung des Goldenen Kalbs verantwortlich war. Ein anderer Aspekt beleuchtet die Frage, warum das Idol ausgerechnet als Kalb dargestellt wurde. 

Hathor

Eine mögliche Erklärung findet sich in Ezekiel 20:7, wo beschrieben wird, dass sich die versklavten Israeliten durch die Idole Ägyptens entweiht hätten. Eine G’ttheit des ägyptischen Pantheons, die hierbei besonders hervorsticht, ist die als Kuh in Erscheinung tretende Mutterg’ttheit Hathor[30]. Aufgrund ihrer Schönheit soll sie unter anderem als „Heifer mit dem goldenen Nacken“ bekannt gewesen sein. Wäre nun Hathor mit dem Goldenen Kalb ident, dann würde eine Zerstörung deren Tötung gleich kommen, was schliesslich wiederum dazu führte, dass man eine rote Heifer bräuchte, um sich das rituelle Werkzeug für den adäquaten Umgang mit Toten anzueignen.
 

Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Tod beruht auf Avoda sara 22b. Laut dieser Stelle erhielten die Israeliten am Berg Sinai einen Status der Unsterblichkeit, welchen sie mit der Anbetung des Goldenen Kalbs wieder verloren. Um sich von dieser Sünde reinigen zu können, müssten sie daher das Goldene Kalb als Sinnbild für den Götzendienst ablehnen, was sich durch das Opfer der roten Heifer beweisen liesse. Bleibt man bei dem Gedankenexperiment, die G‘ttin Hathor wäre durch das Goldene Kalb dargestellt worden, so ist an dieser Stelle wohl wichtig zu erwähnen, dass diese in Ägypten unter anderem mit Leben und Wiedergeburt assoziiert wurde, was letztlich den Kreis schliesst. Auch der für das Feuerritual benötigte rote Faden kann mit der ägyptischen G‘ttin assoziiert werden, da diese ebenfalls mit einer magischen roten Schleife dargestellt wird, welche böse Geister fernhalten soll. Unter Rücksichtnahme auf all diese Interpretationen könnte man das Ritual der roten Heifer durchaus als endgültige Abrechnung mit den ägyptischen G‘ttern und ihrer Symbole erklären.[31]

Chok
Wie sich zur roten Heifer gezeigt hat, dürfte das Ritual vielen jüdischen Gelehrten Rätsel aufgegeben haben. Selbst König Salomon soll Schwierigkeiten dabei gehabt haben, die Umstände dieses Rituals zu verstehen.[32] Allem voran re das Paradoxon der verbrannten Asche zu nennen, welche dazu benutzt wird, die Menschen „rein“ zu machen, gleichzeitig aber den Priester und jeden, der die Asche von sich aus berührte, unrein werden liess. Diesen nicht erklärbaren Umstand nennt man in der jüdischen Tradition „Chok“ und beschreibt damit eine Regel, die sich rational nicht erklären lässt.

Vom Altorientalischen Stierkult bis JHWH
Zumindest seit dem Stichwort „Götzendienst“, aber spätestens, als die Theorie, das Goldene Kalb stelle potenziell eine ägyptische G‘ttin dar, in den Raum gestellt wurde, klingelte etwas bei mir, genau genommen in meinem Bücherregal. Dort befindet sich unter anderem ein Buch namens „G’tt, Eine Anatomie“ von Francesca Stavrakopoulou, ein faszinierendes Werk, in dem die Autorin die Veränderungen des g‘ttlichen Körpers im Laufe der Zeit dokumentiert. Ich hatte es ursprünglich zu Rate gezogen, da mich des Öfteren die Frage interessierte, wie wir denn, aus theologisch-historischer Sicht, hier gelandet sind. Auf diese komplexe Frage gibt es natürlich keine einfache Antwort. Dennoch möchte ich auf einen Aspekt eingehen, der mir zu wichtig erscheint, als ihn einfach auslassen zu können, nämlich den Zusammenhang zwischen G’tt und seiner persönlichen Wiedergeburt.

In den Hochkulturen des Orients waren Abbildungen von Stieren, die auf dazugehörige Kulte verweisen, recht verbreitet. Der Stier symbolisiert unter anderem Macht und Stärke[33], also Eigenschaften, die man einem mächtigen G’tt durchaus zugestehen kann. Doch wie der Polytheismus voraussetzt, gab es nicht einfach einen mächtigen G’tt, sondern viele, lokale Erscheinungsformen miteingeschlossen. Eine dieser vielen G’ttheiten, welche als archäologischer Fund das erste Mal in den 1400 v. Chr. entstandenen Keilschrifttexten von Ugarit belegt ist, ist ein kanaanitischer G’tt namens „El“. Dieser hatte die Stellung des obersten G’ttes[34] inne und unter seinen Beinamen unter anderem den Begriff „Stier“. Es ist also davon auszugehen, dass er aufgrund seiner Macht und Stärke, wie so viele oberste G‘tter ihres lokalen Pantheons, symbolisch als Stier dargestellt wurde.[35]

Laut ugaritischer Mythologie hatte El aber auch eine Familie, einerseits mit seiner ersten Frau, der G‘ttermutter Athirat, sowie mit seiner Zweitfrau Šapsu. Dieses Kollektiv von insgesamt siebzig G‘ttinnen und G‘ttern musste in regelmässigen Abständen auf einem Berg zusammentreten, um auf El’s Weisungen zu warten, da ohne dessen Erlaubnis keine Handlung gesetzt werden durfte. Auch in den Schriften des Pentateuch kam El’s Verbindung zu Bergen zum Vorschein, diesmal aber in Form der G’ttesbezeichnung „El Schaddai“, deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit veränderte[36]. Eine gängige Theorie beruft sich auf die mögliche Herkunft des Wortes „schaddaj“ (שדי), dessen Bedeutung bis heute nicht geklärt ist, aus dem Akkadischen. Das Wort „schadu“ lässt sich hierbei mit „Berg“ übersetzen[37]. In Verbindung mit „El“ würde sich „El Schaddai“ damit zu „G’tt der Höchste“ wandeln lassen, was in etwa der heute gängigen Bedeutung „G’tt der Allmächtige“ gleichkäme.[38]

Wenngleich El also oberster G’tt des kanaanäischen Pantheons war, so gab es dennoch, wie vormals erwähnt, lokale Unterschiede. So war die nationale G’ttheit der Königreiche Israel und Juda ein G’tt namens Yahweh, welcher El’s Pantheon angehörte.[39] Gleichzeitig führte er das G‘tterkollektiv der Israeliten gemeinsam mit seiner Partnerin Asherah an und zählte unter anderem den oftmals mit El gleichgesetzten Ba’al als G’tt niederen Ranges dazu.[40]

 

Die Verehrung Yahwehs kann in etwa bis ins 12. Jahrhundert v. Chr. rückdatiert werden. Die erste Erwähnung Israels, dessen Name auf den G’tt El zurückzuführen ist, kann mithilfe der Merenptah-Stele aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. belegt werden.[41] Erst etwa 400 Jahre später wurde mit der Mescha-Stele erstmals der Name „Yahweh“ in der Levante dokumentiert. Eine vom deutschen Orientalisten Julius Wellhausen aufgestellte Theorie vertritt die Ansicht, dass Midianiter und Keniter einen Bergg’tt namens JHWH kannten, dessen Kult sich einige Israelitenstämme bereits früh angeschlossen haben sollen. Dennoch ist es der Wissenschaft bis heute ein Rätsel, wann und wie der Kult um Yahweh sich manifestiert hat. Fest steht nur, dass El und Yahweh schliesslich miteinander ident wurden. Selbst in Exodus 3:15, spricht G’tt davon, bereits der G’tt der Vorväter Mose gewesen zu sein. Und auch in Genesis 33:20 spricht Jakob: „El, G’tt Israels“.
 

Der bisher älteste gefundene Platz israelitischer Anbetung stammt aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. Er wurde im Jahr 1977 eher zufällig entdeckt und befindet sich im einstigen Samaria, bzw. der heutigen West Bank. Dort wurde eine bronzene Statue eines Stieres gefunden, des sogenannten „El-Bull“, welche sich heute im Israel Museum befindet. Vermutet wird, dass diese entweder Yahweh oder Baal darstellen sollte.[42]
 

JHWHs Vorgeschichte im Hinterkopf, wage ich nun, die Geschichte des Goldenen Kalbs aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Hierbei wird verständlich, warum JHWH sich vom Berg Sinai aus zu erkennen gibt: immerhin befindet er sich als Bergg’tt damit nicht nur in seinem natürlichen Habitat, sondern auch an dem Ort, von welchem er bislang sein ihm unterstelltes Pantheon unterwiesen hat. Natürlich geht es Mose hierin nicht anders. Die Entstehung des Goldenen Kalbs lässt sich nun damit erklären, dass die Vorfahren des Volkes Israel durchaus noch mit Stierbildern und Kultgegenständen dieser Art vertraut waren und es daher üblich war, für den höchsten zu verehrenden G’tt ein solches Objekt herzustellen, um ihn anbeten zu können.

Jedoch hatte wohl niemand mit G’ttes Imagewechsel gerechnet, welcher nun weder Vokale in seinem Namen noch Bilder von sich tolerieren konnte. Aus diesem Kontext heraus ergibt sich das Bild eines G’ttes, welcher trotz seines nunmehr unnahbaren Charakters dennoch erst durch sein von ihm auserwähltes Volk feststellen musste, dass sein altes Ich erst sterben muss, um schliesslich wie Phoenix aus der Asche zu steigen und der grosse allmächtige G’tt zu werden, als den ihn sein Volk bis heute kennt. Diese spirituelle Wiedergeburt konnte ähnlich wie bei Yochanan Ben Torta nur mithilfe einer Heifer stattfinden.


Conclusio
„Die Kuh die den Shabbat einhielt“ ist eine nette Geschichte, weshalb sie heute vor allem Kindern erzählt wird. Doch die Wurzeln dieser Geschichte liegen derartig weit in der Vergangenheit, dass selbst G’tt daneben jung erscheint. Dessen Selbstbildnis hatte sich im Laufe der Zeit häufig verändert, die Heifer hingegen blieb ihrer Linie als Fruchtbarkeitssymbol stets treu. So kommt es, dass sie bis heute als Sinnbild der spirituellen Reinheit und Wiedergeburt den Menschen Hoffnung auf Veränderung gibt. Mit dem Shabbat Parah wird genau diese Zeit der Veränderung eingeleitet, da er unmittelbar vor dem Shabbat HaChodesh und damit direkt vor einer Zeit des Wandels stattfindet, zu dessen Höhepunkt Pessach gefeiert wird. Auch und gerade zu Pessach wird Reinigung jeder Art praktiziert, weshalb die Lehre der roten Heifer einen guten Startpunkt für diesen Prozess darstellt.

Doch nicht nur für Pessach gibt das rote Hausrind ein wichtiges Startsignal. Pläne, den Heiligen Tempel ein drittes Mal zu erbauen, setzen voraus, dass das richtige Tier in all seiner Makellosigkeit diesen Prozess einleitet. Nur die rote Heifer könne die Reinheit bringen, die für den Wiederaufbau nötig wäre. Das behauptet zumindest das Temple Institute, welches sich seit Jahren mit der Herstellung der für den Wiederaufbau benötigten Heiligtümer auseinandersetzt[43]. Die passenden Priester aus dem Stamme Levi bildet das Institut ebenfalls aus. Wie aus einem Artikel[44] von August 2023 hervorgeht, dürften vermeintlich passende Rinder aus Texas bereits in Israel angekommen sein. Ob darunter das von Maimonides angekündigte zehnte Rind ist, welches das messianische Zeitalter einläutet? Das wird sich zeigen. Ob und wann auch immer es soweit sein mag – bis dahin sollte man es der Shabbat-Kuh gleichtun und einfach ruhen, solange man kann.

 

Anmerkungen

 

[1] Pesiqta Rabbati 14:6  / Ulmer Rivka (Hg.), A bilingual edition of Pesiqta Rabbati, Berlin De Gruyter 2017

[2] Pesiqta Rabbati 14:7 / Ulmer Rivka (Hg.), A bilingual edition of Pesiqta Rabbati, Berlin De Gruyter 2017

[3] Stemberger Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, S. 288, C.H. Beck 1992

[4][4] Stemberger Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, S.293, C.H. Beck 1992 

[5]Quelle: jewishvirtuallibrary.org/pesikta-de-rav-kahana

[6] Stemberger Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, S.288, C.H.Beck 1992

[7] Stemberger Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, S.291, C.H.Beck 1992

[8] Ebenfalls wurde „Pesiqta gedola“ verwendet, unter anderem von Raschi zu Jesaja 51,12. Quelle: Stemberger Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, S.293, C.H.Beck 1992

[9] „(…) (In the Great Pesikta [Rabbathi] (7:7) I saw [the following statement]: Because Jacob rebuked [the progenitors of] these three tribes at the time of his death (Gen. 49:4-7), Scripture again traces their lineage here by themselves, to infer that [even though Jacob rebuked them] they are of high esteem.)“ Quelle: chabad.org

[10] Stemberger Günter, Einführung in Talmud und Midrasch, S.293, De Gruyter 1992

[11] MS Casanata, MS London, MS Parma

[12]Homilien-Midrasch zum gesamten Pentateuch. Entstanden in Palästina. Übliche Datierung ca. im 9. Jahrhundert.

[13] Stemberger Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, S.297, C.H. Beck 1992

[14] Stemberger Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, S.297, C.H.Beck 1992

[15] Stemberger Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, S.297, C.H. Beck 1992

[16] Tannaim = jüdische Gelehrte, die dritte Generation lebte und wirkte in etwa 120-140 v. Chr.

[17] Bacher Wilhelm, Bd.2 Von Akiba’s Tod bis zum Abschluss der Mischna, S.557 De Gruyter 1890

[18] Jerusalem Talmud Yoma 1:1 engl. Übersetzung von sefaria.org

[19] Peters F.E., Judaism, Christianity and Islam Vol.3, S.54, Princeton New Jersey, Princeton University Press 1990

[20] Neubauer Adolf, La géographie du Talmud, S. 362, Paris 1868

[21] Quelle: https://www.jewishencyclopedia.com/articles/2286-babylonia

[22] Joch = ein Geschirr, das auf Nutztiere gespannt wird, um das Feld pflügen zu können.

[23] „Zelt der Zusammenkunft“, Heiligtum in dessen Mitte HaSchem wohnt, Ex. 25,8

[24] Mishnah Parah 3:5

[25] 1.Könige 7,1-12

[26] 2.Samuel 5,11

[27] 1.Könige 6,9

[28] Leviticus 16,8-21

[29] Exodus 32:1-20

[30] Bonnet Hans, Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, S. 277, Hamburg 2000

[31]Newman Stephen, Understanding the Mystery of the Red Heifer Ritual, Quelle: https://jbqnew.jewishbible.org/assets/Uploads/432/jbq_432_newmanredheifer.pdf

[32] Kohelet Rabbah 8:5

[33] Koenen, Klaus, Art. Stierbilder, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2009

[34] Matthews, Victor, Judges and Ruth, S. 79, Cambridge University Press 2004

[35] Brunner-Traut, Emma (Hg.), Die grossen Religionen des Alten Orients und der Antike, S.75, W.Kohlhammer Verlag 1992

[36] Genesis 17,1 , Exodus 6,3

[37] Weitere Übersetzungen: „schaddad“ (hebr. „gewalttätig sein) = „Gewaltiger“ / „schad“ (hebr. „Brust“)

[38] Aubrey, Roger, Discovering God, S.39, Maitland, USA, Xulon Press 2008

[39] Miller, James M., Hayes, John H., A History of Ancient Israel and Judah, S.110, Westminster John Knox Press, 1986

[40] Smith, Mark S., The Early History of God: Yahweh and the Other Deities in Ancient Israel, S.7, Michigan USA, Eerdmans, 2002

[41] Wagner, Thomas, Art. Israel (AT), in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2012

[42] Smith, Mark S., The Early History of God: Yahweh and the Other Deities in Ancient Israel, S.83-84, Michigan USA, Eerdmans, 2002

[43] Quelle: https://templeinstitute.org/