Ausgabe

Tagebücher aus dem Exil

Michael Bittner

Inhalt

Eva Geber (Hg.): Madame d’Ora. Tagebücher aus dem Exil.

Wien – Berlin: Mandelbaum Verlag 2022.

Gebunden, 254 Seiten, Euro 25,00.-

ISBN 978-3-85476-983-5

 

Madame d’Ora, die grosse Fotografin mit den zwei Gesichtern – den gelackten Porträts von Prominenten aller Qualitätsstufen und den schockierenden Dokumenten aus den „Abbatoires“. Als ich das Buch geschenkt bekam, war die Freude gross, und meine Begierde, mehr über die Kunst der Lichtbildnerin, die von 1881 bis 1963 lebte, ihre Zeit, ihre Intentionen und Gefühle zu erfahren.

 

Im Schlaraffenland muss man sich durch eine Mauer aus Griessbrei essen, bis man zu den guten Sachen kommt. Bei solchen Editionen ist es der einführende Text, dieser ist so ausserordentlich zäh und lückenhaft, dass ich stattdessen die Lektüre von Wikipedia empfehlen möchte.[1]

 

Am Cover prangt das berühmte Selbstbildnis mit Hund (der Hund wurde abgeschnitten) von ca. 1927 (Abbildung 1)[2], ansonsten sind nur wenige, unscharfe Fotografien abgedruckt – seltsam bei einem Buch über eine Fotografin; vielleicht gab es Schwierigkeiten mit den Bildrechten.

 

Die wirkliche Enttäuschung ist dann das Tagebuch samt den versprengten Notizen der Künstlerin, die uns hier präsentiert werden. Es gibt Aufzeichnungen von Künstlern, die einem den Menschen so nahebringen, dass man seine Kunst mit anderen Augen sieht, ihn bewundert und versteht, welche grosse ideelle Leistung er damit vollbracht hat. Ein solcher Künstler war Anselm Feuerbach, Schöpfer von Bildern, die den Heutigen gar nicht gefallen. Aber beginnt man seine Autobiografie zu lesen, muss man ihn einfach gernhaben.[3]

 

Bei Madame d’Ora, recte Dora Kallmus, ist es genau umgekehrt. Es gibt absolut kein Wort über Kunst, über Fotografie, über Motive, über die Schlachthöfe, über die Prominenten von Kaiser Karl bis zu Pablo Picasso, die in ihre Kamera blickten. Nichts, ausser belanglosem Zeug, zum Beispiel, dass sie in Südfrankreich darüber sinniert, dass der Schneefall zwar unangenehm sei, dass es aber besser sei, Schneeflocken auf den Kopf zu bekommen als Bomben, was damals den Parisern passierte. No na!

 

Ganz selten gibt es Hinweise auf ihre fotografische Tätigkeit, sie schreibt etwa, dass sie für ihren jungen Mitarbeiter Agfa-Filme brauche (Seite 221), Banalität par excellence.

Je mehr man liest, desto weniger mag man die Verfasserin, die stänkert und nörgelt, die Einheimischen als „Bagage“ und „Proletenpack“ tituliert und welche die Langeweile des Exils in einen unglaublich schwachen Text giesst. Sie schimpft über „ungarisch-jüdisches Kleinbürgertum … die sicher weit mehr auf ein gutes fettes Essen gehalten haben als auf fliessendes Wasser“ (Seite 96). Und absolut gar nichts über Kunst, nichts über Fotografie, nur ein paar Hinweise in den Briefen, aber insgesamt nichts, was über den Rand der Kaffeetasse hinausblickt, eine Schande!

 

In Hinkunft, wenn ich Fotografien von Madame d’Ora sehe, werden sie mir nicht mehr gefallen, weil ich an diese unglaubliche innere Leere denken muss. Dafür werde ich die Schinken des Herrn Feuerbach mit Wohlgefallen betrachten. – Also, wenn Sie Doras Bilder mögen, kaufen sie das Buch, aber lesen Sie es nicht!

 

abbildung-1-madame-dora-selbstbildnis-um-1927.jpg


Abbildung 1: https://hundredheroines.org/historical-heroines/madame-dora/

abbildung-2-tagebucher-aus-dem-exil.jpg

Abbildung 2: https://www.mandelbaum.at/buecher/madame-dora/tagebuecher-aus-dem-exil/
 

Anmerkungen