Das in Basel beheimatete israelische Kammermusik-Festival Mizmorim konnte seine Jubiläums-Ausgabe feiern – es fand zum zehnten Mal statt. Die Jubiläumsausgabe verzeichnete auch einen Besucherrekord.
Das Stadt-Casino in Basel hat seinen festen Platz in der jüdisch-israelischen Geschichte: Hier hatte 1897 der erste Zionistische Kongress unter der Ägide von Theodor Herzl stattgefunden, an dem die Gründung einer jüdischen Heimstätte beschlossen wurde. Den Grossen Saal, in dem seinerzeit die Delegierten Weltgeschichte schrieben, wählte die Mizmorim-Gründerin und -Leiterin Michal Lewkowicz deshalb ganz bewusst für das Eröffnungskonzert, mehr Symbolismus ist kaum denkbar.
Bereits die neunte Ausgabe des renommierten Festivals hatte unter dem Titel Projekt Blau-Weiss aus musikalischer Sicht einen Blick auf die Geschichte des Jüdischen Nationalstaates geworfen – dies aus Anlass der Jubiläumsfeiern zum 125. Jahrestages jenes legendären Ersten Basler Kongresses. Die Feierlichkeiten hatten unter anderem auch den israelischen Staatspräsidenten Jitzchak Herzog als Hauptgast nach Basel in den Casino-Saal gebracht.
Konzert On the Rivers of Babylon in der Grossen Synagoge von Basel.
Und zum ersten Mal bei Mizmorim erklang am Anfang die Hatikwa, wenn auch nur konzertant vorgetragen und nicht gesungen. Dafür sorgte das Luzern Festival Contemporary Orchestra zusammen mit dem Violinisten Ilya Gringolts. Dieser eher ungewöhnliche Auftakt war selbstverständlich der speziellen Situation nach dem 7. Oktober geschuldet, in der sich selbst die Veranstalter eines klassischen israelischen Musikfestivals in der Schweiz mit politischen, aber auch mit beklemmenden (Sicherheits-)Fragen auseinanderzusetzen hatten: So wurde im Vorfeld des Festivals unter anderem das Basler Mizmorim-Büro mit der Parole „Free Palestine” besprüht.
Dabei hatten Michal Lewkowicz – die von Haus aus Klarinettistin ist, sich aber längst beruflich weitgehend dem Basler Festival verschrieben hat – und ihr Team für die Jubiläumsausgabe ein religiöses und kein politisches Thema gewählt: Es waren dies die Tehillim (Lobgesänge), also die insgesamt 150 Psalmen der jüdischen Liturgie, die zu verschiedenen Gelegenheiten in der Synagoge sowie im individuellen Gebet rezitiert werden und einen eigentlichen Schwerpunkt des Gebets darstellen.
Der Name des Festivals, Mizmorim (hebräisch für „Gesänge”) sei eigentlich schon vom Namen her mit den Tehillim verbunden, schreiben die Veranstalter dazu im Programmheft. Und Michal Lewkowicz meinte in einem Interview, die Themen, welche die Tehillim behandeln würden, seien „aktuell, es geht um Natur, um Emotionen, Liebe, Freundschaft, Wut und natürlich um G’tt.” Die Jubiläumsausgabe wurde gleichzeitig praktisch zu einem „Who ‘s Who” jüdischer wie nichtjüdischer Komponisten und Komponistinnen.
Konzert Pro Pacem unter der Leitung von Jordi Saval.
Bereits das Eröffnungskonzert präsentierte einen ersten Höhepunkt: Neben Stücken von Leonard Bernstein und dem heute 87-jährigen amerikanisch-jüdischen Protagonisten Steve Reich erklang im vollbesetzen Saal nämlich als Uraufführung (und Auftragswerk gemeinsam mit dem renommierten Luzern Festival) das Stück Mima amakim (Aus der Tiefe) der in
der Schweiz lebenden spanisch-baskischen Komponistin Helga Arias, die zu den jüngeren Musikautorinnen gehört. Helga Arias sagt zu ihrer (umjubelten) Komposition, die von ihr vertonten Psalmen seien „ein Schrei, ein Hilferuf, um von G’tt erhört zu werden.”
Ein weiterer absoluter Schwerpunkt dieser Ausgabe war dann das Konzert Rivers of Babylon. Dies schon allein aufgrund des Ortes, an dem es stattfand: Für einmal öffnete sich nämlich an einem der Festivalabende auch die Grosse Synagoge der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB), die sonst für musikalische Darbietungen weltlicher Art nicht zur Verfügung steht, dem Festival.
Das Leipziger Vokalensemble Amarcord, das 2022 bereits sein 30-jähriges Bestehen feiern durfte, bestritt den musikalischen Teil des Abends und begeisterte das zahlreiche Publikum mit seinen Interpretationen, unter anderem der Kompositionen von Salomone Rossi, dem bekannten italienischen Musiker, dessen vertonter Psalm 137, Al Naharot bavel (Am Fluss Babylons), dem Abend eigentlich seine Überschrift gab.
Eröffnungskonzert im Saal des Stadt-Casinos Basel.
In der 1868 eingeweihten und später erweiterten Synagoge erklangen aber auch Werke weiterer bekannter Musikschreiber, wie der Psaume 121 des Franzosen Darius Milhaud (1892–1974) oder das Stück Help Us, O Lord des amerikanischen Komponisten Aaron Copland (1900–1990). Und sogar Franz Schubert schaffte es, an jenem denkwürdigen Abend zur Aufführung gebracht zu werden: Vermutlich in seinem Todesjahr 1828 hatte er nämlich gleichzeitig zu seiner grossen Messe in Es-Dur für den aus Hohenems stammenden Kantor des Wiener Stadttempels, Salomon Sulzer, eine Vertonung des 92. Psalms, Lied für den Schabbat, geschrieben. Auch diese Komposition wurde in der Umsetzung der fünf Leipziger zu einem einmaligen Erlebnis, was sich auch an der Publikumsreaktion ablesen liess, die überwältigend ausfiel. Nicht wenige nichtjüdische Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt dürften so zum ersten Mal zu einem Synagogen-Besuch gekommen sein.
Das Festival konnte insgesamt mit einem neuen Besucherrekord aufwarten (es dauerte allerdings auch einige Tage länger als üblich): Mehr als 3.200 Gäste verfolgen die insgesamt zehn Konzerte, deren Abschluss dann in einer Kirche stattfand. Pro Pacem – Psalmen über inneren und äusseren Frieden von König David bis in unsere Zeit stand unter der Leitung des bekannten spanischen Musikpädagogen und Dirigenten Jordi Savall, der Mizmorim bereits 2022 seine Aufwartung gemacht hatte. Das Konzert schlug einen Bogen von talmudischen Zeiten bis hin ins Jahr 2024, in dem die Kunst ihre Aufmerksamkeit leider mit Kriegslärm und Propaganda teilen muss. Auch dank des Basler Musik-Festivals ist dieser Lärm vielleicht für einige Tage etwas weniger gut hörbar gewesen.
Alle Fotos: Zlatko Mićić, mit freundlicher Genehmigung von Mizmorim.