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Evelyn Adunka
Raimund Fastenbauer: Ein Neuanfang. Geschichte der Israelitischen Kultusgemeinde Wien von 1945 bis 2012. Bd. 1 und 2.
Wien: V&R Unipress 2024.
Hardcover, zahlreiche Abb., 1.007 Seiten, Euro 150,00.-
ISBN 978-3-8471-1715-5
https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/detail/index/sArticle/59016
Nach den ersten beiden Bänden im Auftrag der von Ariel Muzicant gegründeten Judaica Forschungsgem. GmbH (vergleiche die Rezensionen in der DAVID Online-Ausgabe, Heft 141, Sommer 2024) über das Bildungs- und Sozialwesen erschien nun die allgemeine Gemeindegeschichte. In seinem Vorwort widmete Ariel Muzicant das Werk dem Psychiater und Mitbegründer von Esra Alexander Friedmann, von dem er viel gelernt hatte.
Der Autor Raimund Fastenbauer war nach seinem Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität in Wien für die Bank Winter tätig. Er war auch Kultusvorsteher, einer der Gründer der Zwi Perez Chajes Schule und von 2006 bis 2019 Generalsekretär für jüdische Angelegenheiten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG). Während dieser Zeit studierte er auch Judaistik und Politikwissenschaften an der Universität Wien. Seine von Klaus Davidowicz und Ednan Aslan betreute Dissertation Jud, Jahudi oder Zionist – Der ausgegrenzte Feind, antisemitische Motive und moderner Antizionismus in Europa und der islamischen Welt erschien 2020 bei Brill/Ferdinand Schöningh. Im Vorwort von Ein Neuanfang schreibt er: „Ich habe mich bemüht, auch meine eigenen Erfahrungen als Mandatar im Kultusrat und später als langjähriger Generalsekretär für jüdische Angelegenheiten einzubringen, womit ich durchaus selbst als Zeitzeuge dienen kann. Für etwaige subjektive Einschätzungen ersuche ich um Verständnis.“
Fastenbauer hat viele Interviews geführt, er zitiert aus den Protokollen des Kultusvorstands, aus dem Kreisky Archiv und dem Nachlass des SPÖ-Politikers Otto Probst. Das Werk enthält zahlreiche Fotos und besonders viele nicht immer leicht lesbare Dokumente. Die Konsolidierung der IKG unter den Präsidenten Paul Grosz und Ariel Muzicant und der Aufbau der heute so eindrucksvollen jüdischen Infrastruktur der jüdischen Gemeinde werden in dem Werk detail- und kenntnisreich beschrieben. Ein besonderes Verdienst des Buches ist das Kapitel über die Orthodoxie, die Beschreibung ihrer für Aussenstehende nur schwer nachvollziehbaren Spaltungen und Konflikte und die schwierige Position der IKG gerade in diesem Bereich. Am Beginn dieses Abschnitts schreibt der Autor: „Die ‚Agudat Israel’ wurde 1912 in Katowice (Kaschau) im damaligen Deutschen Reich gegründet.“ Der deutsche Name von Katowice in Schlesien ist Kattowitz. Kaschau ist Košice, die zweitgrösste Stadt der Slowakei. Unter den prägenden Persönlichkeiten der Schiffschul vor 1938 nennt Fastenbauer Wolf Pappenheim und Siegfried Bondy. Gemeint ist Siegmund Bondi, der aus einer traditionsreichen Familie aus Mainz stammte.
Der Präsident der Agudat, Benjamin Schreiber, war eine umstrittene Persönlichkeit, da er der ÖVP nahestand. Nach seinem Eintreten für den VdU- und FPÖ-Abgeordneten Helfried Pfeifer kam es zum Bruch zwischen Schreiber und Rabbiner Chaim Grünfeld. Schreiber erwirkte 1982 auch eine Änderung des Israelitengesetzes, das Projekt einer eigenen orthodoxen Kultusgemeinde wurde nach seinem Tod aber nicht mehr verfolgt. In den Siebzigerjahren scheiterte der Plan des Wiederaufbaus der Schiffschul; zehn Jahre lang stand der Kran in der Grossen Schiffgasse. Die Konflikte und die Verdoppelung der Institutionen gehören heute der Vergangenheit an.
Getrübt wird die Lektüre durch zahlreiche Ungenauigkeiten und Druckfehler, von denen nur einige in der Folge erwähnt werden sollen. Mit dem auf der Seite 43 genannten Vizepräsidenten (und kurzzeitigen Präsidenten) der IKG „Dr. Arthur Hertzberg“ von 1952 ist der Wiener Rechtsanwalt Wolf Herzberg (1885–1964) gemeint. Er wird einige Seiten später noch einmal erwähnt. Arthur Hertzberg (1921–2006) war ein konservativer amerikanischer Rabbiner und Vizepräsident des World Jewish Congress. 1984 nahm er am offiziellen Festakt zur Eröffnung der Zwi Perez Chajes Schule in der Castellezgasse teil, wie in Schulamit Meixners Band über das Bildungswesen in der rezensierten Buchreihe zu lesen ist.
Die Wahlgemeinschaft Jüdische Föderation, von der auch ein Flugblatt abgebildet wird, wird als jüdische Konföderation bezeichnet.
Im Kapitel über die Ära Grosz würdigt Fastenbauer den Judaisten Jacob Allerhand und erwähnt die Herzl-Symposien, die dieser ab 1996 mit Peter Weiser im Wiener Rathaus organisierte. Allerdings erfahren die Leser nicht, dass die fünf Symposien in Protokollbänden dokumentiert wurden, die eine viel zu wenig beachtete, faszinierende Quelle für die Mentalitätsgeschichte des Zionismus sind.
Der Autor zitiert ausführlich Franz Vranitzkys berühmte Rede 1993 im Amphitheater der Hebräischen Universität und kommentiert: „Bei der Verfassung dieser Rede war der Bundeskanzler von Hugo Portisch, Friedrich Heer, Paul Grosz und Rudolf Gelbard u.a. beraten worden.“ Allerdings übersah er, dass Friedrich Heer bereits 1983 verstorben ist.
Im Kapitel über das Wiener Jüdische Museum fehlen mit Wilhelm Stiassny und Adam Politzer zwei wichtige Namen unter den Gründern von 1895.
Im Exkurs über das Jüdische Museum Hohenems fehlen die Namen der beiden ersten Museumsleiterinnen, Eva Grabherr und Esther Graf, die Tochter des kaufmännischen Direktors des Jüdischen Museums Wien Georg Haber. Auch dass der Veranstaltungssaal in der ehemaligen Synagoge nach dem aus Hohenems stammenden Kantor des Stadttempels Salomon Sulzer benannt wurde, wäre eine Erwähnung wert gewesen.
Im Exkurs über das Österreichische Jüdische Museum in Eisenstadt fehlen die Namen des ersten Museumsleiters Nikolaus Vielmetti und der Name der seit Dezember 2023 amtierenden Direktorin Esther Heiss. Auch dass 2016 das burgenländische Landesrabbinat wiederbegründet wurde und seither vom Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister ausgeübt wird, wird nicht erwähnt.
Viele Informationen über die drei jüdischen Museen in Österreich hätte der Autor in dem Aufsatz Die österreichischen jüdischen Museen im zeitgeschichtlichen Kontext von Gerald Lamprecht, erschienen im Sammelband Zeitgeschichte ausstellen in Österreich, herausgegeben von Dirk Rupnow und Heidemarie Uhl 2011 im Böhlau Verlag, finden können.
Im Kapitel über die jüdischen Gemeinden in den österreichischen Bundesländern fehlen bei Linz und Graz Verweise auf die grundlegenden Gemeindegeschichten von Verena Wagner und Gerald Lamprecht. Im Kapitel Salzburg fehlt ein Verweis auf die 1968 publizierte Festschrift Salzburgs wiederaufgebaute Synagoge. Der Kurator der Gemeinde „Dr. Gelber“ erhält keinen Vornamen; es war der Rechtsanwalt Valentin Gelber.
In diesem Abschnitt finden sich auch der folgende peinliche Satz über das Zentrum für jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg: „Erster Leiter wurde der Judaist und Theologe Gerhard Bodendorfer, sein Nachfolger Univ.Prof. Gerhard Langer.“ (Es handelt sich hier um die ein und dieselbe Person).
Kurze Kapitel sind auch der jüdischen Presse gewidmet. Im Kapitel über Die Gemeinde erwähnt Fastenbauer als einen der Autoren Georg Markus, der jedoch damals unter dem Namen Georg Martus publizierte. Beim Jüdischen Echo wird Erhard Stackls Nachfolger ab 2023, Christian Schüller, nicht erwähnt.
Im Kapitel über die B’nai B’rith findet die von Desider Stern ab 1967 in Wien und anderen Städten organisierte Ausstellung „Bücher von Autoren jüdischer Herkunft in deutscher Sprache“ mit ihren wichtigen Katalogen keine Erwähnung.
In dem kurzen Kapitel über den Keren Kayemeth Le Israel schreibt Fastenbauer, dass die Idee des Fonds auf den in Wien lebenden Zionisten „Theodor Kremenezky (Leibensohn)“ zurückgehe. Gemeint ist Johann Kremenezky, Theodor war sein Sohn.
Im kurzen Kapitel über Or Chadasch (geschrieben: Or Chadash) werden weder die Rabbiner der Gemeinde noch die Adresse der Synagoge erwähnt.
Bedauerlich sind in dem Werk die vielen falsch geschriebenen Eigennamen, des Öfteren sogar auf derselben Seite:
Phillip Mettauer (korrekt: Philip Mettauer)
David Shapira (korrekt David Schapira)
Beno Kern (korrekt: Benno Kern)
Victor Matejka (korrekt: Viktor Matejka)
Friedrich Finder (korrekt: Friedrich Funder)
Helmuth Zilk (korrekt: Helmut Zilk)
Dr. Michael Friedman (korrekt: Dr. Michel Friedman)
Moishe Arie Friedman (korrekt: Moishe Arye Friedman)
Dr. Felicitas Haimann-Jelinek (korrekt: Dr. Felicitas
Heimann-Jelinek)
Sophie Lilly (korrekt: Sophie Lillie)
Siegfried Lazar (korrekt: Siegfried Lasar)
David Lazar (korrekt: David Lasar)
Benzion Lasar (korrekt: Benzion Lazar)
Helmut Andics (korrekt: Hellmut Andics)
Martha Halpert (korrekt: Marta Halpert)
Julius Schöps (korrekt: Julius Schoeps)
Hanno Löwy (korrekt: Hanno Loewy)
Erich Frey (korrekt: Eric Frey)
Dawid Herzog (korrekt: David Herzog)
Die Buchreihe verzichtet generell auf einen Personenindex, eine Entscheidung, die ich nachvollziehen kann. Wäre nämlich ein Index erstellt worden, wären diese Fehler vielleicht aufgefallen und korrigiert worden.
Zugunsten des rezensierten Werkes möchte ich feststellen: Als Autorin von zahlreichen wissenschaftlichen Büchern und Aufsätzen weiss ich aus leidvoller eigener Erfahrung, wie leicht sich Fehler trotz aller Bemühungen in Texte einschleichen und vor der Drucklegung unbemerkt bleiben. Aber es gab hier ein namentlich ausgewiesenes Lektorat, und es ist eine Buchreihe, die peer reviewed ist.
Das Fazit, das Fastenbauer über die Gegenwart und Zukunft der IKG Wien formuliert, ist ambivalent: „Eine Frage bleibt offen: Die Zukunft wird erst zeigen, ob es gelingen wird durch die Sicherung einer jüdischen Zuwanderung zu verhindern, dass die Anzahl der Gemeindemitglieder unter die ‚kritische Menge’ an Mitgliedern sinkt, die zum längerfristigen Bestehen der jüdischen Gemeinde in Wien notwendig ist. Die stabile bis leicht steigende Mitgliederzahl der IKG kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Neueintritte meist aus dem Reservoir von bisher nicht registrierten Juden und Jüdinnen resultierten.“
*Die Rezensentin ist Autorin des Buches Die vierte Gemeinde. Die Wiener Juden in der Zeit von 1945 bis heute (2000), aus dem Fastenbauer immer wieder zitiert.