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Endstation Mauritius Die tragische Irrfahrt des Arthur Baron

Ursula Prokop

Zumeist verbindet man den Begriff Mauritius mit der berühmten Briefmarke oder einer exotischen Urlaubs-Destination. Den Wenigsten ist ­bekannt, dass die Insel im ­indischen Ozean im Rahmen der ­Shoah für einige Juden die tragische Endstation einer langen Irrfahrt war. 

Inhalt

Dies zu veranschaulichen, soll das Schicksal von Arthur Baron dienen, der zu seiner Zeit ein äusserst renommierter Architekt in Wien war. Arthur Baron (1874-1944) dessen Familie aus Mähren stammte, wurde bereits in Wien geboren. Er studierte an der Technischen Hochschule Architektur bei Karl König, damals einer der ganz wenigen Professoren jüdischer Herkunft in Wien. Als äusserst talentierter Student schloss Baron sein Studium 1899 ab und erhielt als Jahrgangsbester das prestigeträchtige Ghega-Stipendium verliehen, das ihm einen längeren Studienaufenthalt im Ausland ermöglichte. Nach Wien zurückgekehrt machte sich Arthur Baron um 1900 selbständig. Schon bald war sein Büro sehr gut ausgelastet. Er realisierte zahlreiche Villen, Wohn- Geschäftshäuser und einige bemerkenswerte Druckereigebäude. Seine profunde Ausbildung an der Technischen Hochschule befähigte ihn zum Einsatz neuester Bautechnologien, insbesondere der Eisenbetonkonstruktion, die grosse Spannweiten und daher optimale Raumeinteilungen ermöglichte. Aber auch in formaler Hinsicht waren seine Gebäude auf der Höhe der Zeit, indem sie der Wiener Moderne verpflichtet waren, deren Ästhetik von Otto Wagner und der Wiener Werkstätte geprägt wurde. Aufgrund der hohen Qualität seiner Bauten könnte man Arthur Baron durchaus in eine Reihe mit seinen berühmten Zeitgenossen wie Otto Wagner oder Adolf Loos stellen. 

 

Sein erstes grösseres Projekt war der Stadtparkhof, der 1908 im Rahmen der Erneuerung des Bereichs um den Wien-
Fluss im 3. Bezirk errichtet wurde. Es war ein elegantes
Miethaus mit einer äusserst noblen Ausgestaltung des Stiegenhauses und des Vestibüls, die in Zusammenarbeit mit der Firma Viktor Schwadron entstand.1 Baron, der auch der Bauherr dieser Anlage war, wohnte selbst hier für einige Jahre. Nur kurze Zeit später 1910 sollte er eines der wegweisenden Wohn-Geschäfts-Häuser – den sogenannten Residenzpalast – Ecke Fleischmarkt/Rotenturmstrasse errichten. Das mächtige Eckgebäude ist bis heute ein markanter Blickpunkt in der Wiener Innenstadt. Der Bau zeichnete sich durch den Einsatz modernster Technologien und höchste Multifunktionalität aus. Neben zahlreichen Geschäften und Büros, waren hier auch ein Restaurant, ein Theater und ein Kino untergebracht, mehrere Lifte verbanden die sechs Stockwerke. Nicht nur dass das Projekt ein wesentlicher Beitrag in der Gestaltung Wiens zu einer modernen Metropole war2, sollte es auch zu einem Brennpunkt jüdischen Kulturlebens werden. Neben Arthur Baron war wiederum die Firma Viktor Schwadron beteiligt, die die Fliesen der schönen farbigen Fassade anfertigte und im Dachgeschoss wurde eine „Schwedische Turnschule“ vom jungen Josef Frank – er sollte einer der bedeutendsten Architekten der Zwischenkriegszeit werden – in einem folkloristischen Design ausgestaltet.3 Die im Souterrain untergebrachten Vergnügungsstätten wie das Rotenturmkino und das Residenztheater machten den Ort zu einem Hot­spot der damaligen Unterhaltungsindustrie. Der junge Billy Wilder hatte in diesem Kino seine ersten Filmerlebnisse, die er später in Hollywood umsetzen sollte.4 Das Residenztheater wurde von Max Schweinburg geleitet, der in der Wiener Theaterszene eine wichtige Rolle spielte. Später in Kammerspiele umbenannt führten hier Karl Farkas und Fritz Grünbaum ihre ersten „Revuen“ auf. Sie alle wurden später als Juden vertrieben und mussten Wien verlassen. 

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Residenzpalast.

 

Beruflich dermassen erfolgreich, errichtete Baron 1913 ein Miethaus im 4. Bezirk auf der Wiedner Hauptstrasse 64, dessen Eigentümer er war und in dem er auch mit seiner Frau, der Malerin Kitty Kassowitz, wohnte5, während im Dachgeschoss der mit ihm befreundete Josef Frank eine Wohnung und ein Atelier hatte.6 Im Souterrain des Gebäudes war das Schönburg-Kino situiert, das ebenfalls Baron gehörte. Generell erlebte die neue Technologie des Films damals einen grossen Boom und in nahezu jedem Neubau wurde ein Kino errichtet. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte jede Bautätigkeit zum Erliegen und auch nach Kriegsende war die wirtschaftliche Situation der neuen Republik dermassen schlecht, dass es für Architekten kaum Aufträge gab. Baron musste sich mit kleineren Umbauarbeiten begnügen und lebte weitgehend von den Einkünften des Schönburg-Kinos. Der Erlös aus seinen Miethäusern war dahingegen aufgrund der Friedenszins-Regelung nahezu bedeutungslos geworden. Das Ehepaar, das kinderlos geblieben ist, wohnte hier bis zum Anschluss Österreichs an Nazideutschland im März 1938. Als Jude wurde Arthur Baron im Zuge der Arisierung seines ganzen Besitzes beraubt und dann gezwungen, in eine sogenannte Sammelwohnung zu ziehen.7

 

Baron, der einen Bruder in den U.S.A. hatte, versuchte gleichfalls dorthin zu flüchten. Im September 1940 meldete er sich mit seiner Frau ab und gab als neuen Aufenthaltsort lakonisch „Amerika“ an.8 Dieses Vorhaben sollte jedoch scheitern, die Gründe sind nicht bekannt. Seine Reise ging keineswegs in die U.S.A., sondern mit einer Gruppe von jüdischen Flüchtlingen fuhren die Barons mit einem Schiff in das nahe gelegene Bratislava, wo man sich mit anderen Gruppen aus Mittel- und Osteuropa traf, um weiter donauabwärts in die rumänische Hafenstadt Tulcea zu gelangen, von wo man nach Palästina weiter reisen wollte. Diese von Zionisten organisierten illegalen Transporte fanden mit heimlicher Duldung der Nazis statt, die durch die Zuwanderung der Juden nach Palästina die Situation der Briten destabilisieren wollten. Da die Donau als internationales Gewässer galt, waren auch für die angrenzenden Länder keine Visa notwendig.9 Die Überfahrt nach Palästina umfasste dann rund 1.500 Personen – darunter das Ehepaar Baron –, die in drei kaum hochseetauglichen Schiffen untergebracht waren. Die Reise gestaltete sich daher äusserst schwierig, eines der Schiffe erlitt sogar Schiffbruch.10 Über das Schwarze Meer gelangten sie zum Bosporus, wo die Türken, die während des Krieges auf Seiten der Briten standen, eine Menge Schwierigkeiten machten. Die Schiffe durften nicht anlegen und auch die notwendige Versorgung mit Lebensmitteln wurde untersagt. In der Folge verstarben einige Personen noch während der Reise. 

 

Als sie nach dieser langen, strapaziösen Reise endlich am 3. November im damals britischen Mandatsgebiet Palästina ankamen, mussten die Flüchtlinge zu ihrer grossen Enttäuschung feststellen, dass sie keineswegs willkommen waren. Die Zahl der Flüchtlinge überschritt die erlaubte Einwanderungsquote bei Weitem und die Briten, die in jenen Tagen eine Invasion Deutschlands fürchteten, hatten Angst, mögliche Spione könnten unter den Emigranten sein. Die Schiffe durften tagelang nicht anlegen, bis schliesslich die Untergrundkämpfer der Haganah eines der Schiffe zur Explosion brachten. Obwohl die Passagiere vorher gewarnt worden waren, vom Schiff zu springen, gab es rund 260 Tote. Dieses Ereignis veranlasste die Briten endlich, die Überlebenden an Land zu lassen, um sie in das Internierungslager Athlit nahe Haifa zu bringen. Auf Weisung des britischen Kolonialministers George Lloyd wurden sie jedoch bereits einige Tage später – am 5. Dezember – auf zwei Schiffe verbracht, die sie nach Mauritius bringen sollten. Die Verschiffung verlief äusserst brutal, da die Internierten heftigen Widerstand leisteten. 

 

Nach siebzehntägiger Reise kamen die Deportierten in Mauritius an, wo sie ins Zentralgefängnis Beau Bassin verbracht wurden und unter elenden Bedingungen gefangen gehalten wurden. Die ersten achtzehn Monate waren besonders hart:  Männer und Frauen wurden getrennt, jeglicher Kontakt mit der Bevölkerung war verboten. Darüber hinaus führte die Aussichtslosigkeit, nach Palästina zu gelangen, zu zahleichen Selbstmorden. Erst allmählich begann sich die Situation etwas zu verbessern, Arbeiten ausserhalb des Lagers wurden erlaubt, die Familien wieder zusammengeführt und auch ein gewisses Mass an kulturellem Leben ermöglicht. Allerdings verstarben bis Kriegsende 128 Personen, die auf der jüdischen Abteilung des Friedhofes St. Martin beigesetzt wurden. Darunter befand sich auch Arthur Baron, der – bereits im fortgeschrittenen Alter und zweifellos geschwächt von all den Strapazen – im August 1944 verschied.

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Vestibül Stadtparkhof.

 

Seine um acht Jahre jüngere Frau Kitty überlebte und durfte nach Kriegsende endlich nach Palästina einreisen. Über den in Philadelphia lebenden Bruder Arthur Barons hatte die U.S.- Militärregierung dann die Witwe ausfindig gemacht, so dass diese nach Wien zurückkehrte und die Restitution ihres Vermögens beantragen konnte. In Briefen mit zittriger Schrift wandte sich die alte Frau 1948 an die österreichischen Behörden, die ihrem Antrag aufgrund der eindeutigen Rechtslage nach einigen bürokratischen Verschleppungen schliesslich statt gaben.11 Kitty Baron- Kassowitz wohnte die restlichen Jahre ihres Lebens – sie verstarb 1957 – wieder in ihrem Haus auf der Wiedner Hauptstrasse und verblieb auch Inhaberin des dortigen Schönburg-Kinos.12

 

Anmerkungen

1 Die Fa. Viktor Schwadron war auf Baukeramik spezialisiert. Der Sohn Ernst Schwadron war in der Zwischenkriegszeit ein bedeutender Architekt und musste infolge seiner jüdischen Herkunft 1938 in die USA emigrieren.

2 Ursula Prokop, Aufbruch zur Metropole, Wien u.a. , 1994, S.68ff.

3 Ursula Prokop, Josef Frank und der kleine Kreis um Oskar Strnad und Viktor Lurje, in: Josef Frank (Kat.), Wien 2016, S.48ff.

4 Eigentümer des Kinos war Viktor Schwadron bis 1938.

5 Siehe Anm. 2

6 Maria Welzig, Josef Frank, Wien/Köln/Weimar, 1998, S.33.

7 Baron besass mehrere Liegenschaften: neben dem Haus in der Wiedner Hauptstrasse noch ein Miethaus in Wien 4, Wienzeile 25 und im 2. Bezirk, Gredlerstrasse 4. Siehe dazu Tina Walzer/Stephan Templ, Unser Wien, Berlin 2001, S.163 und Völkischer Beobachter, 24.1.1941.

8 Meldezettel, Arthur Baron, MA8/WStLA.

9 Siehe dazu Josef Eisinger, Flight and Refuge, New York, 2016, S.148ff.

10 Robert Philpot, From Palestine to jail in Mauritius, when Britain deported 1580 Shoa Refugees, in www.timesofisrael.com,  abgerufen am 13.12.2022.

11 Freundliche Auskunft Otto Kapfinger und Florian Pauer/Thomas Jeschek, Die Wiener Kinos 1896-2022, Bd. 2, Wien 2022, S.33.

12 Auszug vom 1.3.1948 aus dem Arisierungsakt St5574/WSTLA M. Abt. 119/A27-ÖVKino, K85, Schönburglichtspiele: Hans Bauer der ehemalige Operateur des Kinos hatte das Unternehmen 1938 um 4.000 RM erworben. Das gesamte Vermögen Barons war von der Gestapo beschlagnahmt worden.

 

Alle Abbildungen: U. Prokop, mit freundlicher Genehmigung.