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Der Vergessene Exodus Jüdische Flüchtlinge aus Arabischen Ländern

Elisabeth Esterle

Im Folgenden möchte ich die Ausgangssituation der jüdischen Bevölkerung in arabischen Ländern behandeln, die Auswirkungen der Gründung des israelischen Staates auf diese beleuchten, sowie auf die den heutigen Stand des dualen Flüchtlingsproblems eingehen.

Inhalt

Im Juli 2000 traten der israelische Premierminister Ehud Barak und der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Jassir Arafat gemeinsam mit dem in der Vermittlerrolle agierenden US-Präsidenten Bill Clinton in Camp David, dem Feriendomizil der US-Präsidenten zusammen, um Gespräche über den Nahostkonflikt zu führen. Zu den Agenden gehörten unter anderem die Gewährleistung von Sicherheit auf beiden Seiten, die Frage einer genauen Grenzziehung zwischen israelischem und palästinensischem Territorium, sowie das Rückkehrrecht der Palästinaflüchtlinge. In der Diskussion um das Flüchtlingsdilemma kam es schliesslich, von israelischer Seite, erstmals zu einem Verweis auf das parallel entstandene Problem der rund 850.000 jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern, welche aus ihrer Heimat vertrieben wurden und in diese auch nicht zurückkehren konnten – ein Punkt, welcher zu keinem Zeitpunkt zu den zu verhandelnden Themen gehörte, jedoch die Frage nach Gerechtigkeit für beide Seiten in den Raum stellte. Das Treffen von Camp David II endete nach 14 Tagen letztlich ergebnislos. Insgesamt gab es seit 1947 über 1.000 UN-Resolutionen bezüglich des arabisch- israelischen Konflikts. Von diesen behandeln mehr als 170 das Schicksal der 750.000 palästinensischen Flüchtlinge, jedoch keine einzige jene der jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern.

 

Juden in den Maghreb-Staaten vor 1947

Die nordafrikanischen Territorien von Tunesien, Algerien, Marokko, der Westsahara und oftmals auch Libyen werden unter dem Begriff Maghreb (arabisch „al-maghrib“, übersetzt „der Westen“) zusammengefasst. Als Gegenstück hierzu dienen die Länder des Maschrek (arabisch „al-Maschriq“, übersetzt „der Osten“), zu denen die arabischen Länder Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien, Irak sowie Israel und Palästina zählen. Die jüdische Präsenz in Nordafrika blickt auf eine tausende Jahre alte Geschichte zurück. Meist werden erste Ansiedlungen mit der Zerstörung des Ersten Tempels im 6. Jahrhundert v. Chr. assoziiert, man geht allerdings davon aus, dass es bereits einige Jahrhunderte vorher jüdische Siedler gegeben haben muss. Im Laufe der Zeit folgten weitere Einwanderungswellen, hervorgerufen durch die zunehmend antijüdische Politik europäischer Herrscher. Unter muslimischer Herrschaft wurden Juden, ebenso wie andere Nicht-Muslime, weitestgehend als „Dhimma“ toleriert, solange diese die sogenannte „Dschizya“, eine Schutzgebühr, entrichteten.

 

Algerien

Vieles änderte sich mit der fortschreitenden französischen Kolonialisierung Nordafrikas, beginnend mit der Eroberung Algeriens im Jahr 1830. Mit Änderungen in der Judikatur waren Juden nunmehr nicht mehr dem muslimischen Rechtssystem unterstellt, zudem sollte eine bewusste Europäisierung der sefardisch geprägten Gemeinde dazu führen, deren als minder betrachtete Praktiken wegzubringen und zu modernisieren. Dieses Vorhaben stiess bei den algerischen Juden oftmals auf Widerstand. Dennoch bekamen mit dem 1870 erlassenen Crémieux-Dekret[i] rund 33.000 Juden die französische Staatsbürgerschaft. Durch aus Frankreich importierten Antisemitismus kam es schliesslich im Jänner 1898, nach der Entlassung von Alfred Dreyfus[ii], zu Pogromen in diversen Städten. Hannah Arendt hielt fest;

„(…) dass die Pogrome nicht von rückständigen Arabern, sondern von gebildeten Offizieren der französischen Kolonial Administration durchgeführt wurden (…) und dem Bürgermeister von Algier, Max Régis.“[iii]

 

Ebenso wurden von Muslimen ausgeführte antijüdische Proteste von französischer Seite her nicht geahndet. Mitte der 1930er Jahre kam es von Seiten französischer politischer Bewegungen zu bewussten Aufhetzungen muslimischer Bürger gegen algerische Juden. Dies führte schliesslich 1934 zum Constantine-Pogrom, in dem 25 Juden ermordet, sowie 200 Geschäfte geplündert wurden. Bereits vor Beginn des Zweiten

 
   

 Weltkrieges hatte die jüdische Bevölkerung weniger als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung Algeriens ausgemacht. Unter dem Vichy-Regime wurde 1940 das Crémieux-Dekret wieder rückgängig gemacht, wodurch 110.000 Menschen ihre französische Staatsbürgerschaft verloren und diese erst ein Jahr nach der Eroberung durch die Alliierten im Oktober 1943 wieder zurückerlangten.

 

 

Tunesien

Anders als in Algerien, wo die zunehmende Kolonialisierung der jüdischen Gemeinde oftmals auf Widerstand traf, fühlten sich die Juden Tunesiens unter dem französischen Protektorat wesentlich sicherer. Seit der Eroberung Tunesiens 1881 assimilierte sich die jüdische Bevölkerung zunehmend an die französische Kultur und hoffte, basierend auf dem Revolutionsversprechen „Liberté, Égalité, Fraternité“, auf ein besseres Leben. Ähnlich wie in Algerien wurde innerhalb einer Generation Arabisch beziehungsweise Judeo-Arabisch als Muttersprache durch Französisch ersetzt. Fortan besuchten mehr jüdische Kinder staatliche Schulen und eigneten sich dadurch den französisch geprägten, neuen Lebensstil an. Im Juni 1940 wurde auch das Französische Protektorat Tunesien Teil des Vichy-Regimes und setzte fortan diskriminierende Gesetze um. Im November 1942, kurz nachdem die Allierten in Vichy-Algerien und Vichy-Marokko gelandet waren, besetzten die Nationalsozialisten Vichy-Tunesien, welches damit zum einzigen von Nationalsozialisten besetzten Land im arabischen Raum wurde. Zu diesem Zeitpunkt lebten etwa 100.000 Juden in Tunesien. Diesen blieben Deportationen und Massenmord wie jenen in Europa zwar erspart, dennoch wurden tausende in die rund 20 Arbeitslager geschickt, sowie hunderte getötet. Zusätzlich wurden rund 160 in Frankreich lebende tunesische Juden in die Konzentrationslager Europas deportiert und dort ermordet.

 

Marokko

Marokko kam mit der Unterzeichnung des Vertrags von Fès im Jahr 1912 unter die Schirmherrschaft Frankreichs. Dies führte direkt zu Aufständen unter der Bevölkerung und marokkanischen Soldaten, die sich gegen ihre französischen Kommandanten erhoben. Ein Umstand, der letztlich darin resultierte, dass das jüdische Quartier von französischer Seite unter Beschuss geriet, da der Kommandant, General Brulard, eine Kollaboration der jüdischen Bevölkerung mit den Rebellen vermutete. Aufgrund ihrer Handelsbeziehungen nach Europa hatten marokkanische Juden dennoch eine positivere Erfahrung der Europäisierung als die marokkanischen Muslime, wenngleich sie die zunehmenden Eingriffe Aussenstehender nicht zwangsläufig gut hiessen. Pro-Zionistische Zeitungen jedoch, wie L’avenir Illustré, wurden von der jüdischen Gemeinde nur mässig akzeptiert. Bemühungen, der zionistischen Presse entgegenzuwirken, führten zur Entstehung der francophonen Zeitung L’Union Marocaine. Beide wurden schliesslich unter dem Vichy-Regime 1940 eingestellt.

Trotz der vom Regime angeordneten, antisemitischen Dekrete weigerte sich Sultan Mohammed V, die Juden Marokkos zu ghettoisieren und in die Massenvernichtungslager Europas zu deportieren. Daraufhin wurden viele Gesetze ohne Zustimmung des Sultans erlassen. Rund 7.700 Juden versuchten daraufhin, nach Amerika oder Israel zu fliehen, wurden jedoch festgehalten und in Arbeitslager gebracht. Insgesamt blieb der Grossteil der 225.000 Juden in Marokko vom vollen Ausmass der Verfolgungen durch den Nationalsozialismus allerdings bewahrt, wenngleich es nach der Ankunft der Alliierten 1943 durchaus zu Pogromen kam.

 
 
 

 

Libyen

Im Jahre 1911 wurde Libyen von Italien erobert, zunächst allerdings nur Tripolitanien. Zu dieser Zeit waren viele Rabbiner, inklusive des  Oberrabiners von Tripolis, italienischer Herkunft. Bis zum Aufstieg des italienischen Faschismus und dem Bündnis mit Nazideutschland in den 1930er Jahren erlebte die jüdische Bevölkerung Libyens eine Zeit des Wohlstands und Fortschritts. Vorerst wurden auch die 1940 eingesetzten diskriminierenden Gesetze Italiens nicht sofort auf die libyschen Juden angewandt, da diese eine signifikante Rolle beim Aufbau der Kolonie innehatten. Erst mit dem Einmarsch deutscher Truppen wurden viele Juden zur Zwangsarbeit eingesetzt oder deportiert. Im KZ Giado starb schliesslich fast ein Viertel der 2.600 Insassen an Hunger oder Typhus, ehe das KZ im Januar 1943 durch die Briten befreit wurde.

 

Juden in den Maschrek-Staaten vor 1947

Ähnlich wie in den Maghreb-Staaten reicht die jüdische Geschichte auch in den Ländern des Ostens tausende Jahre zurück. Besonders Ägypten, der Irak und Jordanien sind unmittelbar mit der Geschichte des jüdischen Volkes verbunden. Nach dem Anglo-Ägyptischen Krieg kam Ägypten ab 1882 unter britische Herrschaft. Unter dieser und der Regentschaft König Fuads I. stand das Land seinen jüdischen Bewohnern freundlich gegenüber, wenngleich bis zu 94 Prozent der Juden keine ägyptische Staatsbürgerschaft besassen. Mit der Zuwanderung jüdischer Flüchtlinge aus Europa stieg die Anzahl jüdischer Bürger auf 80.000. Diese hatten tragende Rollen in der Wirtschaft inne und unterhielten gute ökonomische Beziehungen zu Juden und Nicht-Juden. Auch die Verbreitung des ägyptischen Nationalismus kann auf jüdische Individuen zurückgeführt werden, wie beispielsweise den Vorstand der sefardischen Gemeinde Kairos René Qattawi, welcher gleichzeitig der Idee eines politischen Zionismus mit Ablehnung entgegentrat. So schrieb dieser 1943 dem World Jewish Congress, er wäre der Ansicht, Palästina könne niemals Europas jüdische Flüchtlinge aufnehmen. Dennoch gab es innerhalb der jüdischen Bevölkerung Repräsentaten diverser zionistischer Bewegungen, wenn auch nur wenige. Mit dem Aufstieg Nazi-Deutschlands und den Auswirkungen des Arabisch- Jüdischen Zusammenstosses während der Arabischen Revolte in Palästina 1936 bis 1939 wurde die Stimmung zwischen der ägyptischen Gesellschaft und der jüdischen Bevölkerung zunehmend angespannter. Dies hatte die Entstehung militanter nationalistischer Organisationen wie etwa die Gesellschaft der Muslim-Brüder zur Folge, welche Juden gegenüber feindlich gesinnt war. Arabische Autoritäten wie dem Grossmufti von Jerusalem Haj Amin al-Husseini sorgten mit

 

ihren Verbindungen zu Hitler Deutschland dafür, dass Geld in die antijüdische Propagandamaschinerie fliessen konnte. Die Situation verschlechterte sich zunehmend in den 1940er Jahren und mündete schliesslich in diversen Pogromen in der Hauptstadt Kairo, welche bis 1949 anhielten.

 

Jemen

Im Jemen gehörten Juden bis zum Aufkommen des Islam oftmals der Oberschicht an. Ihre Tätigkeiten als Kaufleute, Minister oder Diensthabende des Militärs verschafften ihnen grossen Einfluss auf die Kultur des Landes. Im Zuge der Islamisierung verschlechterte sich die soziale und rechtliche Stellung der Juden jedoch zunehmend. Die durchgehend diskriminierenden gesetzlichen Erlässe führten bereits im späten 19. Jahrhundert zur ersten grossen Auswanderungswelle nach Palästina. Bis 1914 verdoppelte sich der Zustrom jemenitischer Juden sogar.

 

Libanon

Der Libanon kam, gemeinsam mit Syrien, 1918 unter französische Verwaltung. Doch auch dort konnten 1930 durch den Einfluss des nazifreundlichen Muftis von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini antijüdische Propaganda und Gesetze erlassen werden. Bereits ein Jahrhundert zuvor fanden sich antijüdische Verschwörungstheorien wie die Ritualmordbeschuldigung von Damaskus im öffentlichen Diskurs. Die Damaskus-Affäre markiert den Beginn der Ära des modernen Antisemitismus in der arabischen Welt und resultierte, wie so oft, in diversen Pogromen gegen die ansässige jüdische Bevölkerung. Bereits zwischen 1945 und 1950 floh die Mehrheit der 15.000 libanesischen Juden.

 

Irak

Seit der babylonischen Gefangenschaft 586 v. Chr. ist jüdische Präsenz im heutigen Irak dokumentiert. Während der Zeit britischer Besatzung ab 1918 prägten jüdische Personen das gesellschaftliche Leben massgeblich. Unter anderem im Parlament vertreten löste dies bei der irakischen Bevölkerung oftmals Ärgernis aus. Bereits seit den 1890er Jahren hatte sich mit der Herausgabe hebräischer und zionistischer Zeitschriften im Irak eine zionistische Bewegung etabliert. In den 1930er Jahren führte dies und der anhaltende Konflikt um das Palästina-Mandat zu antizionistischen Demonstrationen und diskriminierender Massnahmen. Um 1940 herum lebten etwa 135.000 Juden im Irak.

Am 1. Juni 1941 kam es infolge eines Militärputsches zu einem zwei Tage andauernden Pogrom, genannt Farhud, gegen die Juden Bagdads. Auch hier soll der Mufti von Jerusalem der Urheber des Pogroms gewesen sein. Letztlich sollte dies zu einem eindeutigen Bruch zwischen Juden und Arabern im Irak führen und das Ende der 2.600 Jahre alten jüdischen Gemeinschaft bedeuten.

 

Jordanien

Wenngleich es heute keine jüdische Präsenz in Jordanien mehr gibt, so ist die Geschichte des Landes unmittelbar mit jener des jüdischen Volkes verbunden. So sollen bereits drei Israelitische Stämme des Nordreichs Israel sich auf dem Gebiet des heutigen Jordanien angesiedelt haben. Mit der Niederschlagung des Bar Kochba-Aufstandes 135 n. Chr. vereinten die Römer die Provinz Judäa mit Galiläa und nannten diese neue Provinz Syria Palästina. Die Balfour-Deklaration befeuerte schliesslich die Idee eines jüdischen Heimatstaates in Palästina, wobei die Grenzen für dieses britische Mandat noch nicht festgelegt waren. Die britischen Behörden behandelten das Gebiet östlich

 

des Jordan als separaten Staat und nannten ihn Transjordanien. In den späten 1920er Jahren wurden dort nur formell jüdische Präsenz abgesegnet. 1930 gab es zumindest ein jüdisches Dorf, Tel Or, welches erst mit dem Aufkommen des Arabisch-Israelischen Krieges 1948 zerstört wurde.

 

Zusammengefasst kann also festgehalten werden, dass in sämtlichen arabischen Ländern bereits zu biblischen Zeiten und dadurch seit tausenden Jahren Juden lebten und wirkten. Neben den teils willkürlich erlassenen, diskriminierenden antijüdischen Gesetzen der muslimischen Herrscher gab es Zeiten der friedlichen Koexistenz. Mit der zunehmenden Kolonialisierung und importierten antisemitischen Werten entstand eine Kluft zwischen der jüdischen und muslimischen Bevölkerung des jeweiligen Landes. Oftmals hatten diese kämpferische Auseinandersetzungen zur Folge, welche aufgrund des aufstrebenden Zionismus und des 1947 vereinbarten Teilungsplans schliesslich dazu führten, dass eine Mehrheit der alteingesessenen jüdischen Gemeinden ihr Heimatland verlassen musste.

 

Der Teilungsplan und die Entstehung Israels 1947/48

Bereits 1917 wurde mit der Balfour-Deklaration dem zionistischen Ziel einer nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes von Seiten Grossbritanniens grünes Licht gegeben. 1922 hatte der Völkerbund die Entstehung dieser Heimstätte für Juden im Völkerbundmandat für Palästina festgeschrieben. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und nach dem Holocaust forderten zionistische Organisationen verstärkt einen eigenen Staat in Palästina. 1947 wurde von den Vereinten Nationen schliesslich über einen Teilungsplan abgestimmt. Alle sechs arabischen Mitgliedsstaaten stimmten dagegen und kündigten an, einen jüdischen Staat verhindern zu wollen. Das britische Völkerbundmandat lief schliesslich am 14. Mai 1948 aus und die israelische Unabhängigkeitserklärung wurde verkündet. Einige Stunden nach der Ausrufung des Staates eröffneten die Armeen des Irak, Libanon, Ägyptens, Syriens und Transjordaniens den Krieg gegen Israel. Dieser Unabhängigkeitskrieg führte dazu, dass Israel sein Gebiet um 21 Prozent erweitern konnte.

 

Konsequenzen für die jüdische Bevölkerung

Der irakische Aussenminister Muhammad Fadhel el-Jamali drohte am 28. November 1947 mit negativen Folgen für Juden in der gesamten arabischen Welt, sollte die Errichtung eines jüdischen und eines arabischen Staates umgesetzt werden. Nach der israelischen Staatsgründung rief der Irak den Ausnahmezustand aus. Infolgedessen wurden jüdische Beamte aus dem Staatsdienst entlassen, zionistische Aktivitäten strafrechtlich verfolgt und hunderte Juden vor Militärgerichte gestellt. Der reichste Jude im Irak und selbst Gegner der zionistischen Bewegung, Shafiq Ades, wurde im September 1948 vor seiner Villa an einem Galgen aufgehängt.

 

Irakische Juden wurden dazu verpflichtet, eine Steuer für den Kampf gegen Israel zu entrichten.1950 wurde von Seiten des irakischen Parlaments Juden für ein Jahr die Ausreise gestattet, unter der Bedingung, auf ihr gesamtes Eigentum zu verzichten. Dies sollte dazu führen, mit völlig mittellosen Juden die israelische Wirtschaft zum Kollaps zu bringen.

Nach Bombenanschlägen in Synagogen verliessen während der Evakuierungsoperation „Esra und Nehemia“ 121.633 Juden den Irak. 1970 flohen weitere 900 über das Kurdengebiet. 2016 lassen sich nur noch fünf jüdische Menschen im Irak nachweisen.

 

Ägypten

Noch vor der Staatsgründung Israels, am Jahrestag der Balfour-Deklaration 1945, kam es in Kairo bereits zu Unruhen. Fünf Juden wurden getötet und die Hauptsynagoge Kairos in Brand gesteckt. Der damalige Premierminister Mahmoud an-Nukrashi beschuldigte daraufhin Zionisten, eine derartige Reaktion provoziert zu haben. Etwas später warnte der ägyptische UNO-Delegierte Heikel Pascha, dass bei einer Durchführung des Teilungsplans eine Million Juden in arabischen Ländern gefährdet wären. Direkt nach der Staatsgründung wurden in Ägypten 1.000 Juden festgenommen, von Universitäten verbannt und ihr privates Eigentum beschlagnahmt. 20.000 Juden flohen daraufhin aus Ägypten. Im Laufe der Jahre gab es immer wieder gewaltsame Pogrome, in denen Geschäfte zerstört und Menschen getötet wurden. 25.000 Juden wurden im Zuge der Suezkrise ausgewiesen, jüdische Männer infolge des Sechstagekriegs interniert. Der letzte Rabbiner Chain Moussa Douek verliess Ägypten schliesslich im Jahr 1972. Von den zuvor 80.000 Juden blieben 2016 nur noch acht in Kairo und fünf in Alexandria übrig.

 

Jemen

Auch im Jemen kam es infolge der UN-Teilungsresolution zu einem Pogrom, bei dem Synagogen, Geschäfte und hunderte jüdische Wohnhäuser zerstört wurden. Unter tätiger Mithilfe der Polizei wurden 1947 in Aden 82 Juden ermordet und dutzende verletzt.

Zuvor waren bereits rund 100.000 jemenitische Juden nach Israel ausgewandert. Die 50.000 übriggebliebenen Juden wurden zwischen 1949 und 1950 während der Operation „Magic Carpet“ von Aden nach Israel gebracht. Der seit 2004 andauernde Bürgerkrieg und der ausgelebte Antisemitismus der schiitischen Huthis sollen laut Berichten aus dem Jahr 2021 dazu geführt haben, dass auch die letzten jüdischen Familien vertrieben worden sind.

 

Marokko

In Marokko spitzte sich die Lage für die dort ansässigen Juden im Laufe der 1950er Jahre zu. Nachdem bereits 1948 im Zuge von Pogromen in den nordöstlichen Städten Jerada und Oujda 47 Juden durch Muslime getötet und weitere 150 verletzt wurden, verliessen bis 1957 etwa 110.000 marokkanische Juden ihre Heimat. Unruhen in Sidi Qasam, El Jadida und Wadi Zem kostete weitere Leben. 1956 erliess Marokko schliesslich ein Auswanderungsverbot nach Israel. Unter dem Titel „Operation Jachin“ wurden zwischen 1961 und 1964 in einer Geheimaktion des Mossad 80.000 Juden ausser Landes gebracht. Bis 1967 verliessen etwa 237.813 Juden Marokko.

 

Libyen

Ähnlich wie in Ägypten kam es auch in Libyen 1945 zum Jahrestag der Balfour-Deklaration zu einem durch arabische Nationalisten initiierten Pogrom in Tripolitanien, welches in einem der schlimmsten antisemitisch geprägten Gewaltausbrüche Nordafrikas eskalierte. Dieses traumatische Ereignis, welches bereits drei Jahre vor der Gründung Israels stattfand, führte zum Beginn der Auswanderungswelle der Juden aus Libyen. Mit der offiziellen Staatsgründung Israels kam es zu weiteren Attacken, welche aber aufgrund der hohen Selbstschutzmassnahmen innerhalb der jüdischen Gemeinden geringere Verluste zu beklagen hatten als nach vorherigen Angriffen. Ab 1952 war es Juden verboten, das Land zu verlassen; zu diesem Zeitpunkt hatten von 35.000 jedoch bereits 30.000 Juden Libyen den Rücken gekehrt. Die übrig gebliebene jüdische Bevölkerung war weiterhin Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Unter der streng antisemitischen Politik Muammar al-Gaddafis, welcher 1969 an die Macht gelangte, kam es zu vielfachen Enteignungen jüdischen Eigentums, sowie zu Umwandlungen von Synagogen in muslimische Gotteshäuser. In den 1970er Jahren soll es nur mehr 20 Juden in Libyen gegeben haben. Sein endgültiges Ende fand jüdisches Leben schliesslich 2002 mit der Ausreise der damals 80-jährigen Rina Debach und dem Tod von Esmeralda Meghnagi.

 

Algerien

Etwas anders war die Situation in Algerien und Tunesien, wo es aufgrund der französischen Protektoratsmacht vorerst nicht zu Vertreibung und Flucht kam. Jedoch wurde in Algerien der Krieg zwischen Frankreich und der Algerischen Befreiungsfront von antisemitischen Attacken begleitet, da viele algerische Juden Frankreich unterstützten. Von 1956 bis 1961 kam es unter anderem zu Angriffen auf jüdische Einrichtungen, die Hauptsynagoge von Algier und Friedhofsschändungen in Oran. 1962 verliessen mit der Unabhängigkeit Algeriens rund 130.000 Juden das Land und gingen zumeist nach Frankreich oder Israel.

Heute sind von den noch 1969 gezählten 140.000 Juden nur mehr zweihundert übrig.

 

Tunesien

Auch in Tunesien kam es vorerst zu keiner massenhaften Flucht, jedoch war das nach der erreichten Unabhängigkeit des Landes 1956 nur eine Frage der Zeit. Bereits 1952 verübte antijüdische Angriffe bewirkten eine erste Fluchtwelle. Trotz der Juden gegenüber liberalen Politik Präsident Habib Bourguibas kam es unter seiner Herrschaft dennoch zu gewalttätigen Angriffen auf jüdische Gemeinden, weshalb bis 1967 rund 40.000 Juden Tunesien verliessen. Besonders nach dem Sechstagekrieg sollen mit Eisenstangen und Benzinkanistern bewaffnete Randalierer durch das jüdische Viertel in Tunis gezogen sein, um dieses zu plündern und in Brand zu stecken. Bei der Stürmung der Synagoge sollen 40 Torah-Rollen zerstört worden sein. Im Vergleich zu den 71.000 Juden, die 1946 noch in Tunesien gelebt hatten, soll es heute nur mehr rund 1.500 geben, da viele antisemitische Gewalttaten wie etwa der tödlichen Anschlag auf die al-Ghriba Synagoge in Djerba viele Juden dazu veranlassten, Tunesien in Richtung Frankreich oder Israel zu verlassen.

 

Wie sich an verschiedenen Beispielen gezeigt hat, gab es betreffend der Gründung eines jüdischen Staates von arabischer Seite eine durchwegs ablehnende Haltung. Noch vor der offiziellen Staatsgründung Israels wurden bewusst diskriminierende Gesetze zum Nachteil der jüdischen Bevölkerung erlassen, um diese stellvertretend zu bestrafen. Gleichzeitig wurden die jüdischen Bevölkerungen aufgrund der unzähligen gewalttätigen Angriffe zunehmend in die Arme des „Feindes“ getrieben was letztlich dazu führte, dass dieser auf eine gewisse Weise gestärkt wurde. Jüdische Gemeinden, die bislang wenig bis kaum Interesse und vor allem Zweifel an der zionistischen Idee eines eigenen Staates gehabt hatten, gingen fast vollständig in diesen über.

 

Das Duale Flüchtlingsproblem

Insgesamt übersteigt die Anzahl der geflohenen Juden jene der geflohenen Palästinenser. Dennoch wurde die Thematik rund um jüdische Flüchtlinge bis in die 2000er Jahre weitestgehend ignoriert. Erst bei den eingangs erwähnten israelisch- palästinensischen Verhandlungen bei Camp David II wurde die jüdische Flüchtlingsfrage in den Raum und damit in den öffentlichen Diskurs gestellt. Im Oktober 2003 wurde im Zuge der Vorlegung einer Zweiparteien-Resolution im U.S.Congress das duale Flüchtlingsproblem im Nahen Osten anerkannt. Der Exodus von 900.000 Juden aus arabischen Staaten, welche durch Gewalt und antisemitische Aufhetzung aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, wird dabei explizit erwähnt. Zusätzlich wird Kritik an dem eingesetzten Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (kurz UNRWA) geübt, welches als einzige derartige Institution mit einem regionalen Flüchtlingsproblem beauftragt wurde.

Anders als bei den palästinensischen Flüchtlingen setzte sich die UNO zu keinem Zeitpunkt in einem vergleichbaren Ausmass mit den jüdischen Flüchtlingen auseinander. Zusätzlich erhielten diese weder Unterstützung noch Zuwendung der UNRWA oder einer ähnlichen Organisation. Gleichermassen versuchte man das Thema von israelischer Seite – aus innenpolitischen Gründen – zu verdrängen beziehungsweise euphemistisch zu ummanteln. Immerhin bestärkte eine stetige jüdische Einwanderung das zionistische Ethos von der Heimführung von Exiljuden. Eine erzwungene Vertreibung oder auch nur unfreiwillige Emigration hätte dieses getrübt, weshalb militärische Operationen unter positiv konnotierten Titeln wie „Magic Carpet“ oder „Operation Ezra and Nehemiah“ durchgeführt wurden. Im Diskurs um den Nahostkonflikt war, von arabischer Seite, stets die palästinensische Flüchtlingsfrage im Vordergrund. Die menschliche Tragödie wurde hierbei gezielt instrumentalisiert. Jegliche Kompromiss- bzw. Alternativlösungen, wie etwa das Umsiedlungskonzept aus der Resolution 194 wurden jedoch von arabischer Seite aus abgelehnt. Diese mangelnde         

 

Kompromissbereitschaft von Seiten der Palästinenser bewog schliesslich auch Israelis, erstmals Forderungen bezüglich jüdischer Flüchtlinge aus arabischen Ländern zu kommunizieren, wenngleich in der Diskussion um palästinensische Entschädigungszahlungen bereits auf das durch Beschlagnahmung jüdischen Eigentums entstandene Pendant hingewiesen wurde.[iv] Seit Juni 2014 gilt in Israel der 30. November als landesweiter Gedenktag der Vertreibung von Juden aus arabischen Ländern und dem Iran. Dennoch sind der jüdische Exodus mit seiner Vorgeschichte und das dadurch entstandene Leid bislang nicht in das Bewusstsein der

 

[i] Isaac Jacob Crémieux bzw. Adolphe Crémieux, Präsident der Alliance Israélite Universelle.

[ii] Alfred Dreyfus wurde ungerechtfertigt der Spionage angeklagt.

[iii] Arendt, H. (1942). From the Dreyfus Aair to France Today. Jewish Social Studies, 4(3), S. 201.

[iv] Beker, Avi: „The Forgotten Narrative: Jewish Refugees From Arab Countries“, Jewish Political Studies Review 17/3-4 (2005).