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Evelyn Adunka
V & R unipress Vienna University Press, Wien 2024.
336 Seiten, Hardcover, mit 119 Abbildungen Euro 62,00.-
ISBN 978-3-8471-1703-2
https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/AuthorProfile/index/id/5373727/name/Schulamit+Meixner
2020 gründete Ariel Muzicant die Judaica Forschung gem. GmbH, um mit ihr eine Buchreihe zur Geschichte der Wiener jüdischen Gemeinde nach 1945 zu finanzieren.
Die Projektleitung übernahm Klaus Davidowicz vom Institut für Judaistik. Der erste Band dieser Reihe über das überaus vielfältige Bildungsangebot der Wiener jüdischen Gemeinde ist nun erschienen, verfasst von der Judaistin und Autorin Schulamit Meixner, die selbst am Chajes-Gymnasium unterrichtet hatte.
Das Buch beginnt mit einer allgemeinen Einleitung über die Bedeutung von Bildung im Judentum und einem Überblick über das Schulwesen vor 1938. Danach beschreibt Meixner die Hebräische Schule, die von überlebenden Displaced Persons nach dem Modell der osteuropäischen Tarbuth-Schulen eingerichtet wurde. An verschiedenen Standorten und mit vielen personellen Problemen konnte sie sich bis 1967 halten. Einer ihrer Leiter war Leon Slutzky, der in Lachwa bei Pinsk aufgewachsen war. Er lehrte auch Hebräisch am Institut für Judaistik, veröffentlichte mehrere Gedichtbände und engagierte sich für die Brit Iwrit Olamit, die Gesellschaft zur Förderung der hebräischen Sprache und Kultur.
Die Geschichte der Schulen der Kultusgemeinde begann 1979 mit der Gründung eines Schulkomitees einiger engagierter Eltern rund um Ariel Muzicant. Die Volksschule wurde in der Seitenstettengassee eingerichtet, das Gymnasium in der Castellezgasse, im historischen Gebäude des Chajes-Gymnasiums vor der Shoah. Der erste Administrator der Schulen, der evangelische Theologe und Erwachsenenbildner Ulrich Trinks, schlug vor, das Gymnasium wieder nach dem Wiener Oberrabbiner Zwi Perez Chajes zu benennen. 1988 wurde es von der Kultusgemeinde übernommen.
Die erste Matura 1992 konnte im Wiener Rathaus mit ehemaligen Schülern des alten Chajes-Gymnasiums und der früheren Lehrerin Sonia Wachstein gefeiert werden. Dass von einer Reihe von Preisen und Sonderstipendien, einige von ehemaligen Schülern wie dem Nobelpreisträger Walter Kohn gespendet wurden, zeigt deren Verbundenheit mit der Schule.
In den 1990er Jahren gab es eine finanzielle und personelle Krise. Die Schülerzahlen gingen zurück und die jüdische Leitung konnte fünf Jahre lang nicht besetzt werden.
Ein grosser Glücksfall für die Schule war, dass der Judaist Jacob Allerhand mit seinem grossen Wissen sich anbot, jüdische Geschichte zu unterrichten. Er stammte aus Ludwipol in Wolhynien und wurde 1966 von Kurt Schubert aus Berlin an das Institut für Judaistik in Wien geholt. Allerhand führte die Jerusalem-Matura ein und publizierte ein dreibändiges Lehrbuch zur jüdischen Geschichte, das 2024 in einer überarbeiteten Neuausgabe wieder erscheinen wird. Er hatte keine Familie, zeichnete sich durch eine besondere Grosszügigkeit und Hilfsbereitschaft aus und engagierte sich auch im jüdisch-christlichen Dialog und in der Zwi Perez Chajes Loge der B’nai B’rith. Muzicant, der ihn schätzte und bewunderte, widmete, wie er im Vorwort schreibt, Meixners Buch seinem Angedenken. 2008 folgte die Übersiedlung von der Castellezgasse in das neue, doppelt so grosse Schulgebäude im IKG Campus in der Simon Wiesenthal Gasse. 2021/2022 konnten 460 Kinder betreut werden. Der heutige jüdische Leiter der Schule Marc Uri ist ein Alumnus der Schule.
In den weiteren Kapiteln hat Meixner auch die Entstehung des Lauder Chabad Campus am Rand des Augartens mit einer Volks-, Mittelschule, einer Handelsschule und einer Handelsakademie ausführlich beschrieben. Der Plan, ein Touro College nach Wien zu bringen, konnte zwar nicht realisiert werden; aber 2003 wurde die Lauder Business School im Maria-Theresien-Schlössel in Wien-Döbling etabliert. Von 1996 bis 2016 bestand im Rahmen von Chabad weiters eine Jüdische Religionspädagogische Akademie.
Eine wichtige Ergänzung des Schulwesens und ein wichtiges Integrationsprojekt für die Juden und Jüdinnen aus der ehemaligen Sowjetunion ist das 1998 eröffnete, neu gebaute Jüdische Berufliche Bildungszentrum. Seltsam ist, dass die Schülerin Hanna Engelmayer als Rabbinerin und nicht als Rebbetzin vorgestellt ist.
Auch die Orthodoxie, die Machsike Hadass und die Agudas Israel, konnte eigene Institutionen etablieren, die Talmud Torah Schule im historischen Gebäude in der Malzgasse, eine weitere in der Tempelgasse und eine Beth Jakob Mädchenschule. Im Gegensatz zur Zeit vor 1938 gibt es seit 1988 in Wien auch eine Jeschiwa.
Das letzte Kapitel widmet Meixner der informellen Erziehung, den Jugendbewegungen, der Jehuda Halevi Musikschule und dem Jüdischen Institut für Erwachsenenbildung. Bei diesem hätte es allerdings etwas mehr zu schreiben gegeben. Die Namen der beiden ersten Leiter, Peter Bettelheim und Charlotte Kohn-Ley, die Festschrift Bildung gegen Vorurteile 2000 und eine Tagung über jüdische Gemeinden in Europa, deren Ergebnisse als Buch publiziert wurden, blieben unerwähnt.
Die Autorin hat für ihre Studie rund 100 Interviews geführt und in privaten und öffentlichen Archiven recherchiert. Ihre kurzen Biographien der vielen engagierten Pädagogen und Pädagoginnen – zum Beispiel Manfred und Louise Papo, Daniel und Judith Zinner, Rosalia Steiner, Tirza Lemberger, Jakob Raizman –, die sie in ihrer empathischen Darstellung integriert hat, gehören zu den besonders lesenswerten Teilen dieses gelungenen und so lesenswerten Buches.