Ausgabe

Hey, that’s no way to say goodbye Zum 90. Geburtstag von Leonard Cohen

Michael Bittner

Die Kraft von Leonard Cohens Poesie wurde mir 1977 bewusst, in einer Kinovorstellung von Werner Herzogs Fata Morgana.

Inhalt

Es war schrecklich langweilig, aber als plötzlich die Gitarrenakkorde von So long, Marianne durch den Saal polterten, erwachte das Publikum, es wurde laut, meine Nachbarin umarmte mich – Liebe, das war die Botschaft damals, nicht Hass, wie es heute üblich ist. Zwar besass ich nie eine Schallplatte von Leonard Cohen, aber viele Texte konnte ich auswendig, heute noch kann ich Bird on the Wire, Famous Blue Raincoat oder The Partisan rezitieren – ein Beweis für ihre poetische Eingängigkeit.

 

Leonard Cohen, Jahrgang 1934, stammte aus einem Vor­ort von Montréal, Canada, seine Familie war begütert und prominent, Kohanim eben, die drei Generationen zuvor aus Litauen eingewandert waren. Die Vorstellung, auserwählt zu sein, begleitete ihn sein ganzes Leben, auch wenn er immer wieder vom orthodoxen Judentum abwich, sich als Christ, später als Buddhist gerierte, schliesslich kehrte er aber doch zur Religion der Väter zurück.1 Seine Berufung zur Musik entdeckte er spät: als Dichter und Romancier sah sich der junge Cohen, der 1966 mit Beautiful Losers einen Bestseller veröffentlichte. Damals lebte er auf der griechischen Insel Hydra zusammen mit Marianne Ihlen, der er mit So long, Marianne ein Denkmal setzte.2

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 Cohen und Marianne Ihlen. Foto ORF: https://oe1.orf.at/artikel/664653/Marianne-Leonard-Cohens-Langzeitliebe

 

Doch schon ein Jahr später, 1967, folgte seine erste von 17 Langspielplatten, Songs of Leonard Cohen. Er wandelte sich vom Poeten zum Folksänger, ein halbes Jahrhundert blieb er dabei. Seine Lieder sind musikalisch anspruchslos, doch bringen sie seine Persönlichkeit so überzeugend zur Geltung, dass sie viele Zuhörer verzaubern und positive Gefühle evozieren. Sein Erfolg war natürlich beim weiblichen (er war ein berüchtigter „Ladies‘ Man“), durchaus aber auch beim männlichen Publikum durchschlagend. Cohen galt als Prophet der „freien Liebe“, damals, in der goldenen Zeit vor Aids und den öden Moralaposteln von heute. Das Musikerleben, die Menschen im berühmten Chelsea Hotel, seine Liebesabenteuer mit Judy Collins, Joni Mitchell, Janis Joplin (Chelsea Hotel No. 2), und vielen anderen wurden zu seinem Lebensinhalt und zum Thema vieler Songs.3

 

Wikipedia4 meint, er habe keine gute Stimme gehabt, doch muss man dies im Zusammenhang der damaligen Musikszene sehen. Bob Dylan leierte und krächzte (für die Schallplattenaufnahmen liess man daher das Tonband schneller laufen), Mick Jagger krähte, manche „Stars“ brüllten, nuschelten, grummelten. Cohens Timbre klang angenehm tief und samtig, erinnerte ein wenig an einen weichgespülten Gerhard-Bronner-Bariton. Und welcher Pop-Sänger braucht kein Mikrofon, um sich gegen den Lärm durchzusetzen? Seine grosse, unerwiderte Liebe, Nico von Velvet Underground, sah fantastisch aus, hatte aber eine schwache Stimme und sang  falsch.5 

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Plattencover New Skin for the Old Ceremony. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/ff/New_skin_for_the_old_ceremony.jpg/800px-New_skin_for_the_old_ceremony.jpg

 

Immer wieder zog sich der Sänger aus dem Musikbusiness zurück, er litt an Skrupeln, ob seine Musik auch gut genug sei (das kann man heutigen „Popstars“ nur wünschen!) und wagte dann das Comeback, etwa im Jahr 1973, als ihn der Yom Kippur-Krieg dazu bewog, Konzerte für die israelischen Soldaten zu geben.6 Sein bekannter Song, Hallelujah, wurde 1984 veröffentlicht, er ist Allgemeingut geworden, sodass es viele Leute für ein altes Kirchenlied halten.7 Es rührt ans Herz, wir8 sangen es heuer zu Chanukka, 67 Leute, und es klang trotzdem gut und erzeugte Tränenfluss und feierliche Stimmung. Cohens Musik ist brauchbar, keine Gebrauchsmusik, aber sie erfüllt ihren jeweiligen Zweck.

 

In einer Schaffenspause lebte Cohen als Mönch in einem buddhistischen Kloster, doch bald machte er wieder Musikaufnahmen und Konzertauftritte. Er besann sich wieder auf die Poesie und brachte 2006 das Book of Longing bei Penguin heraus, Lyrik mit eigenen Illustrationen verbrämt.9 Mit 70 Jahren ging er in Rente, als seine Tochter plötzlich bemerkte, dass kein Geld mehr da war – eine Geliebte war mit seiner Altersvorsorge verschwunden. Also musste der getäuschte Altstar wieder Aufnahmen veröffentlichen und Konzerttourneen bestreiten, unvergesslich sind seine Konzerte in London (2008, 2013) und Dublin (2013, 2014), vielleicht die besten Darbietungen seiner Karriere. 

 

Sein finanzieller Verlust war ein grosser Gewinn für seine Fans, die Neuinterpretationen seiner alten Songs hören und eindrucksvolle Konzerte erleben konnten. Bei Liveaufnahmen extemporierte Cohen gern, änderte Textpassagen, dehnte die Tempi und trieb die Instrumentalisten zu Höchstleistungen an, etwa den Mandolinenspieler beim Partisan. Seine Stimme wurde brüchig, vom Leben gezeichnet, doch nicht minder eindrucksvoll und im Gegensatz zum alten Bob Dylan traf er zumeist den richtigen Ton.10

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Leonard Cohen 1988. Foto: Roland Godefroy - Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4609735

 

Doch es gab auch neue Kompositionen: Kurz vor seinem Tod erschien You want it darker, ein Schwanengesang mit Anklängen an den Talmud und auch direkten Zitaten, ein Abschied vom Leben, von der Musik: Hineni, hineni, I‘m ready my Lord.11 Auf dem Totenbett telefonierte er noch mit Marianne Ihlen, so schloss sich der Kreis seines Lebens. Er sagte „good bye“ am 7. November 2016 in Los Angeles.12 Cohens Sohn Adam brachte posthum ein Album mit neuen Songs seines Vaters heraus, der im Alter noch so produktiv gewesen war. Ausserdem veröffentlichte er ein Buch, das die späte Lyrik versammelt, tragische Zeugnisse des Altwerdens.13 Seinen Grabstein auf dem Friedhof Shaar Hashomayim in Mont­réal ziert das Emblem des Order of the Unified Hearts, das aus zwei Herzen gebildet ist und einem Davidstern ähnlich sieht.14 Cohen lebte gemäss dem Spruch: „Mit einer Frau, die du liebst, geniesse das Leben alle Tage deines Lebens.“15

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Leonard Cohen 2013. Foto: Takahiro Kyono - https://www.flickr.com/photos/75972766@N02/11967049316/sizes/o/in/photostream/, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=49338944

 

Anmerkungen

 

1 https://en.wikipedia.org/wiki/Leonard_Cohen abgerufen 26.01.2024

2 Vgl. die philosophische Analyse von Philipp W. Rosemann, Maynooth Philosophical Papers 2018, S. 15 ff

3 https://www.rollingstone.com/music/music-features/leonard-cohen-remembering-the-life-and-legacy-of-the-poet-of-brokenness-192994/ abgerufen 28.01.2024

4 https://de.wikipedia.org/wiki/Leonard_Cohen#Wechsel_zur_Musik abgerufen 19.01.2024. Sounds. Platten 66–77. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1979, S. 67

5 Z.B. https://www.youtube.com/watch?v=Xhbyj8pqUao abgerufen 26.01.2024

6 Vgl. das Buch „Wer durch Feuer“,  https://www.hentrichhentrich.de/buch-wer-durch-feuer.html abgerufen 16.01.2024

7 https://de.wikipedia.org/wiki/Hallelujah_(Leonard-Cohen-Lied) abgerufen 26.01.2024

8 Soproni Hitközség - Neologe Kultusgemeinde Ödenburg, Ungarn.

9 https://terebess.hu/zen/mesterek/coh.pdf abgerufen 30.01.2024.

10 https://www.britannica.com/biography/Leonard-Cohen abgerufen 26.01.2024.

11 https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/hier-bin-ich/ abgerufen 31.01.2024.

12 https://www.leonardcohenfiles.com/ abgerufen 28.01.2024.

13 The Flame: Poems Notebooks Lyrics Drawings, by Leonard Cohen. Farrar, Straus and Giroux, 2018.

14 erwendet auf dem Cover des „Book of Mercy“ von 1984 https://en.wikipedia.org/wiki/Book_of_Mercy abgerufen 30-01.2024.

15 Kohelet 9, 9. https://de.wikipedia.org/wiki/Leonard_Cohen abgerufen 28.01.2024.