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Die Judensavanne Südamerikas Über die älteste Zufluchtsstätte von Juden in der Neuen Welt und UNESCO-Weltkulturerbe

Edgar Seibel

Im südamerikanischen Staat Suriname finden sich noch heute die steinernen Zeugen seiner ersten jüdischen Flüchtlinge.

Inhalt

Am 19. September 2023 wurde diese einstige Zufluchtsstätte auf einer Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees in Riad (Saudi-Arabien), endlich auch in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. Die Jodensavanne, wie sie in der Amtssprache der Surinamer, Niederländisch, genannt wird, liegt nur etwa fünfzig Kilometer von der Hauptstadt Paramaribo entfernt. Eine Synagogenruine sowie jüdische Grabsteine zeugen noch von der bereits im 17. Jahrhundert entstandenen Siedlung sefardischer Juden, die auf der Flucht vor der spanischen Inquisition hier strandeten. Die im Jahr 1685 erbaute Synagoge mit dem Namen Beraha Veshalom (Segen und Frieden) in der Judensavanne gilt heute als die älteste in ganz Südamerika, dieser vorangegangen war noch eine hölzerne aus dem Jahr 1672. Damals trafen hier die ersten jüdischen Siedler ein. Sie spezialisierten sich bald auf den Zuckerrohranbau, auf Kolonialherren von Niederländisch-Brasilien, die ihnen einige verlockende Privilegien einräumten: Glaubensfreiheit und das Recht auf Landbesitz.

 

Im Jahr 1624 werden zum ersten Mal Juden in Brasilien dokumentiert, 1644 beschliessen die ersten, in geringerer Zahl nach Paramaribo zu ziehen. 1665 entstand offiziell die jüdische Gemeinde von Suriname. Etwa um das Jahr 1680 wird Isaac Neto als erster Rabbiner von Suriname erwähnt. Die Kolonialherren kamen und gingen, doch die als Judensavanne bekannte Siedlung blieb trotz alledem bestehen. In den Achziger Jahren des 17. Jahrhunderts blühte die Judensavanne auf, als ein jüdischer Herr namens Samuel Nassy die Rechte über die kleine Insel "Savanna" im Suriname-Fluss erhielt. Die gesamte jüdische Gemeinde um diese Insel herum betrug zum Ende des Jahrhunderts fast tausend Mitglieder, und Nassy galt als der mit Abstand wohlhabendste Plantagenbesitzer von ganz Suriname.

 

Immer wieder mussten sich die Juden vor Angriffen der Saramaccaner behaupten, einer Gruppe geflüchteter Sklaven aus Afrika. 1718 zerstören diese grosse Teile von Nassys Plantagen, wurden aber letztendlich von seinen Leuten gestellt. 1726 folgte ein erneuter, grossangelegter Angriff der Saramaccaner. Und als im Jahr 1738 ein Vertrauter von Samuel Nassy von ihnen ermordet wurde, setzte Nassy in Zusammenarbeit mit Isaac Arias, dem Ex-Officer der jüdischen Gemeinde, zu einem Gegenschlag an. Dokumentiert ist auch, dass Nassy an mehr als dreissig Gefechten gegen die geflüchteten Sklavenbanden teilgenommen hatte. Doch im Jahr 1750 fiel er, bereits 71-jährig, zusammen mit ganzen zweihundert seiner Männer in seinem letzten Gefecht gegen die ewigen Gegner.

 

Zum Ende des 18. Jahrhunderts wanderten die Juden fast vollständig in die Hauptstadt ab und schlossen sich meist den dortigen jüdischen Gemeinden an. Der Sklavenaufstand von 1832, der einen Grossbrand in der Jodensavanne zur Folge hatte, zwang dann auch die letzten Bewohner zur Abwanderung in andere Gebiete des Landes; zu jener Zeit sollen es nur etwa zehn bis zwanzig Seelen gewesen sein. Eine Art Wiedergeburt, allerdings in eher negativem Sinne, erlebte die Judensavanne in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Unter der Bezeichnung Kamp Jodensavanne wurde auf dem Boden der ehemals jüdischen Kolonie ein Internierungslager errichtet. Im Jahr 1942 wurden hier 164 Nazi-Sympathisanten der NSB (Nationaal-Socialistische Beweging) aus Niederländisch-Indien (heute Indonesien) sowie einige vermeintliche Mitglieder der NSDAP festgehalten. Ein bekannter Name unter den Internierten war der Nationalist und Politiker niederländisch-indonesischer Herkunft Ernest Douwes Dekker (1879-1950). Das Lager bestand bis 1946.

 

Heute liegt in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Judenkolonie, wo man neben der alten Synagogenruine auch ein paar jüdische Grabsteine mit hebräischer und portugiesischer Inschrift entdecken kann, das kleine Dorf Redi Doti mit seiner Bungalowsiedlung, die den Namen Jodensavanne River Resort trägt. Kürzlich hat eine Youtuberin, eine gewisse Claudia aus den Niederlanden, die Ortschaft für ihren Kanal Volgens Clau abgefilmt. Auch ein kurzer, älterer Videoclip von einer Besichtigungstour zur alten Synagoge ist auf Youtube unter Joden Savanne Suriname schnell zu finden, aufgenommen von Rabbi Jacques Cukierkorn, einem gebürtigen Brasilianer jüdischen Glaubens, der aber seit über zehn Jahren Rabbiner der Synagoge Temple Israel of Greater Kansas City in den U.S.A. ist.

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Abbildung 1: Überreste der Synagoge von Jodensavanne, 2006. Foto: Brokopondo at Dutch Wikipedia. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jodensavanne.jpg

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Abbildung 2: Verlassenes Internierungslager Kamp Jodensavanne 1947. Foto: Willem van de Pol. Rechte: Nationaal Archief, Collectie Van de Poll, 252-6453. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:De_voormalige_Jodensavanna_aan_de_Surinamerivier_in_Suriname,_Bestanddeelnr_252-6453.jpg