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PTBS* - Posttraumatische Belastungsstörung Ein potenzielles GAZA-Syndrom?

Roger Reiss

Inhalt

Nach achtmonatigem Krieg zwischen Gaza und Israel, der mit einem grossangelegten Terroranschlag am 7. Oktober 2023 begonnen hatte, konnte man in der israelischen Presse lesen, dass sich ein von den harten Kämpfen arg strapazierter Reservist kurz vor seinem vierten Einsatz das Leben genommen hatte. War diese für die Armee schwer ertragbare, nicht endende Belastungsprobe zu viel für ihn gewesen?

 

Rückblickend war Eliran Mizrahi, ein Reservist der israelischen Kampftruppe, eilends aufgeboten worden, mit seinem Jeep auf das Wüsten-Gelände Israels hinzufahren, wo sich – unterem freiem Himmel – hunderte von Festival-Teilnehmer zu einer Party getroffen hatten. Eine knapp gehaltene Depesche sprach von einem bewaffneten Überfall mit Dutzenden von Toten, die von hunderten von Gaza herkommenden Terroristen kaltblütig ermordet worden waren: Attentat im Gange. Mizrahi verstand sofort, dass er aufgefordert war, der lokalen Polizei beizustehen.

 

Was Mizrahi an Ort und Stelle zu Gesicht bekam, war furchterregend. Eine Gräuel-Szene. Festival-Teilnehmer, die vom Tatort mit ihrem Auto flüchten wollten, wurden auf offener Strasse niedergemetzelt. Für sie kam jegliche Hilfe zu spät. Schockiert vom Ausmass half Mizrahi dem herbeigeeilten Rettungsdienst, den unzähligen Verletzten ersten Schutz zu erteilen. Die Ärzte sprachen von einem unbeschreiblichen Pogrom.

 

Einige Wochen später wurde Mizrahi zwei weitere Male nach Gaza geschickt, bis er sechs Monate später, verletzt, in den Ausstand treten musste. Anfangs Juni wurde Mizrahi, der von einem Psychologen betreut wurde, mit einer chronischen «Posttraumatischen Belastungsstörung» diagnostiziert. Trotz dieses «Befunds» bekam er ein viertes Aufgebot, seine Panzer-Einheit im stark umkämpften Rafah aufzusuchen. Allem Anschein nach war er dieser unverhofften Aufforderung psychisch nicht (mehr) gewachsen. Die bestürzte Familie, allen voran seine Mutter, berichtete der Presse, dass Eliran bereits nach den ersten zwei schwierigen Einsätzen im Gaza viel Mühe bekundete, sich in das zivile Leben einzugliedern. Mit seiner Verzweiflungstat hinterliess er seine Gattin mit zwei Kindern.

 

ELIRAN MIZRAHI “The man gave his life to this country and our army”. Mit diesen Worten wurde Eliran Mizrahi am 7. Juni 2024 im Militär-Friedhof beisetzt.[1]

 

 

* PTBS

„Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zählt zu den psychischen Erkrankungen aus dem Kapitel der Belastungs- und somatoformen Störungen. Ihr gehen definitionsgemäss ein oder mehrere belastende Ereignisse von aussergewöhnlichem Umfang oder katastrophalem Ausmass (psychisches Trauma) voran. Dabei muss die Bedrohung nicht unbedingt unmittelbar die eigene Person betreffen, sondern kann auch bei anderen beobachtet und erlebt worden sein (zum Beispiel als Zeuge eines nachhaltigen Pogroms, gewalttätige Kriegsereignisse).

 

Die PTBS tritt in der Regel innerhalb eines halben Jahres nach dem traumatischen Ereignis auf und geht mit unterschiedlichen psychischen und psychosomatischen Symptomen einher. Häufig treten im Verlauf einer PTBS noch weitere Begleiterkrankungen (Komorbidität) und -beschwerden auf (in bis zu 90 % der Fälle). Oftmals kommt es – neben den typischen PTBS-Grundsymptomen einer vegetativen Übererregbarkeit und des Wiedererlebens traumatischer Erinnerungen (oder von Erinnerungsfragmenten), sogenannten Flashbacks – auch zu einem Gefühl von „emotionaler Taubheit“ (Numbing) und der Hilflosigkeit und zu einer Erschütterung des Ich- und Weltverständnisses durch das traumatische Erleben. (…)

 

Das allgemein gehaltene Kürzel PTBS verweist auf viele Kriegsgeschehnisse: Zur Zeit des Ersten Weltkriegs sprach man von der «bomb-shell disease»; PTBS-Patienten wurden damals als Kriegszitterer bezeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das sogenannte «KZ-Syndrom» bei Überlebenden der Shoah beschrieben. Obwohl die Symptome der PTBS bereits über 100 Jahre wissenschaftlich untersucht wurden, fand die Diagnose erstmals 1980 Eingang in das amerikanische Diagnose-Manual, das von der American Psychiatric Association  herausgegeben wird. Diese Entwicklung war massgeblich geprägt durch aus dem Vietnamkrieg heimkehrende amerikanische Soldaten und die Beschreibung des «Post Vietnam Syndrome».[2]

 

[1] Quelle: The Times of Israel, 10. Juni 2024.

[2] Quelle: Wikipedia.