Ausgabe

Leonard Cohen s.A. (1934–2016)

Thomas Varkonyi

Man muss nach vorne leben, aber das Leben verstehen kann man laut Kierkegaard nur im Rückblick. 

Inhalt

Einst hatte ich den Namen Leonard Cohen im Line-Up eines Festivals gesehen und beschlossen, mir diesen Herrn Cohen live anzusehen. Der Mann stand in der Nachmittagssonne unaufgeregt und souverän auf der Bühne, sang melancholisch und eindrücklich und schmunzelte über das eher desinteressierte Rock-Publikum, das manchmal sogar mit leeren Bechern warf. Das dürfte ihn nicht so beängstigt haben wie seine Erlebnisse in Frankreich in den 70er Jahren, als Maoisten keine Tickets kaufen wollten und, als sie keinen Einlass fanden, die Absperrungen durchbrachen und die Bühne mit Schusswaffen attackierten. „They’re tough critics, the Maoists,“ meinte Cohen dazu. Ich jedenfalls merkte mir seinen Namen endgültig und beschloss, mir irgendein Album zu kaufen, das erste, das mir im Laden für gebrauchte Tonträger in die Hände fiel. Das war I‘m Your Man, das Album, auf dem auch das Manhattan Lied enthalten war mit der ominösen Zeile im Refrain First we take Manhattan, then we take Berlin. Ich war stolz auf meine „Entdeckung“, denn in meinem Freundeskreis kannte diesen Musiker damals niemand. Das Album war gespickt mit Ohrwürmern und geistreichen Texten. In Tower of Song macht Cohen sich etwa über seine Stimme, die nicht den gängigen Erwartungen entspricht, lustig, wenn er singt: I was born like this, I had no choice, I was born with the gift of a golden voice. Im Song I‘m Your Man zählt er auf äusserst lehrreiche Weise allerlei Dinge auf, die er für eine Frau täte, da er ja ihr Mann sei. Nicht nur die Frau als solche, auch Wien hatte es Leonard Cohen angetan. Das Publikum sei in Berlin, so Cohen in einem Interview, “very, very different from a Viennese audience. A Berlin audience is very tough, very critical and sharp. It’s like the edge of a crystal. You’ve got to be very careful and in a certain sense you have to demonstrate the capacity to master your material, yourself, the audience. There’s a certain value placed on mastery. In Vienna, there’s a certain value placed on vulnerability. They like to
feel you struggling. They’re warm, compassionate.“
Trotzdem beginnt der Song Take this Waltz: „Now in Vienna there’s ten pretty women, there’s a shoulder where Death comes to cry.“ Leonard Cohen hat sie vermutlich kennengelernt. 

Leonard Cohen lebte sein Judentum aktiv und verwob es oft in seine Texte, auch seine Auftritte waren davon geprägt. 1973 unterstützte er im Yom Kippur Krieg spontan die israelischen Truppen inklusive Ariel Sharon musikalisch. 1976 spielte er bei der Besetzung der Arena in Wien Un as der Rebbe singt für das geneigte Publikum. Leonard Cohen erlebte immer wieder Revivals, auch, weil seine Songs in Filmen prominent vorkamen. In Natural Born Killers von Oliver Stone zum Beispiel The Future, in dem es heisst: I’m the little Jew who wrote the Bible. Aber auch I have seen the future, brother, it is murder. Eine Prophezeiung, die leider immer wieder wahr wird. Cohens Zukunft in den 2000er Jahren versprach auch nicht rosig zu werden, denn seine Managerin hatte sein Vermögen veruntreut. Cohens Pech war der Menschheit Glück: Er ging wieder auf ausgedehnte Tourneen, um Geld für seinen Lebensabend zu verdienen. Er, der eher ein Tour­neen-Muffel war, beglückte so ein Millionenpublikum, das kaum genug von ihm und seinem grossartigen Ensemble bekommen konnte. Der Countrysänger Kris Kristofferson meinte einmal, dass einst Leonard Cohens Zeile Like a bird on the wire Like a drunk in a midnight choir I have tried in my way to be free auf seinem Grabstein stehen soll. Ich denke, diese Idee übernehme ich ebenfalls.