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Ausgabe

Ich nenne mich heute mit Stolz einen Juden Zu Arnold Schönbergs Judentum

Karin Wagner

Geboren am 13. September 1874 in der Leopoldstadt und bestätigt über einen Eintrag der IKG Wien, wuchs Arnold Schönberg in einem liberalen, assimilierten Elternhaus auf. 

Inhalt

Arnold Schönbergs zweiter Vorname Abraham wurde bei der Beschneidung in Hebräisch hinzugefügt. Von dieser Herkunft aus nahmen Schönbergs religiöse und weltanschauliche Identifikationen verschiedene Positionen ein, ehe der Antisemitismus der 1920er Jahre und der Nationalsozialismus eine stringente Betonung des Judentums erwirkten. 

 

Der 25. März 1898 war ein markantes Datum: Schönberg konvertierte zum lutherischen Glauben, das Kirchenbuch der protestantischen Dorotheer-Gemeinde in Wien verzeichnet den neuen Taufnamen „Arnold Franz Walter Schönberg“. Anbindung an die Arbeiterchorbewegung, Sympathie für die Sozialdemokratie und Neigung zu deutschnationaler Gesinnung bestimmten Schönbergs Zeit in Wien, bevor er 1901 erstmals nach Berlin ging, wo er vermutlich mit der Philosophie des Individualanarchisten Max Stirner in Berührung kam. Ein Mäandern durch philosophische Positionen folgte: So waren etwa Schopenhauer, Nietzsche und Bergson von Interesse; Richard Dehmels Spiritualität der Diesseits-Zugewandtheit beeinflusste Schönbergs Werk, über den metaphysischen Gehalt der Lyrik Stefan Georges exponierte der Komponist ein neues Weltempfinden. Denkfiguren zu Theologie und Mystik verstärkten eine Religiosität, die auch von Honoré de Balzacs Erzählung Seraphita geprägt war. Unter dem Eindruck des in Seraphita beschworenen allumfassenden Raumes ohne Zeitenende schrieb Schönberg den Text zum Oratorium Die Jakobsleiter – Tod und Wiedergeburt bilden den Kern dieser Welt- und Nachweltanschauung. Am Particell war der Komponist bis in das Jahr 1922 beschäftigt. 

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Arnold Schönberg, ca. 1930. Foto: Alexander Bengsch. Quelle: Arnold Schönberg Center Wien, ASC-ID PH1377, mit freundlicher Genehmigung.

 

In diese Zeit hinein wirkte ein „Vorfall im Sommer 1921“ als „eine Art Initialzündung“ für Schönbergs Identitätsempfinden: Der Komponist war zur Sommerfrische in Mattsee im Salzburger Seenland, „nicht wissend, dass dieser Ort wegen seiner radikal antisemitischen Haltung seit langem berüchtigt war.“ Die Gemeindeverwaltung Mattsee verfolgte einen streng antisemitischen Kurs und wollte „judenfrei“ sein. Mit dem Gefühl, „unerwünscht, zurückgestossen und gehasst zu sein“, verliess Schönberg den Ort. Sensibilisiert durch das „Mattsee-Ereignis“ nahm Schönberg das Erstarken des Nationalsozialismus mit Erschütterung wahr, seine dringlich gewordene Auseinandersetzung mit der „Judenfrage“ fand den Weg auch in das Werk: Im Sprechdrama Der biblische Weg (1926/27) über Aspekte zur nationalen Identität des jüdischen Volks in Verschränkung mit dem Alten Testament und dem zeitaktuellen Zionismus, in der Oper Moses und Aron (1930–1932) mit Bezug zur Religion. 

 

Ab 1926 lebte Schönberg mit seiner zweiten Frau Gertrud (née Kolisch) in Berlin, im Mai 1932 wurde die Tochter Nuria in Barcelona geboren. Im Mai 1933 verliess die Familie Berlin in Richtung Paris, wo Schönberg am 24. Juli 1933 in der Union Libérale Israélite wieder der jüdischen Glaubensgemeinschaft beitrat. Noch aus Berlin hatte er am 23. September 1932 an Alban Berg geschrieben: 

„Ich weiss selbstverständlich ganz genau, wohin ich gehöre. Man hat es mir so laut und so lange in die Ohren gehämmert, dass ich hätte taub sein müssen, vorher schon, wenn ich es nicht hätte verstehen sollen. Und, dass es mir irgendein Bedauern abringt, ist längst vorbei. Ich nenne mich heute mit Stolz einen Juden; aber ich kenne die Schwierigkeiten, es wirklich zu sein.“ 

 

Am 25. Oktober 1933 verliessen die Schönbergs Frankreich, am 31. Oktober erreichten sie New York. Noch in Paris hatte Arnold Schönberg einen Aufruf zur Hilfeleistung für jüdische Menschen verfasst und mögliche Unterstützungs­szenarien beschrieben: Er dachte an einen „Propagandafeldzug“, geführt von einem wissenden und fähigen Mann – als diesen sah er sich selbst. Neueste Massenmedien und das Radio wollte er einsetzen, seine Reden auf Plattenaufnahmen und über Tonfilmaufnahmen vervielfältigen, journalistische Kräfte sollten die „Pressepropaganda“ stützen. Anfänglich sollten Jüdinnen und Juden in den Vereinigten Staaten die Zielpersonen dieser Mobilisierung sein, um sie „dazu zu bewegen, so viel Geldmittel aufzubringen, dass eine allmähliche Auswanderung der Juden aus Deutschland dadurch bezahlt werden könnte.“ 

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Arnold Schönberg, Albert Einstein und Leopold Godowsky bei einem Benefiz-Konzert des Council of Jewish Organizations for Settlement of German Jewish Children in Palestine, Carnegie Hall, New York, 1.4.1934. Foto: Clyde Fisher. Quelle: Arnold Schönberg Center Wien, ASC-ID PH1473, mit freundlicher Genehmigung.

 

Schönbergs politische Schriften zum Judentum fanden mit dem Essay Einsteins falsche Politik (1933) einen wichtigen Impuls und mit dem Four-Point Program for Jewry (1938) einen Höhepunkt. Albert Einsteins Pazifismus teilte Schönberg nicht, denn der Pazifismus würde von der anzustrebenden Freiheit und der intendierten jüdischen Einigkeit ablenken; vielmehr müssten beide Ziele erkämpft und verteidigt werden. Im Four-Point Program for Jewry konzentrierte Schönberg seine politischen Strategien: Der Kampf gegen den Antisemitismus müsste gestoppt werden, eine jüdische Einheitspartei müsste gegründet werden, innerjüdische Spaltungstendenzen müssten mit allen Mitteln unterbunden werden und ein unabhängiger jüdischer Staat müsste entstehen. 

 

Während Schönberg nach diesen Formulierungen politische Kommentare zur „jüdischen Frage“ weitgehend zurücknahm, blieb sein religiöses Bekenntnis über das Werk aufrecht. In Reaktion auf die Tragödie in Europa entstanden das Kol Nidre op. 39 (1938) und A Survivor from Warsaw op. 46 (1947). Tiefste Religiosität am Ende des Lebens vermitteln die drei Chorwerke op. 50: Dreimal tausend Jahre op. 50a (1949) basiert auf einem Text von Dagobert David Runes, der den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem und den Wunsch nach „G‘ttes Wiederkehr“ beschreibt. In der im Juli 1950 fertiggestellten Vertonung des hebräischen Psalms 130 „De Profundis“ op. 50b verdichtete Schönberg den Bezug zur Religion. Die letzte Komposition schliesslich basiert auf eigenen Texten, die zwischen 29. September 1950 und 3. Juli 1951 entstanden. Von diesen Modernen Psalmen vertonte Schönberg bis zu seinem Tod am 13. Juli 1951 nur den ersten und auch diesen nicht vollständig. Das Fragment blieb als Moderner Psalm op. 50c in 86 Takten erhalten. 

 

In der Hinwendung an den einzigen, allmächtigen und unvorstellbaren G‘tt benennen die insgesamt sechzehn Psalmen Schönbergs Religiosität über national-religiöse und allgemein religiöse Aspekte, über ethische Fragen und über das innige Erleben von G‘ttesnähe im Gebet. Der Tod erzwang das Ende an dieser Arbeit, mit Takt 86 verstummt die Musik. Genau hier wird vom Chor noch einmal eine zentrale Aussage aufgenommen: „Und trotzdem bete ich.“ 

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Arnold Schönberg, 1948. Foto: Richard Fish, Los Angeles. Quelle: Arnold Schönberg Center Wien, ASC-ID PH2683, mit freundlicher Genehmigung.

 

Nachlese

Karin Wagner: Euer Ani, Ini, Arnold Daddi.

Arnold Schönberg in Familienerinnerungen und Essays.

Wien: Czernin Verlag, 2024.

352 Seiten, Euro 28,00.-

ISBN-10: 3707608344, ISBN-13: 9783707608342