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Das Lager im Eisenbergeramt Die Nachkommen jüdische Zwangsarbeiter und ihre Erinnerungen

Robert Streibel

Esther Guthman und Vera Sternberg gehören zu den rund 30.000 Jüdinnen und Juden, die 1944 in die Ostmark deportiert wurden, um hier zu arbeiten.

Inhalt

Zwei ältere Damen sitzen in einem Zimmer in einem Altenwohnheim in Petach-Tikva. Die zwei Schwestern sind dunkel gekleidet, Ester Guthman hat eine Kette mit einem Medaillon als Schmuck angelegt, Vera Sternberg, einen halben Kopf kleiner mit einer kleinen silbernen Kette, wohnt im Zimmer daneben. Hinter Ester und Vera auf dem Fensterbrett steht ein kleiner Blumenstrauss. Wenn die Interviewer von Yad Vashem 2011 eine Frage stellen, falten sie die Hände, hören zu, um dann zu erzählen: von ihrer Heimat im ungarischen Debrecen, als sie in ein Lager kamen, vom Transport nach Westen. Sie wurden mit ihren Familien als „arbeitsfähig“ eingestuft, das hat sie vor der Vernichtung durch die Nazis gerettet. Beide Frauen sind inzwischen längst verstorben. Der Enkel von Vera, Eran Shternbeg, hat das Interview auf youtube gestellt, damit nichts verlorengeht und es nachgehört werden kann. Ester und Vera hatten die Geschichte ihren Familien bereits vorher erzählt, doch nie zuvor so detailliert. Beide berichten auf Hebräisch, aber nach einer Stunde und 28 Minuten erwähnen sie zwei Ortsnamen auf Deutsch: Strasshof und Eisenbergeramt, klar und deutlich. Esther Guthman und Vera Sternberg gehören zu den rund 30.000 Jüdinnen und Juden, die 1944 in die Ostmark deportiert wurden, um hier zu arbeiten. Die erste Station war das Lager in Strasshof, um dann ins Eisenbergeramt gebracht zu werden, einen kleinen Ort bei Gföhl in Niederösterreich.

 

Eran und seine Geschwister wollten immer die beiden Orte in Österreich besuchen, die ihre Grossmutter so klar und eindeutig im Interview markiert hatte. Die Existenz eines derartigen Lagers schien in den Akten aber nicht auf. Über den Verein Arbeitsgruppe Strasshof, der die Geschichte des Durchgangslagers Strasshof dokumentiert, kamen sie in Kontakt mit Bernhard Blank, der sich an den Verfasser wandte: „Haben Sie schon einmal von einem Lager für jüdische Zwangsarbeiter im Eisenbergeramt gehört?“ Das Lager für die 1944 aus Ungarn Deportierten in Dross hatte ich schon 1997 erforscht und Interviews mit Überlebenden in Israel und den U.S.A. geführt. In Kooperation mit den Bundesforsten gibt es in Dross eine Gedenktafel und auch einen Wanderweg, der an die Geschichte dieser Juden erinnert. Die Berichte des Landesrates über den Einsatz der Juden sind kurz und auch von Angst diktiert, nach dem Motto: Wir haben alles getan, um die Juden aus unserer Heimat zu vertreiben und jetzt kommen sie wieder.

 

Einen Vormittag lang telefoniere ich mit Personen in der Umgebung von Eisenbergeramt und Jaidhof und bekomme einen Kontakt zu Karl Enzinger. Er freut sich, als ich ihn nach der Vergangenheit frage, und dass sich überhaupt jemand für die Geschichte interessiert. So einfach ist es, der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Wer wissen will, was war, und Fragen stellt, der kann auch nach fast 80 Jahren noch die Hinweise der NS-Verbrechen entdecken. Einer, der sich erinnert und den Ort des Lagers kennt, ist der 95-jährige Landwirt Karl Enzinger: „Ja das war bei der Augusta Mühle, ich kann Sie gerne hinfahren.“

 

Wie die Gruppe in Dross stammte auch die Familie von Deborah/Vera und Esther aus Debrecen, von wo sie deportiert und nach Strasshof gebracht wurden. In den Interviews und Gesprächen in der Familie hat Vera immer davon gesprochen, dass ein Aufseher von den Deutschen erschossen worden sei, weil er die Gefangenen zu gut behandelt habe. Wird sich diese Geschichte bestätigen lassen? Ein Ziel der Reise von Eran, Roi und Edit ist es auch, diesen Aufseher zu finden und der Familie zu danken.

 

Die Fahrt zur Augusta Mühl ist mehr als abenteuerlich. Karl Enzinger fährt mit seinem Auto voraus und meint nur lakonisch, wir müssen ein Mal durch den Bach fahren. Insgesamt furten wir vier Mal, bis wir am Ort des Geschehens angelangt sind. Von der Augusta-Mühle stehen heute nur mehr wenige Mauern, doch dort, mitten im Wald, waren die Zwangsarbeiter interniert. Die alten Frauen, Männer und auch Kinder mussten Bäume fällen und in der Baumschule arbeiten. Als wir den Platz bei der Augusta-Mühle erreichen, fühlen wir uns am Ende der Welt – trotzdem funktioniert hier sogar das Internet und Eran Shterenberg spielt uns jene Passage des Video-Interviews vor, in der Deborah/Vera und Esther vom Eisenbergeramt erzählen, von den Forstarbeiten, davon, dass die Kinder sich selbst überlassen waren und Gras assen und manche auch von giftigen Beeren kosteten. Bäume wurden gefällt, die Äste entfernt und die Stämme auf ein Meter lange Stücke zurrechtgeschnitten; Lali, der Jüngste, war gerade zehn Jahre alt. „Wie wir das geschafft haben“, ist ihr bis zu ihrem Tod schleierhaft, „that remains locked in mystery“. Geschlafen wurde auf dem Boden, der mit Stroh bedeckt war. Vera erwähnt 67 Personen in einem Raum. Aufgrund der hygienischen Bedingungen und des Vitaminmangels haben die Kinder mehr Schorf als Haare am Kopf. Nur von einigen Überlebenden sind die Erinnerungen erhalten geblieben, und in Österreich bislang unbekannt.

 

Chaim Schonfeld, der Lali gerufen wurde, erzählt:
„Wir wurden in ein kleines Dorf namens Eisenbergeramt gebracht. Hier blieben wir ein paar Monate vor Ort. Die Erwachsenen mussten arbeiten. Meine 15-jährige Schwester Vera fällte Bäume in einem Wald. Wir Kinder blieben im Haus. Wir waren etwa 60 Juden. Dort befanden sich auch einige russische Kriegsgefangene, die ebenfalls für die Deutschen arbeiteten.“

 

Eve Suranyi berichtet:
„Eine Gruppe von etwa 60 Leuten ging zum Eisenbergeramt, da war dieser riesige Raum, in dem sie alle auf dem Stroh schliefen. Meine Cousine Vera musste im Wald Bäume fällen, mein Bruder trug Wasser, wir waren so hungrig, dass wir Gras assen. Wir hatten unsere eigene Kleidung und einen Rucksack, um unsere eigenen Sachen zu transportieren. Ich erinnere mich, dass an diesem Ort einige russische Gefangene waren, die etwas mehr Essen bekamen. Irgendwann gab mir ein russischer Soldat eine Scheibe Brot.“

 

Auch unter diesen Bedingungen wurde der Schabbat gefeiert. „Meine Mutter zündete Kerzen an, meine Tante Sara war sehr religiös und betete regelmässig“, berichtet Eve.

Die Grossmutter von Eran, Roi und Edit hatte immer auch von einem Aufseher gesprochen, der sie sehr menschlich behandelt habe und hatten gehört, dass er von den Nazis erschossen worden sei. In Ulreichsberg hat Eve Suranyi einen Bauern in guter Erinnerung:

„Dieser Bauer war kein wirklich schlechter Mensch, tatsächlich erinnere ich mich an eine Zeit, als er alle Kinder versammelte und uns Brot mit Honig gab. Als ich krank war, rief er sogar den Arzt. Er war nicht so schrecklich wie die meisten von ihnen.“

In Israel angelangt recherchiert Eran Shternberg weiter und findet die Nachkommen von Nathan Goldstein, der ebenfalls im Eisenbergeramt Waldarbeiten verrichten musste. Er hat für seine Familie seine Geschichte festgehalten. Eindringlich schildert er die Ankunft in Strasshof:

„Das Lager Strasshof wurde in der Nähe einer österreichischen Kleinstadt etwa 20 km östlich von Wien mit dem gleichen Namen errichtet. Bereits zu Beginn des Krieges wurde das Gelände des Lagers hergerichtet und darin Barackenreihen errichtet innerhalb eines gut umzäunten Geländes. Das Lager und die Baracken dienten während der gesamten Kriegsjahre als Aufenthaltsort für Arbeitshäftlinge sowie ukrainische und russische Kriegsgefangene. Im Juni 1944 nutzten die Deutschen es zur Aufnahme und Sortierung der „3.300 Passagiere wurden unter Rufen und Flüchen deutscher Wachen mit Langlaufgewehren aus dem Zug geholt, in dem die Familie Goldstein unterwegs war. Die meisten von ihnen litten unter Schwellungen in den Beinen, weil sie längere Zeit gestanden und gesessen hatten und ihren Wohnwagennachbarn auf die Füsse getreten waren. Alle waren durstig und hungrig, erschöpft und schwach, das endlose Rattern der Wagenräder trieb sie in den Wahnsinn. Unter denen, die lebend untergingen, befanden sich auch die Leichen von Hunderten von Passagieren, die die Reise nicht überlebten, deren Körper dem Leid nicht standhalten konnten und derer, die ihre Seele verloren.“

 

Da ganze Familien deportiert wurden, gab es die Voraussetzung der Deutschen, dass, nur wenn die Hälfte der Familie zur Arbeit zu verwenden wäre, sie zusammenbleiben konnten. Als am nächsten Tag die Sortierung der Arbeitskräfte erfolgte, kam die Familie Goldstein in die Gruppe zu den Familien. Der Mutter gefiel das nicht, obwohl sie nicht genau wusste, was das zu bedeuten hatte. Sie setzte alles daran, die Familie in die andere Gruppe zu bugsieren. Am nächsten Tag, nach der Registrierung, der Abnahme der Fingerabdrücke, den Fotos und der Desinfektion kamen alle auf den Bahnsteig, dort warteten zwei Züge. Der eine Zug fuhr zum Arbeitseinsatz, der andere Zug in ein unbekanntes Schicksal Richtung Gaskammern. Die Untersuchung am Bahnsteig dauerte nur jeweils einen Augenblick. Ein Blick genügte, um zu entscheiden, wer für ihren Zweck relevant war und wer nicht. Die Mutter von Nathan Goldstein befahl ihren Kindern auf Jiddisch, ihre Brust aufzublähen und sich so ein gesundes und robustes Aussehen zu verleihen. Sie taten, was sie sagte. Natan spannte seine Handmuskeln, zeigte es dem Beamten und sagte auf Jiddisch und Deutsch: „Ich kann arbeiten.“

 

So fuhr die Familie Goldstein nach Krems und weiter nach Eisenbergeramt. Die Gruppe wurde in Baracken untergebracht, die für die folgenden Wochen als Wohnsitz dienten. Sie schliefen auf Strohhaufen und assen dürftige und rationierte Nahrungsportionen, und um ihre Nahrung aufzubessern, gingen sie in den nahegelegenen Wald, um Pilze zu sammeln. Eine der Mütter war verantwortlich, das Essen zuzubereiten, sie kochte die Pilze in einem provisorischen Ofen, der mit Holzspänen beschickt wurde. Nach einigen Wochen wurde die Gruppe von Nathan Goldstein in den zehn Kilometer entfernten Ort Mittelbergamt und danach nach Hofstetten, Grünau an der Pielach verlegt, wo sie die Befreiung erlebte.

 

An die jüdischen Zwangsarbeiter aus Ungarn erinnert in Eisenbergeramt nichts. Dafür gibt es aber ein anderes Denkmal, auf das uns der Landwirt Karl Enzinger aufmerksam macht: Während des Zweiten Weltkrieges war das Schloss Jaidhof vom Reichsforst übernommen und durch die NSDAP besetzt gewesen. Nach 1945 hat Wolfgang Gutmann die Güter zurückbekommen. Im Jahr 1964 hat er kurz vor seinem Tod einen Rehbock geschossen. Für diesen Rehbock gibt es sogar ein gemauertes Marterl: Nur der Rehbock hat ein Denkmal. Doch wer weiss – vielleicht wird sich das noch ändern.

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Eran, Roi und Edit in Eisenbergeramt. Foto: R. Streibel, mit freundlicher Genehmigung.