Ausgabe

Die Neue Welle Des Antisemitismus

Michael Bittner

Ein unrunder Geburtstag im höheren Alter bietet Gelegenheit, sich über den Fortgang der Zeitläufte Gedanken zu machen.

Inhalt

Wie war das früher mit den Preisen? Mit der Symbolkraft der Mode? Mit der Jugend? Was gab es damals statt Plastik? Was machen die mobilen Scherenschleifer von ehedem heute? Gab es damals keinen Klimawandel (als Religionsersatz) und warum nicht? Vor 2016 gab es vor allem das Wetter. Und der Antisemitismus? Wo ich hinsehe, wird er thematisiert, bei Arte TV beispielsweise gibt es eine ganze Serie darüber1, ungezählte Druckwerke sind erschienen2, Medien palavern, Politiker schneiden traurige Gesichter, so häufig wie nie zuvor, es gibt gar eine Webseite „antisemitismus.gv.at“. Alles ändert sich, aber der Antisemitismus bleibt, ein treuer Begleiter.

 

Ich wurde als Zehnjähriger Opfer einer antisemitischen Attacke, 1968, in der Steiermark, aber damals gab es in Österreich offiziell keinen Antisemitismus, er war ja seit 1945 verpönt, wenn nicht verboten, so er als Wiederbetätigung entlarvt hätte werden können. Der Antisemitismus war da, aber keiner redete darüber.

 

Die Historiker wissen, dass es Antijudaismus seit der Antike gab, Kaiser Caligula versteckte sich vor den alexandrinischen Juden hinter einem Vorhang.3 Von den Gewaltorgien des Mittelalters, den Hostienwundern und verschwundenen Christenknaben, der Wiener Gesera, ganz zu schweigen, von der berüchtigten Margarita Teresa, die ihre Fehlgeburten nicht der Inzucht, sondern den Juden zuschrieb, ebenso.  Maria Theresia konnte die Freundschaft ihres älteren Sohnes mit Joseph von Sonnenfels nicht verstehen, erst die Aufklärung revidierte das tradierte Bild von den „G'ttesmördern“, auch das Judentum trug mit der Haskala zur Verständigung bei.

Wann kam der Rückfall von der Aufklärung in die „Bestialität“ (Grillparzer)? Mein Fremdwörterbuch aus dem Jahre 1903 (mit über 100.000 Worterklärungen) kennt den Begriff  Antisemitismus noch nicht, er müsste zwischen „Antiscripturismus“ und „Antiseptika“ stehen.4 Der Brockhaus von 1925 dagegen listet ihn schon, der Antisemit ist ein „Gegner der Juden aus Rassegründen.“ Es gäbe den Antisemitismus seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, besonders erwähnt wird die Christlichsoziale Partei in Österreich.5 Karl Lueger wird heute wegen seines Antisemitismus von den gleichen Linken verteufelt, die lauthals „Genozid in Gaza“ brüllen. Und der jüdische Nachbar von Houston Stewart Chamberlain, Dr. Victor Adler, von den Deutschnationalen verschmäht, vereinte 1888 die Sozialdemokratie, weil ihn keine andere Partei mehr wollte.6

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Aus einem belgischen Schulbuch 2018 – Yediot Acharonot. Mit freundlicher Genehmigung: M. Bittner.

 

Nach dem Ersten Weltkrieg spielten Juden in der Kultur des neuen Österreich eine dominierende Rolle, doch der Antisemitismus trieb weiter sein Unwesen, Wahlen wurden durch antisemitische Hetzpropaganda gewonnen.7 Das Jahr 1923, als der Österreichische Alpenverein die jüdischen Mitglieder ausschloss8, markiert, dass die Abwertung der Juden nicht nur in der Politik, sondern auch im täglichen Leben tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Der latente Antisemitismus brauchte durch die NSDAP nur weiter angefacht und in ungeahnte Höhen getrieben zu werden: als Staatsdoktrin, als Vorwand für die Vernichtung der europäischen Juden. Nach 1945 war er nur kurz weg – man denke an das Diktum des „in die Länge Ziehens“ des SPÖ-Ministers Helmer9, schwoll dann wieder stärker an (Affäre Borodajkewicz), kam in der Kreisky-Zeit wieder hoch (Judenwitze statt jüdischer Witze10), liess wieder nach (Vranitzkys Entschuldigung) und dank der klugen Migrationspolitik der letzten Jahre trat er wieder ganz massiv in den Vordergrund. Denn viele Menschen des Nahen Ostens – gerade aus bildungsfernen Schichten– vom Iran bis zur Türkei haben kein Unrechtsbewusstsein, wenn sie Juden den Tod wünschen.

 

Dabei ist es auffällig, dass, je mehr gegen den Antisemitismus in Politikerreden und Medien gewettert wird, er immer alltäglicher geworden ist. Früher trat er oft unterschwellig auf, heute sagen ganz offen 20 Prozent der befragten 16- bis 25-Jährigen, dass sie nicht neben Juden wohnen wollten.11 

 

Das Problem wie gehabt durch „Bildung“ beheben zu wollen ist absolut sinnlos, einmal innervierte Haltungen lassen die berührendsten Filme, die eindrucksvollsten KZ-Besuche und die bemühtesten Pädagogen einfach abprallen, auch die neue ministerielle „App“12 wird der übliche, teure Schlag ins Wasser sein. Das Vorurteil sitzt tief – sollte man es vielleicht nicht ständig thematisieren, um ihm nicht allzu grosse Bedeutung zu geben? Die Veröffentlichung statistischer Anstiege antisemitischer Übergriffe, die sich grossteils als Facebook-Faxen herausstellen, bringt wohl manche Jugendliche auf schlechte Ideen.13

 

Den bisherigen Höhepunkt des Antisemitismus bildete der Terrorüberfall des 7. Oktober 2023. Überall in der westlichen Welt fielen plötzlich die Masken bei Linken und ­Grünen, die sonst so politisch korrekt sein wollen, der Antisemitismus brach explosionsartig durch und verführte diverse Medien, das Massaker als gut und gerechtfertigt, als Akt des „Antikolonialismus“ hinzustellen. Die „digitalen Hasskulturen“14, die sich in den letzten Jahren im Internet gebildet haben, wirkten als Brandbeschleuniger. Das ging bis hinüber zu ­Antonio Guterres und stellte ihn als das bloss, was er ist. Wir werden sehen, wie die linken Meinungsmacher uns weis­machen wollen, wie man gleichzeitig gegen Israel und aber nicht antisemitisch sein kann. Ein Dilemma für österreichische und deutsche Bezahlsender, deren tendenziöse Berichterstattung in den letzten Jahren immer dreister geworden ist.15

 

Wird der Antisemitismus jemals enden? Nein, nichts endet so einfach, solange kein absoluter Kulturbruch geschieht. Beispielsweise gibt es kaum noch jemanden, der sich als Hunne oder Aware definiert, aber als Ungar schon. Nicht die hundert Jahre Abstand bei der Invasion dieser Reitervölker machen den Unterschied, sondern die Kontinuität – die Ungarn blieben und begründeten eine Tradition ebenso wie die Bayern und die Sachsen – die Markomannen gingen ebenso wie die Gepiden, die Jazygen oder die Cherusker und wurden vergessen. Und Juden gibt es auch noch. Also auf 2.000 Jahre weiteren Antisemitismus? Am Israel chai!

 

 

Anmerkungen

1 https://www.arte.tv/de/videos/RC-017590/eine-geschichte-des-antisemitismus/ leider nur bis 15.08.2024.

2 Siehe die Buchbesprechung „Antisemitismus und Rassismus“ aus dem Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, 2024.

3 Vgl. Benedikt Brkic, Caligulas Personenkult und der Konflikt de Kaisers mit den Juden von Alexandria und Judäa. Die Sichtweise des Philon von Alexandrien. GRIN-Verlag 2016.

4 Heyse, Johann Christian August: Fremdwörterbuch, 14. Auflage Leipzig 1903, S. 61.

5 Brockhaus F. A: Handbuch des Wissens, Band 1 (A-E), 6. Auflage Leipzig 1925, S.96.

6 Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Österreichische Geschichte 1804-1914, Wien 1997, S. 494.

7 https://renner-institut.at/blog/der-oesterreichische-antisemitismus, broschüre zum Download; abgerufen 04.08.2024.

8 https://www.alpenverein.at/portal_wAssets/docs/museum-kultur/Archiv-Dokumente/Archiv-Dokumente-Texte/Achrainer-Antisemitismus-im-Alpenverein.pdf abgerufen 26.07.2024.

9 Vgl. die Diplomarbeit von Katharina Mahringer https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/download/pdf/463173?originalFilename=true abgerufen 09.08.2024.

10 Warum ist Kreisky so traurig, dass Karl Farkas gestorben ist? Weil er jetzt der schiachste Jud von Wien ist. „Witz“ von 1971.

11 https://www.derstandard.at/story/3000000227323/ein-fuenftel-aller-jungen-maenner-wuerde-es-stoeren-juden-als-nachbarn-zu-haben (Daten von 2022), abgerufen 04.08.2024.

12 App „Iwalk“ www.bmbwf.gv.at, abgerufen 16.08.2024.

13 https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/rias-antisemitische-vorfaelle-ostdeutschland-100.html#:~:text=Neuer%20Abschnitt&text=Seit%20dem%207.%20Oktober%20bis,statistisch%20sieben%20am%20Tag%20gewesen. Abgerufen 04.08.2022.

14 Bharath Ghanesh, The Ungovernability of Digital Hate Culture. Journal of International Affairs 2, 2018, S. 30-49.

15 https://www.juedische-allgemeine.de/meinung/die-verantwortung-der-oeffentlich-rechtlichen/ ; https://www.krone.at/3313983 abgerufen 04.08.2024.