Arno Tausch
Stanisław Grzesiuk. Fünf Jahre KZ
Übersetzt aus dem Polnischen von Antje Ritter-Miller
(= Mauthausen-Erinnerungen. Schriftenreihe der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Band 4. Hg. v. KZ-Gedenkstätte Mauthausen)
1. Auflage 2020
480 S., Paperback, Euro 29,90.-
ISBN: 978-3-7003-2167-5
Der ambitionierte in Wien und Hamburg angesiedelte Verlag New Academic Press, der unter anderem den an internationalen Bibliotheken gut vorhandenen Titel Modern Antisemitisms in the Peripheries. Europe and its Colonies 1880-1945 (Cârstocea, Raul und Kovács, Éva; Herausgeber, Beiträge zur Holocaustforschung des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien (VWI); Band 6) publizierte, hat mit dem vorliegenden Band einen wichtigen, wenn auch wirklich schwierig zu lesenden Beitrag zur internationalen Literatur über die Gräuel der nationalsozialistischen Konzentrationslager vorgelegt. Die Übersetzerin Antje Ritter-Miller sagte dazu im ORF:
„Für mich ist es so, dass Grzesiuks Humor einem beim Lesen die Annahme der beschriebenen Gräueltaten erleichtert.“ Es gebe nur eine Stelle, über die Ritter-Miller schwer hinwegkomme: „Als er in Gusen bereits eine feste, bessere Position hatte und Mittel, um sich alles zu beschaffen, beschreibt er, wie er sich da ein Armband für seine Häftlingsnummer aus Menschenknochen anfertigen liess.“
Der als polnischer Katholik geborene Stanisław Grzesiuk (6.05.1918—21.01.1963) wuchs, wie der polnische Kulturjournalist Janusz R. Kowalczyk1 hervorhob, in Warschau-Czerniaków auf, nicht weit vom Königsschloss in Wilanów, aber einem Stadtteil, in dem damals vor allem die Armen und Ausgegrenzten Warschaus leben. In den Warschauer Hinterhöfen war Grzesiuk berüchtigt für seine „Kopfstösse“, mit denen er jede Schlägerei gewann. Die Regeln wurden, so erinnerte sich Grzesiuk, hier von einer Bande kleiner Ganoven und örtlicher Hooligans aufgestellt, die ständig mit dem Gesetz in Konflikt gerieten.
„Ein anderer ehrlicher Mann verletzte seinen Gegner bei einer Schlägerei, und wieder blieb ihm das Leben eines Geächteten, ohne die Möglichkeit einer festen Anstellung. Dies war der Grund für den Grundsatz: „Du darfst nicht petzen.“ (Grzesiuk, Autobiographie Boso, ale w ostrogach).
Grzesiuk arbeitete dann in einer Fabrik und besuchte gleichzeitig Abendkurse, um Elektromechaniker zu werden. In der Fabrik kam er zum ersten Mal mit linker Ideologie in Berührung. Er begann zu glauben, dass die damalige Gesellschaftsordnung Menschen, die der Armut entkommen wollten, immer abwerten würde. Der Tod und die Beerdigung seines Vaters waren ein Wendepunkt für Stanisław Grzesiuk. Der Pfarrer verbot bei der Beerdigung die roten Fahnen. „Sie müssen sich entscheiden, wer bei der Beerdigung dabei sein soll: der Pfarrer oder die Fahnen.“
Grzesiuk entschied sich für die roten Fahnen. In den ersten Septembertagen 1939 verliess Grzesiuk, so Kowalczyk, mit einer Gruppe von Freunden Warschau, um sich der polnischen Armee anzuschliessen. Nach der Kapitulation der Stadt kehrte er nach Hause zurück. Er kündigte seine Stelle in einer von den Deutschen übernommenen Fabrik und lebte von Plünderungen und dem Handel mit Beute aus Einbrüchen in Fabriken, die von der Besatzungsmacht geführt wurden. Er beteiligte sich am Kampf gegen den Feind in den neu gegründeten polnischen Untergrundstreitkräften. Die Gestapo suchte ihn wegen Waffenbesitzes, wahrscheinlich als Folge einer Denunziation.
Bei einer Razzia verhaftet, wurde er zur Zwangsarbeit nach Deutschland in die Nähe von Koblenz geschickt. Von dort kam er ins Konzentrationslager Dachau, weil er einen deutschen Bauern verprügelt hatte und von dessen Hof geflohen war. Die Schilderung der schrecklichen Jahre in den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Gusen bis zur Befreiung am 5. Mai 1945 bilden den Stoff für seine Erinnerungen.
Im Nachkriegspolen wurde er ein legendärer Musiker. Grzesiuks Buch Fünf Jahre KZ erschien 1958 in zensierter Fassung auf Polnisch. Für die nun erstmals vorliegende deutsche Ausgabe wurde, so der Verlag, die ursprüngliche Fassung des Autors übersetzt, die Kürzungen der Erstausgabe wurden sichtbar gemacht.
Grzesiuk war 22 Jahre alt, als er ins Konzentrationslager deportiert wurde. Seine Erinnerungen schrieb er 1958 in einem Sanatorium auf, in dem er wegen seiner Tuberkulose war. Er beschreibt detailliert den Lageralltag und bezeugt entsetzlichste Folterungen und Morde durch die SS. In Würdigung der Erinnerungen Grzesiuks sagte der Historiker Gregor Holzinger (KZ-Gedenkstätte Mauthausen):
„Im Jahr 1958 war es im Grunde skandalös, wie er auf Homosexualität im Lager eingeht und sich selbst auch nicht ausnimmt, obwohl er selbst einem heteronormativem, eher homophoben Milieu entstammt.“
Noch als Grzesiuk im Krankenhaus lag und mit Hilfe einer Sauerstoffflasche atmete, riss er Witze. 1963 starb er mit nur 44 Jahren – an den Folgen jener Lungentuberkulose, mit der er sich im KZ angesteckt hatte. Der Autor sagte über sein Werk:
„Ich bin mir darüber im Klaren, dass das keine Literatur im engsten Sinne dieses Wortes ist. Ich habe die Wahrheit gezeigt, die brutale, ehrliche und ungenierte, das Leben im KZ verbildlichende Wahrheit. So war es.“