Christoph Tepperberg
Ilse Krumpöck: Anton Ohme, der Söldling Schönerers
Eigenverlag, Zwettl 2021
239 S., 56 SW-Abb., Hardcover mit Schutzfolie
ISBN-13 978-3-902923-69-1
Bestellungen unter Tel. 0699 122 22 561
oder ilse.krumpoeck@gmx.at
Mag. Dr. Ilse Krumpöck, Landstrasse 16 /1 A-3910 Zwettl
Ilse Krumpöck führt uns in ihrem Buch in die Welt des
radikalen deutsch-völkischen Milieus Böhmens und Niederösterreichs
des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dabei fällt
die grotesk-übertriebene deutschtümelnde Sprache auf, die
sich zum Beispiel von der Intonation deutsch-fühlender jüdischer
Intellektueller in gröbster Weise abhebt. Das würde
heute bloss skurril und lächerlich anmuten, hätte dieses Milieu
der Halbgebildeten mit ihrer Diktion nicht den NS-Jargon
und in letzter Konsequenz den Holocaust vorweggenommen.
Anton Ohme (1848–1908) wurde im nordböhmischen St.
Georgenthal (Jiřetín pod Jedlovohu, Tschechien) geboren. Als
Jüngling verdingte er sich als Fabriksarbeiter in Lobositz
(tschech. Lovosice) und Welhotta bei Trautenau (tschech.
Lhota u Trutnova). Er hatte ein selbstbewusstes Auftreten,
sprach überzeugend vor Publikum, wusste sich durch politische
Agitation bei der deutschsprachigen Landbevölkerung
in Szene zu setzen. Ohme war ein Multitalent, beeindruckte
als Redner, Unterhalter, Sänger und Turner, versuchte sich
gar als Poet, hielt polemische, antislawische Reden, sah sich
alsbald als Arbeiterführer im Dienste des Deutschtums (S.
17-59).
Zwei Personen waren bestimmend für Leben und Karriere
des Anton Ohme. Der eine war Friedrich Ludwig Jahn
(1778–1852), bekannt als „Turnvater Jahn“, Begründer der
antisemitischen Deutschen Turnbewegung. Der andere war
Georg Ritter von Schönerer (1842–1921), Grundherr auf
Schloss Rosenau im niederösterreichischen Waldviertel, charismatischer
und fanatischer „Führer“ der Alldeutschen Vereinigung,
polternder Abgeordneter im Wiener Reichsrat. Dieser
erbitterte Feind des Habsburger Vielvölkerstaates wusste
durch Antisemitismus, Antislawismus, Antiklerikalismus und
Aufruf zum Anschluss an das neue Deutsche Kaiserreich zu
provozieren. Der junge Adolf Hitler (1889–1945) sah in ihm
eines seiner grossen Vorbilder.
Die Literatur über den adligen Rabauken füllt ganze Bibliotheken.
Weniger bekannt sind Schönerers Vasallen. Der
bedingungsloseste unter ihnen war Anton Ohme, besessen
von dem Gedanken, seinem Idol zu imponieren (S. 10-16).
1883 hatte er im Wiener Sacher seinen ersten Auftritt zu Ehren
Schönerers. Dieser dürfte von Ohmes pathetischer Lobeshymne
so tief beeindruckt gewesen sein, dass er den
Arbeiter aus Welhotta in seine Dienste nahm. Es war eine
Mischung aus anbetender Verehrung und materiellen Eigeninteressen,
die den Deutschböhmen antrieb. 1885 holte ihn
Schönerer nach Zwettl ins Waldviertel, wo er in unmittelbarer
Nähe seines Brotherrn, von diesem versorgt mit einem
Wohnhaus, seine Wirkung entfaltete (S. 60-86).
Der Söldling durfte seinen Gönner zu Versammlungen
begleiten, ihn bisweilen auch vertreten. Besonders diente er
durch seine Aktivitäten im Zwettler Turnverein, der unter dem
Protektorat Schönerers stand und dem Ohme seit Gründung
1886 in leitender Funktion angehörte. Ohme, selbst ein guter
und preisgekrönter Turner, verbreitete in feurigen, an seine
„Stammesgenossen im Waldviertel“ gerichteten Aufrufen den
Turnergedanken, verbundenen mit dem der deutschen
Sprachreinigung „zur Pflege der körperlichen Kräfte und zur
Hebung des deutschen Sinnes“. Wie bei den Deutschen Burschenschaften
galt zum Ausschluss von Juden auch im völkischen
Turner-Milieu der Arierparagraph. Folglich setzte sich
Ohme in einer hetzerischen Flugschrift „dem jüdischen Einflusse
scharf“ entgegen (S. 102). Zugleich bezeichneten ihn
Gesinnungsgenossen als „den neuen Stern am völkischen
Dichterhimmel“ ihres „Helden- und Denker-Volkes“ (S. 96).
1888 drang Georg von Schönerer mit zahlreichen betrunkenen
Rabauken in die Reaktion des deutsch-liberalen Neuen
Wiener Tagblatts des jüdischen Herausgebers Moriz Szeps
(1835-1902) ein. Dies brachte dem Judenhasser eine viermonatige
Haftstrafe, den Verlust des Reichsrats-Mandats und
die Aberkennung des Adelstitels ein (S. 87-125, bes. S. 105ff.).
1890 gründete Anton Ohme die von Schönerer finanzierte
Zwettler Zeitung. Dieses beim Gesinnungsgenossen Ferdinand
Berger in Horn gedruckte Organ (Leitspruch: „Stolz
und treu – Steht die Schönererpartei“) erschien 1890-1908
vierzehntägig und war ein antiklerikales, antisemitisches
Hetzblatt. Wenn Ohme die Hauptstadt der ungarischen
Reichshälfte der Donaumonarchie als „Judapest“ bezeichnete,
war dies noch eine Harmlosigkeit (S. 13). Die Zwettler
Zeitung war auch Sprachrohr der von Schönerer initiierten
Los von Rom-Bewegung. Die von ihm gestiftete evangelische
Kirche in Zwettl (das „Los von Rom-Kirchlein“) ist bleibendes
Denkmal dieser Agitationen (S. 126-192). Ohmes Verehrung
seines Gönners zeigte sich auch in einem Schmuckblatt zur
Zwettler Zeitung, das Krumpöck schliesslich zum Coverbild
ihres Buches wählte (S. 127). Während Schönerers Inhaftierung
liess sich sein Gesinnungsgenosse Ernst Vergani (1848–
1915) als dessen Nachfolger feiern. Dieser „Treubruch“ führte
zum offenen Konflikt und zu heftigen Polemiken, die über
Ohmes Zwettler Zeitung und Verganis Deutsches Volksblatt
ausgetragen wurden (S. 193-214).
Im Zuge der Los von Rom-Bewegung erlangte der Rabauke
in den Jahren 1897-1901 noch einmal eine gewisse Führungsrolle
innerhalb des deutschradikalen Lagers, doch wurden
nach der Spaltung der Alldeutschen Bewegung die Reichsrats-
Wahlen 1907 zum Desaster. Mit dem politischen Scheitern
des „Führers“ war zwangsläufig der Niedergang des
Zwettler Vasallen verbunden. Doch sollte der um sechs Jahre
ältere Dienstherr den Söldling um ganze sechzehn Jahre
überleben. Der „völkische Vorzeigeturner“ verstarb 1908
unerwartet im Alter von nur sechzig Jahren (S. 215-230).
Die Autorin hat für ihren Protagonisten umfangreiches
historisches Quellenmaterial ausgewertet. Die Darstellung
gründet sich primär auf böhmische und österreichische Zeitungen,
bringt ausführliche wörtliche Zitate, vor allem aus
der Zwettler Zeitung. Eine Kurzbiographie der Autorin (S. 238)
und ein Verzeichnis der von ihr erschienen Bücher (S. 239)
ergänzen die anschauliche Dokumentation. Noch eine kleine
Berichtigung: Die Varusschlacht fand nicht „in der zweiten
Hälfte des 9. Jahrhunderts nach Chr.“ statt (S. 39), sondern
96 DAVID Nr. 132 | 2022
im Jahre 9 n. Chr. Dies tut aber dem Wert der Publikation
keinen Abbruch. Die Autorin hat uns in ihrem Buch verdienstvoller
Weise „einen radikalen Antisemiten der 2. Reihe“
nähergebracht.
Mag. Dr. Ilse Krumpöck (geb. 1952), langjährige Leiterin des kunsthistorischen
Referats im Heeresgeschichtlichen Museum Wien, ist
seit 2008 als freie Schriftstellerin tätig. Publikationen zum Themenkreis
Antisemitismus und Nationalsozialismus im Waldviertel, u. a.:
Hitlers Grossmutter (2011), Turnvater Jahns Erben im Waldviertel
(2020), Aurelius Polzer. Ein Wegbereiter des Nationalsozialismus
(2021). (http://www.ilsekrumpoeck.at/)