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Die Abraham-Abkommen Eine erste Bilanz

Florian Markl

Am 30. Januar 2022 erklangen in Abu Dhabi ungewohnte Töne: Beim ersten offiziellen Besuch eines israelischen Präsidenten in den Vereinigten Arabischen Emiraten (V.A.E.) wurde Jitzchak Herzog zu den Klängen der israelischen Nationalhymne feierlich empfangen. 
 

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Zeremonie anlässlich des ersten Linienflugs von Tel Aviv, Israel nach Manama, Bahrain, am 18. Oktober 2020. Foto: Matty Stern/U.S. Embassy Jerusalem. Quelle: U.S. Secretary of Treasury, SRIN Berkowitz lead joint Israeli-Am, Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:U.S. Secretary of Treasury, SRIN Berkowitz lead joint Israeli-Am (50502001362).jpg
Die Anreise per Flugzeug hatte den Präsidenten quer durch den Luftraum Saudi-Arabiens geführt – ein „wirklich bewegender Moment“, wie Jitzchak Herzog beim Blick aus dem Cockpit der Maschine bemerkte. Rund zwei Wochen später wiederholte sich Ähnliches in Bahrain, als mit Naftali Bennett zum ersten Mal ein israelischer Premierminister in dem kleinen Königreich begrüsst wurde. Auch hier wurde zur Feier des Anlasses die Hatikva gespielt. Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre es undenkbar gewesen, wie hier führenden Vertretern des Staates Israel der rote Teppich ausgerollt wird: Weder die Emirate noch Bahrain hatten Israel je anerkannt, beide unterhielten demzufolge keine offiziellen Beziehungen zum jüdischen Staat und hatten diesen jahrzehntelang boykottiert. Doch seit dem Abschluss der sogenannten Abraham-Abkommen (15.09.2020) geschehen historische Ereignisse wie die beschriebenen praktisch im Wochentakt.

Rund eineinhalb Jahre ist es her, dass in einer Zeremonie vor dem Weissen Haus in Washington Israel auf der einen und die Emirate beziehungsweise Bahrain auf der anderen Seite ihre Beziehungen zueinander normalisierten. Mit dem Sudan und Marokko haben zwei weitere arabische Staaten ihre Bereitschaft zu einer Normalisierung ihres Verhältnisses zu Israel bekundet. 

Seitdem ist viel geschehen. Anders als bei Ägypten und Jordanien, den einzigen beiden arabischen Ländern, die zuvor bereits Friedensverträge mit Israel unterzeichnet hatten, beschränken sich die Beziehungen zu Bahrain und insbesondere zu den V.A.E. nicht auf einen „kalten“ Frieden, sondern gedeihen bestens.

Da ist zum einen die zunehmende Kooperation in Sicherheitsfragen: Klarerweise war ein wichtiges Motiv für die 

Annäherung Israels und der beiden Golfstaaten die Bedrohung durch das iranische Regime. Die U.S.A. haben sich aus Sicht der Golfstaaten spätestens seit Präsident Barak Obama als unverlässlicher Partner erwiesen: Dieser liess zuerst Ägyptens Präsident Hosni Mubarak fallen und die Muslimbrüder die Macht übernehmen, dann ging er entgegen seiner eigenen Versprechen nicht gegen den syrischen Diktator Bashar al-Assad vor, als dieser Giftgas gegen die eigenen Bevölkerung einsetzte und vereinbarte schliesslich im Atomstreit mit dem iranischen Regime das sogenannte Wiener Abkommen, über das etliche arabische Staaten kaum weniger entsetzt waren als Israel.

Dass die Golfstaaten sich angesichts dieser Abkehr der U.S.A. vom Nahen Osten, die unter Donald Trump fortgesetzt wurde, um einen neuen starken Partner umsahen und dabei auf Israel stiessen – die bei Weitem stärkste und technologisch am meisten fortgeschrittene Macht der Region – war alles andere als überraschend. Insgeheim gab es im sicherheitspolitischen Bereich schon vor den Abraham-Abkommen Kooperationen mit Israel, jetzt werden diese offiziell und in noch grösserem Ausmass fortgeführt. Und auch arabische Länder, die ihre Beziehungen zum jüdischen Staat noch nicht normalisiert haben, nehmen Abschied von bisherigen Tabus. So fand im Februar ein von der U.S.-Navy organisiertes Grossmanöver statt, an dem die Marine-Streitkräfte aus einem Dutzend Ländern beteiligt waren, darunter Israel – und Saudi-Arabien. Vermehrte Raketen- und Drohnenangriffe auf die V.A.E. und Saudi-Arabien durch die vom Iran unterstützten Huthi-Milizen im Jemen unterstrichen in den vergangenen Wochen und Monaten die Wichtigkeit einer funktionierenden Raketenabwehr. Auch auf diesem Gebiet ist Israel ein Vorreiter.

Doch es wäre verkürzt, bei der Verbesserung der Beziehungen zwischen den Golfstaaten und Israel nur auf die Zusammenarbeit im militärischen Bereich zu blicken. Wenn etwa Kapital aus den Emiraten mit israelischer Innovationskraft kombiniert wird, tun sich Möglichkeiten auf, die sich momentan noch gar nicht richtig ermessen lassen. 

Noch im Jahr 2020 belief sich der bilaterale Handel zwischen den beiden Staaten auf Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 180 Millionen Dollar. Ein Jahr später überstieg dieser Wert bereits die Marke von einer Milliarde U.S.-Dollar, was auf enormes Wachstum im industriellen Sektor genauso zurückzuführen war wie auf den Servicesektor und den florierenden Tourismus. Ebenfalls 2020 wurde ein bilaterales Investitionsabkommen zwischen Israel und den Emiraten unterzeichnet, das historisch erste zwischen dem jüdischen und einem arabischen Staat. Und noch in diesem Jahr soll ein Freihandelsvertrag zwischen Israel und den Emiraten den Boom zusätzlich verstärken. Andere Länder wie Marokko, Bahrain oder auch der Sudan könnten ebenfalls bald neben den politischen auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel auf eine neue Grundlage stellen.

Keineswegs ausgeschlossen ist darüber hinaus, dass sich weitere Staaten dem mit den Abraham-Abkommen eingeschlagenen Normalisierungskurs gegenüber Israel anschliessen. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang nach Saudi-Arabien geblickt, das als Schwergewicht der arabischen Welt gewissermassen den Jackpot der israelisch-arabischen Annäherung darstellt. 

Es ist nur schwer vorstellbar, dass etwa die öffentliche Inszenierung der neuen Freundschaft von Bahrain und Israel ohne das Einverständnis, wenn nicht gar die Ermutigung durch Saudi-Arabien über die Bühne hätte gehen können – zu eng sind dafür die Beziehungen zum grossen Bruder Saudi-Arabien, dessen militärischer Intervention das bahrainische Königreich seinen Verbleib an der Macht zu verdanken hatte, als es 2011 darum ging, einen Aufstand von Teilen der schiitischen Mehrheitsbevölkerung Bahrains niederzuschlagen. 

Ein offenes Geheimnis ist, dass der starke Mann Saudi-Arabiens, Kronprinz Mohammed bin Salman, für eine Annäherung an Israel eintritt. Eine offizielle Normalisierung der israelisch-saudischen Beziehungen wird aber wohl zumindest noch so lange auf sich warten lassen, solange formell noch König Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud auf dem saudischen Königsthron sitzt. Der ist allerdings bereits 86 Jahre alt und krank – wenn er abtritt oder stirbt, könnten auch in der offiziellen Haltung Saudi-Arabiens gegenüber Israel neue Seiten aufgeschlagen werden.