Ausgabe

Bildersprache als Form der Erinnerung Heinz R. Böhme und sein Museum Kunst der verlorenen Generation

Kerstin Kellermann

Inhalt

Ein Bild von Felka Platek, der Ehefrau des Künstlers Felix Nussbaum – sie flohen vor den Nazis, leider erfolglos. Drei Teile der „Pogrom“- Serie von Horst Strempel. Adolf Frankls Bild „Selection“, es gehörte dem deutschen Bundespräsident. Im Salzburger Museum Kunst der Verlorenen Generation gibt es wahre Schätze zu sehen.

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Georg Heck: Flieder vor dem Fenster, 1929, Öl auf Leinwand, 80 x 44 cm. Foto: Florian Stürzenbaum © Georg Heck.
 

„Ich suche meistens nachts“, sagt Heinz R. Böhme mit spitzbübischem Lächeln. Er scheint seine Nächte im Internet zu verbringen, auf internationalen Versteigerungen und Auktionen von Bildern, um mitzubieten. Auf der Suche nach ganz speziellen Bildern, die in den Museen unterrepräsentiert sind. Nur im Wiener Oberen Belvedere gibt es (abgesehen vom Jüdischen Museum) einen kleinen Saal mit sehr unterschiedlichen Werken zum Thema Verfolgung und Vernichtung von Künstlerinnen, Künstlern und ihrer Kunst während des Nationalsozialismus. Die Bildersuche scheint eine Art Sammel-Sucht zu sein. Angefangen hat Heinz R. Böhme, durch seine Arbeit als Internist bedingt, mit Porträts: „Als Mediziner interessierten mich Gesichter, weil Gesichter viel über Krankheiten aussagen. Dann kaufte ich französische Landschaften, dann Münchner Maler – wie es sich gehört.“ Wieder dieses Lächeln. Jetzt aber hat er seine Leidenschaft gefunden: Professor Böhme vom Salzburger Museum Kunst der Verlorenen Generation interessiert sich für Malerinnen und Maler, die zwischen 1920 und 1945 arbeiteten, von den Nazis verfolgt wurden und eher unbekannt sind. „Keiner will sie haben“, resümiert er seine Erfahrungen. In einem Haus aus dem vierzehnten Jahrhundert in der Salzburger Sigmund-Haffner-Gasse zeigt er „meine Welt und meine Form der Interpretation und Weitergabe“. Das Museum wurde wie ein Wohnzimmer eingerichtet, „wir haben französische Möbel von 1834 und sogar Gardinen“. Die Fenster des Museums gehen auf den Markt hinaus, Kindergeschrei tönt herauf.

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Anna Krüger: Blick von der Städelschule im Winter, 1928/29, Öl auf Leinwand, 57,5 x 38,5 cm. Foto: Florian Stürzenbaum © Anna Krüger.

Städelschule im Winter
„Ich könnte eine eigene Ausstellung nur mit Max Beckmann-Schülern machen“, sagt Böhme bescheiden vor Anna Krügers Doppelporträt des berühmten Frankfurter Malers Max Beckmann und seiner Frau Quappi (um 1930, Öl auf Leinwand). Anna Krüger war älter als Beckmann und sehr angetan von ihrem Lehrer. So erstellte sie eines der wenigen bisher bekannten Doppelporträts überhaupt, die es von Quappi und Max gibt. Wunderschön gemalt ist auch das dunkelgrüne Haus, das im Schnee „sitzt“ (Blick vom Städel im Winter, um 1928/29). An der Ecke ist ein Teil des Städel Museums zu sehen. „Die Häuser auf der anderen Strassenseite stehen heute noch, hat mir ein Besucher erzählt“, ergänzt Böhme. Der Danziger Ottokar Gräbner war ebenfalls ein Meisterschüler Beckmanns. Er emigrierte wegen des Arbeitsverbotes durch die Nazis in den sowjetischen Teil Polens. Auf seinem Selbstporträt von 1951 hat der Maler gelbe Augenbrauen und an der gelben Wand seines Ateliers hängen abstrakte Bilder. Er schaut den Betrachter skeptisch an. Der ehemalige Maschinenschlosser Theo Garvé war einer der ersten Meisterschüler Beckmanns. Seine Arbeiten wurden als „Verfallskunst“ und „Erzeugnisse geisteskranker oder schwachsinniger Kinder“ diffamiert. Garvé besuchte Beckmann im Amsterdamer Exil und baute nach 1945 das Städel Museum wieder auf, auch als späterer Leiter der Abendschule.

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Julie Wolfthorn: Dunkelhaarige Dame im Lehnstuhl o. D., Öl auf Leinwand, 67 x 83 cm. Foto: Hubert Auer.
 

Menschliche Verschränkungen
Böhme, Sohn einer Wiener Mutter und eines sächsischen Vaters, findet ungewöhnliche Verbindungen zwischen Malerin und Modell spannend. So schuf zum Beispiel Ottilie Johanna Wollmann die Skulptur Dynamischer Tanz (um 1925) der Tänzerin Gret Palucca. Wollmann wurde 1944 in Auschwitz ermordet, Palucca hingegen tanzte unter den Nazis weiter. In diesem Zusammenhang berichtet er von einem Kinderarzt, der in seiner Laufbahn vielen Kindern half, auf die Welt zu kommen. So auch einem Jungen, der später zu einer SA-Standarte ging. Der SA-Junge informierte im Juni 1938 seinen Arzt über die bevorstehende Deportation am nächsten Tag. Der jüdische Kinderarzt nahm sich daraufhin das Leben. „1933 bis 1944 verschwanden tausende von Menschen über Nacht spurlos, niemand suchte nach ihnen“, hatte der Sammler auf der Tagung Visualisierung des Exils im Salzburger Museum der Moderne gesagt, „die Existenz dieser Menschen wurde auf wenige Vokabeln reduziert“. 
Professor Böhme startete einen Aufruf: „Tretet vor meine Bilder und lasst sie weiterreden [ein Zitat von Adolf de Haer, 1937, Anm. d. Verf.]. Wir müssen lernen, die Bilder zu hören. Lasst die Bilder sprechen, um diese Tragödie nicht vergessen zu lassen!“ 

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Federico Kromka: Stillleben mit geometrischen Formen, 1917, Öl auf Leinwand, 45 x 53 cm. Foto: Hubert Auer.
 

Professor Böhme besitzt bisher um die fünfhundert Bilder, die er in Wechselausstellungen zeigt und die auch verliehen werden. Er warnt eindringlich: „Es eilt, neue Formen der Erinnerung zu finden. Es ist nicht neu, dass Fragen dazu gestellt werden. Warum gibt es keine Antworten?“

Ausstellung: „Apropos Frauen. Schicksale aus der Sammlung Böhme“ im Museum Kunst der Verlorenen Generation, bis Ende April 2022 https://verlorene-generation.com/museum/

Alle Abbildungen: Museum Kunst der verlorenen Generation, mit freundlicher Genehmigung.