Wer war André Heller? So betitelte Heller weiland 1972 sein filmisches Selbstportrait, seinen Nachruf zu Lebzeiten. Ein knabenhaftes Genie ist von uns gegangen, betrauert und bewundert von seinen Jüngern und Jüngerinnen.
André Heller, 2022. Foto: Suzy Stöckl, mit freundlicher Genehmigung Büro André Heller GmbH.
Der Streifen begründete den gewünschten Ruf als enfant terrible, die bis heute vorgebrachte Kritik sprach schon damals von der Selbstverliebtheit André Hellers, der Regisseur Hans Jürgen Syberberg nennt ihn gar einen „verzweifelten Narziss“. Andere wieder meinten, seine angebliche Progressivität wäre nur eines der vielen Mäntelchen, die er sich um und nach dem Wind zu hängen pflegte, seine bemüht sozialkritischen Anspielungen nehme man ihm erst ab, wenn er seine Mitmenschen für mehr als Komparsen einer permanenten André Heller-Show ansähe.
Es dauerte nicht lange, bis Millionen solcher Komparsen bewundernd seinen quer durch Europa gezeigten Zirkusvariationen und Feuerspektakeln folgten; etwas missgünstig bezeichnet der einstige SS-Junge und spätere Nobelpreisträger Günter Grass das Berliner Feuerwerk als „Neuauflage des Nürnberger Reichsparteitags“.
Hellers Jünger nennen ihn beim ersten Vornamen, rufen ihn also „Franzi“, sie selber bezeichnen sich als Franziskaner und Franziskanerinnen, sehen im nicht allzu stimmgewaltigen Universalkünstler einen österreichischen Bob Dylan; die ältere Generation meint, in ihm einen Nachfahren Peter Altenbergs und Max Reinhardts zu haben. Mit dem legendären Impresario teilt er auch die Liebe zu Landsitzen und Schlossparks.
Heller, Spross einer böhmisch-jüdischen Industriellenfamilie, hätte dem Wunsch seines monarchistischen, Mussolini verehrenden Vaters nach eigentlich Kardinal werden sollen. Seine Vorliebe für priesterliche Gewänder mag darin ihre Wurzeln haben.
Heller braucht keine Paparazzi, er ist selbst sein bester. Seien es die Geschichte seiner jahrhundertalten Mutter, die Geburt seines Sohnes, seine Liebschaften: Alles wird beworben und inszeniert, seine Wohnsitze in Gardone genauso wie in Marrakesch, seine Gärten sind weniger Refugium als Spektakel, Dickichte aus moderner Kunst, Roy Liechtenstein, Keith Haring, Gartenriesen, umspült von Wasserdampf und Dschungelgehölzen – und immer wieder: Hellers Hände als Blumenrabatte.
Hellers Oeuvre umfasst neben dem bereits Genannten auch noch Dokumentarfilme, etwa zu Hitlers Sekretärin Traudl Junge oder zu Jessye Norman. Der Verhandlungs- und Verwandlungskünstler gestaltete das Kulturprogramm rund um die Fussball-WM 2006 in Deutschland unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“, er tritt als Mäzen auf, hat erst vor kurzem das bedrohte Wiener Urania Puppentheater („Kasperl & Pezi“) erworben, Künstler unterstützt, oder einfach die Herausgabe von Schallplatten gefördert, wie die des jiddisch singenden Duos Geduldig und Thimann.
Hellers Kunst berieselt nicht, oder, wie es sein Freund Hans Magnus Enzensberger nannte:
Die Grenzen des guten Geschmackes zu respektieren, fällt ihm, wie allen Träumern, nicht ein.
Thomas Bernhard: Hab & Gut
Das Refugium des Dichters
Herausgegeben von André Heller
Fotografiert von Hertha Hurnaus
Wien, Brandstätter Verlag 2022,
176 Seiten, Hardcover, Euro 35,00.-
ISBN 978-3-7106-0310-5
Nach der Lektüre dieses Buches wird es selbst den schärfsten unter Thomas Bernhards Kritikern schwerfallen, ihn als Nestbeschmutzer zu beschimpfen. In dem sehr sorgfältig besorgten Band werden die drei Landsitze Bernhards vorgestellt, alles altes Gemäuer, Bauernhöfe, vorbildlich restauriert, bürgerlich eingerichtet – es sind Theaterkulissen. Alles findet sich hier: das Gewehr des Jägers gleich beim Eingang genauso wie die Reitstiefel (ohne dass Bernhard je Jäger oder Reiter gewesen wäre), die Biedermeierkästen sind voll mit feinen englischen Stoffen, schwerer Lodenbekleidung, Trachtenjacken und -hosen, Kappen und Hüten für alle Lebenslagen. In jedem Haus findet man das in verschiedenen Inszenierungen vor, es sind gekonnte Bernhardsche Täuschungen, als ob er ein Landadeliger gewesen wäre, als ob er ein Massschuh-Fetischist gewesen wäre, als ob in den unzähligen Zimmern des mächtigen Ohlsdorfer Vierkanthofes Gäste empfangen worden wären.