Ich bin preussische Staatsangehörige und Jüdin«, schrieb Teresia Benedicta einst in ihrem Lebenslauf.
Edith Stein wurde am 12. Oktober 1891 zu Breslau in Schlesien (heute Wrocław, Polen) als elftes Kind und jüngste Tochter in eine schlesische, orthodox-jüdische Familie hineingeboren. Die Eltern entstammten alten jüdischen Kaufmannsfamilien. Ihr Vater, der Holzhändler Siegfried Stein, stammte aus Gleiwitz (heute Gliwice, Polen), die Mutter Auguste Stein geb. Courant aus Lublinitz (heute Lubliniec, Polen). Schon 1893, in ihrem zweiten Lebensjahr, verlor Edith ihren Vater. Die früh verwitwete, jedoch energische und geschäftstüchtige Auguste konnte den verschuldeten Holzhandel ihres Mannes zu einer angesehenen Firma hochbringen und allen Kindern eine solide Ausbildung ermöglichen. Während die Mutter tief im Judentum verwurzelt blieb, lösten sich ihre Kinder weitgehend von der alten Glaubenspraxis. Besonders Edith entwickelte in der Pubertät einen kritischen Zugang zu den religiösen Traditionen ihres Elternhauses, verstand sich zeitweilig sogar als Atheistin. Sie selbst erklärte später, sie habe als Halbwüchsige das Beten ganz bewusst und freiwillig aufgegeben, ihre jüdische Abstammung aber niemals verleugnet. Edith hatte zu ihrer Mutter ein tiefes Vertrauensverhältnis, das auch durch deren Klagen über die religiöse Abtrünnigkeit der Tochter nicht zerstört werden konnte. Auguste rang bis an ihr Lebensende (1936) um den Glauben ihrer gelehrten Tochter. Die Hoffnung, diese wieder zum mosaischen Glauben zurückzuführen, erfüllte sich allerdings nicht.
Dr. Edith Stein (1891 – 1942), Teresia Benedicta a Cruce OCD, “Passbild”, 1938/39. Karmel Archiv, Köln. Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Edith_Stein.
Edith Stein als Studentin in Breslau, ca. 1913/1917. Monasterio Santa Teresa de Jesús, Buenos Aires. Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Edith_Stein-Student_at_Breslau_(1913-1914).jpg?uselang=de
Erziehung, Ausbildung und Studium
Die begabte, aber ängstliche Schülerin besuchte die Städtische Oberschule für Mädchen in Breslau, weilte 1906-1908 zur Aufrichtung ihrer Psyche in Hamburg bei ihrer Schwester Else Gordon geb. Stein (1874 Gleiwitz, Schlesien – 1954 Bogotá, Kolumbien) und legte 1911 ein sehr gutes Abitur ab. 1911 bis 1913 belegte sie an ihrer Heimatuniversität die Fächer Germanistik, Geschichte und Psychologie. 1913 begann sie in Göttingen das Studium der Philosophie und wurde dort Schülerin von Edmund Husserl (1859 – 1938), einem der einflussreichsten Denker des frühen 20. Jahrhunderts und Begründer der phänomenologischen Methode in der Philosophie. 1915 bestand sie ihr Staatsexamen in philosophischer Propädeutik, Geschichte und Germanistik mit ausgezeichnetem Erfolg und diente als Rotkreuzhelferin in der Seuchenabteilung eines Kriegslazaretts zu Mährisch-Weisskirchen (heute Hranice, Tschechien). 1916 folgte sie Edmund Husserl als Assistentin an die Universität Freiburg im Breisgau, bestand ihr Rigorosum „summa cum laude“ und wurde 1917 zum Dr. phil. promoviert. Bei Kriegsende 1918 kehrte sie nach Breslau zurück. Dort trat die um Frauenrechte bemühte Intellektuelle der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei bei und war einige Zeit intensiv politisch tätig.
Wissenschaftliches Schaffen und Verweigerung einer Universitätsdozentur
Von 1918 bis 1932 wirkte Edith Stein als Lehrerin in Breslau und Speyer, sie hielt Vorträge zu pädagogischen Themen im In- und Ausland, insbesondere auch zur Frauenfortbildung. Zugleich arbeitete sie als freie Wissenschaftlerin und versuchte wiederholt, sich an deutschen Universitäten zu habilitieren. Vergeblich wandte sie sich dabei auch an ihren früheren Mitassistenten, den namhaften Ontologen und engagierten Nationalsozialisten Martin Heidegger (1889 – 1976). Ihr Scheitern lag primär am herrschenden Bild der Geschlechterrollen. 1932 nahm sie eine Dozentenstelle am ausseruniversitären Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik zu Münster in Westfalen an, doch schon 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, wurde ihr die Lehrtätigkeit wegen ihrer jüdischen Abstammung untersagt. In der Folge beschäftigte sie sich intensiv mit katholischer Ordensmystik, insbesondere mit den Lehren der beiden spanischen Mystiker Teresa von Ávila (1515–1582) und Juan de la Cruz (1552–1591). Es ist hier nicht der Ort, Edith Steins wissenschaftliches Oeuvre auszubreiten, lediglich einige Werke seien angeführt: Ihre Dissertation Das Einfühlungsproblem in seiner historischen Entwicklung und in phänomenologischer Betrachtung (1917), die erste Habilitationsschrift Psychische Kausalität (1919), ein bahnbrechender Essay Husserls Phänomenologie und phänomenologische Forschung (1929), schliesslich ihr Hauptwerk Potenz und Akt. Studien zu einer Philosophie des Seins (1931), überarbeitet als Endliches und ewiges Sein (1937), wo-rin sie das ontologische Denken von Thomas von Aquin (1225 – 1274), Edmund Husserl und Martin Heidegger reflektiert.
Judentum und Christentum, Taufe und Eintritt in den Karmeliterorden
Persönliche Erfahrungen mit konvertierten Juden bewirkten bei der Gelehrten ab 1917 eine Hinwendung zum Christentum. Ausschlaggebend für ihren Eintritt in die römisch-katholische Kirche war jedoch 1921 die Lektüre der Autobiographie der Heiligen Teresa von Ávila, Enkelin eines sefardischen Juden. Bei ihrer Taufe am 1. Jänner 1922 in der St. Martinskirche zu Bergzabern (Pfalz) wählte sie sich die Namen Theresia Hedwig. Sie selbst hat ihre Konversion nirgends systematisch geschildert, aus ihren Schriften und Vorträgen gewinnt man jedoch den Eindruck, dass ihr erst als Christin die heilsgeschichtliche Bedeutung des Judentums in ihrer ganzen Fülle zu Bewusstsein kam. Sie war glücklich darüber, „Judenchristin“ zu sein, wie Martha und Maria Magdalena. So endeten die Jahre bitterer religiöser Orientierungslosigkeit. Zugleich erwachte in der freigiebigen und materiell anspruchslosen Intellektuellen das Verlangen nach einem Leben in der Ordensgemeinschaft der Heiligen Teresa. Doch erst am 14. Oktober 1933 erbat sie als Postulantin die Aufnahme in den Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen zu Köln-Lindenthal. Bei ihrer Einkleidung am 15. April 1934 erhielt sie den von ihr erbetenen Namen Teresia Benedicta a Cruce (Teresia Benedicta vom Kreuz, Die vom Kreuz gesegnete Teresia), ein klares Bekenntnis zur Lebens- und Glaubenswelt der Teresa von Ávila. Am 21. April 1935 legte sie die Zeitlichen Gelübde ab, am 21. April 1938 folgte ihre Ewige Profess. Im Herbst 1936 starb nach langem Leiden ihre Mutter. Danach erst liess sich auch Ediths Schwester Rosa Stein (1883 Lublinitz – 1942 Auschwitz) am 24. Dezember 1936 zu Köln-Hohenlind taufen. 1933 hatte Dr. Edith Stein mehrfach vergeblich versucht, Papst Pius XI. (1857 – 1939) zu einer Stellungnahme gegen den Antisemitismus und die Pogrome der NS-Diktatur zu bewegen. 1938 verriet die Priorin des Klosters die jüdische Abstammung der ihr anvertrauten Teresia Benedicta an die Nazis. Am 31. Dezember 1938 floh Edith nach Holland zu den Karmelitinnen in Echt (Provinz Limburg). Zu ihrer Freude durfte Rosa als Laienschwester den Dienst an der Klosterpforte versehen. Einem Teil der Familie Stein gelang 1939 die Flucht in die U.S.A., nach Norwegen und Kolumbien.
„Registrierung“ in Maastricht, Ermordung in Auschwitz
Nach der Okkupation der Niederlande durch NS-Deutschland im Mai 1940 waren Teresia Benedicta und Rosa im Kloster praktisch interniert. Sie liessen sich im guten Glauben als emigrationswillige Jüdinnen bei der Gestapo in Maastricht „registrieren“. Als Vergeltung für einen mutigen, kritischen Hirtenbrief der holländischen Bischöfe gegen die NS-Besatzer liess man in allen holländischen Ordenshäusern die Nichtarier festnehmen. Als die beiden Schwestern am 2. August 1942 verhaftet wurden, nahm Benedicta Rosa an der Hand und sagte:
„Komm, wir gehen für unser Volk!“ Es gibt bewegende Zeugnisse darüber, wie Sr. Benedicta niedergeschlagenen Leidensgefährt*innen im Sammellager Westerbork und auf dem Transport Mut zusprach. Die Fahrt ging nach Auschwitz-Birkenau. Dort wurden Edith und Rosa mit anderen jüdischen Ordensschwestern und Mitbürgerinnen aus Holland am 9. August 1942 durch Giftgas ermordet.
Heiligsprechung einer Jüdin
Am 1. Mai 1987 wurde Edith Stein von Papst Johannes Paul II. (1920 – 2005) in Köln seliggesprochen. Zuvor hatte der Papst wegen ihres Martyriums den beschleunigten Prozess empfohlen. Am 11. Oktober 1998 wurde Edith Stein von Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in Rom heiliggesprochen und zur Patronin Europas erhoben. Sie ist die erste katholische Heilige, die als Jüdin geboren wurde. Zur Kanonisierung der „jüdischen Märtyrerin“ gab es auch skeptische Stimmen, viele aber verstanden ihre Heiligsprechung als bewusstes Zeichen der Versöhnung zwischen Christen und Juden. Heute bemühen sich kirchliche und wissenschaftliche Institutionen in Deutschland, Polen, den Niederlanden und den U.S.A. um das geistig-geistliche Erbe der Heiligen Teresia Benedicta. Abgesehen von den zahlreichen Gedenktafeln sind viele Strassen, Gebäude und Institutionen in den genannten Ländern nach ihr benannt. In Köln, Freiburg und Wrocław (dt. Breslau) wurden für sie als Opfer des Nationalsozialismus mehrere Stolpersteine verlegt.
Quellen- und Literaturhinweise (Auswahl):
Die Literatur von und über Edith Stein ist schier unübersehbar. Hier nur einige wenige Angaben, ein ausführliches, laufend aktualisiertes Literaturverzeichnis findet sich im BBKL:
Wolfdietrich von Kloeden: Stein, Edith (Sr. Teresia Benedicta a Cruce OCD). In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) Band XV (1999), Spalten 1318-1340
Maria Amata Neyer: Heilige Schwester Teresia Benedicta a Cruce (Dr. Edith Stein). In: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, 7., überarbeitete und aktualisierte Auflage. 2 Bde. Paderborn: 2019, S. 1078–1083 (Edith Stein), S. 414–418 (Rosa Stein).
Helmut Moll: Das bewegte Leben einer heiligen Schwester. In: The European (https//: theeuropean.de).
Edith Stein (Teresia Benedicta a Cruce). In: Karmel OCD
(https://www.karmelocd.de/geschichte-und-spiritualitaet/spiritualitaet/edith-stein.html).
Edith Stein. In: Ökumenisches Heiligenlexikon
(https://www.heiligenlexikon.de/BiographienE/Edith_Stein.html).
Edith Stein – Märtyrerin, Heilige, Patronin Europas. In:
(https://www.erzdioezese-wien.at/edith-stein-patronin-europas).
Heilige Edith Stein. In: (http://www.karmel.at/edith/index.htm).
Edith Stein. Zur Wahrheit berufen – vom Kreuz gesegnet. Ein Lebensbild von Kard. Dr. Friedrich Wetter. In: (http://www.karmel.at/edith/esg/wetter.htm).
Edith Stein. In: Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Stein).
Edyta Stein. In: Wikipedia. Wolna encyclopedia (https://pl.wikipedia.org/wiki/Edyta_Stein).
Rosa Stein. In: Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Stein).