Wiens Kabarettszene endete im Konzentrationslager. Fritz Grünbaum und Hermann Leopoldi haben noch versucht, mit dem letzten nach Prag gehenden Zug am 11. März 1938 zu entkommen, doch der tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš hatte schon die Grenze sperren lassen. Die tschechische Grenzpolizei schickte den ausschliesslich mit gefährdeten Personen überfüllten Zug nach Wien zurück, direkt in die Hände der Gestapo-Schergen.
Georg Kreisler in Ravensburg, 2009. Foto: Marcel 601, Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Georg_Kreisler.jpg?uselang=de.
Fritz Grünbaum und Hermann Leopoldi landeten im KZ Dachau, wo bereits Fritz Beda Löhner und Paul Morgan inhaftiert waren. Peter Hammerschlag, Louis Taufstein und Franz Eugen Klein folgten. Nur Leopoldi wurde – dank eines amerikanischen Affidavits – enthaftet. Die anderen wurden ermordet. Leopoldi kehrte 1947 aus den U.S.A. nach Wien zurück, schrieb sein berühmtes Couplet An der der schönen roten Donau („Nur statt arisch heissts jetzt towarisch/ Russenschand statt Rassenschand“), doch sein Publikum – das gab es nicht mehr.
Armin Berg war auch 1938 in die U.S.A. geflohen, schlug sich dort als Bleistiftverkäufer durch, trat gelegentlich in Exil-Kabaretts auf („Was ist ein Penthouse? Da haben sie das Dach unter die Fiss“). Schmerzlich waren die Rückkehrversuche, er spielte wieder sein Lied vom Überzieher, sein Couplet Ich glaub ich bin nicht ganz normal, aber die Zeiten waren vorüber, sein Publikum verschwunden. 1956 stirbt er in Wien: „Der letzte Vollmond eines untergegangenen Planetensystems ist erloschen“, schreibt Friedrich Torberg im Nachruf.
Stella Kadmon schaffte es nach Palästina, kehrte nach Wien zurück, leitete wieder die Bühne namens „Lieber Augustin“ und später das „Theater der Courage“.
Karl Farkas war wieder in Wien und hatte nun (statt Fritz Grünbaum) Ernst Waldbrunn als Partner bei seinen Doppelconférencen.
Als 16-Jährige flohen der Pianist Georg Kreisler nach Kalifornien und der gleichaltrige Gerhard Bronner nach Palästina. Sie waren mit Helmuth Qualtinger und Carl Merz die prägenden Figuren des Nachkriegskabaretts. Anlässlich des 100. Geburtstages von Kreisler und Bronner hier die Geschichte ihres Überlebens: zwei Porträts.
Georg Kreisler (18.7.1922–22.11.2011)
Aufgewachsen in Wien-Neubau als Sohn des Rechtsanwalts Siegfried Kreisler (1884–1970) und der Hilde née Steiner (1895–1942), galt er als musikalisches Wunderkind. 1938, so sagte er später, „musste er Jude üben, statt Klavier“.
Die Familie flieht nach Kalifornien, Georg wird U.S.-Staatsbürger (eine Staatsbürgerschaft, die er auch zeitlebens behielt) und macht eine militärische Ausbildung bei den Ritchie Boys – so wie Marcel Prawy und Eric Pleskow.
1945 kamen sie nach Deutschland, um den Feind zu verhören:
„Kaltenbrunner hat wie ein Verbrecher ausgeschaut und er war ja auch einer. Streicher hingegen war verrückt. Der konnte nicht einmal auf Anhieb seinen Namen sagen. Ich fragte: „Wo haben Sie gewohnt?“ Lange Pause. Dann: „Nürnberg“. Beim Beruf hat er wieder lange nachgedacht, und dann hat er gesagt: „Volksschullehrer.“ Göring hingegen war immer leutselig. Immer gesprochen hat er, laut gesprochen: „Ja, das hier ist jetzt vorübergehend, und dann gehen wir gemeinsam mit euch Amerikanern gegen die Russen vor. Es waren hilflose, alte Männer, denen die Hosen rutschten, weil sie keine Gürtel hatten.“ (Mit denen hätten sie sich ja aufhängen können).
Kreisler kehrt wieder nach Kalifornien zurück, arbeitet in Hollywood mit Charlie Chaplin, zieht dann nach New York und lernt das Handwerk des Show-Business. 1955 sondiert er die Lage in Wien, tritt in der legendären Marietta-Bar unter der Leitung von Gerhard Bronner auf, mit dem er sich bald entzweit und entscheidet sich, so wie Helmut Qualtinger, fürs Einzelgängertum.
Mit seinem Galgenhumor, seinen bissigen, zeitkritischen Liedern, seinen Nichtarischen Arien wird er vor allem in Deutschland gehört. Stücke wie der Opernboogie sind eigentlich schon kurze Libretti, stets von Kreisler rezitierend am Klavier unnachahmlich meisterhaft aufgeführt. Seine Leidenschaft galt der Oper und dem Musiktheater – das Kabarett war für ihn ein Brotberuf, so, wie sich Schriftsteller als Kellner verdingen müssen.
Kreisler, der lange in Basel am Dreiländereck gelebt hatte, verbrachte seine letzten Jahre in der Grenzstadt Salzburg, nicht gerade für ihren weltoffen-liberalen Geist gerühmt. Fast die gesamte Auflage seiner Autobiographie Die alten bösen Lieder wurde, angeblich durch einen Wasserschaden, beim Verlag Ueberreuter vernichtet (Kreisler sah darin den im Buch heftig kritisierten Gerhard Bronner im Spiel), seine letzte Autobiographie Letzte Lieder kreist um das Thema hohe Kunst und Heimatlosigkeit.
Gerhard Bronner (23.10.1922–19.1.2007)
Gerhard Bronner stammt aus dem böhmischen Arbeiterbezirk Favoriten. Seine älteren Brüder waren aktive Sozialdemokraten und Schutzbündler, befreundet mit Bruno Kreisky. Emil, der Älteste, wird 22-jährig im österreichischen Bürgerkrieg getötet, Oskar wird 1938 gemeinsam mit dem Vater Jakob nach Dachau deportiert. Oskar wird ermordet, der Vater freigelassen, um dann mit seiner Frau nach Maly Trostinec deportiert zu werden.
Gerhard versucht, das Land legal zu verlassen, braucht dafür einen Pass, den man allerdings nur gegen die bekannte Steuerunbedenklichkeitsbescheinigung bekommt. Also stellte er sich zwei Tage und zwei Nächte beim Finanzamt an. Der zuständige Referent eröffnete ihm:
„Alsdann, was willst? Bitte, ich brauche einen Steuerunbedenklichkeitsnachweis, damit ich um einen Pass einreichen kann. Ja, bist Du denn schon steuerpflichtig? Nein, ich bin erst 15 Jahre alt. Dann muss halt Dein Vater um den Nachweis ansuchen. Bitte, das geht nicht. Warum soll das nicht gehen? Weil mein Vater im KZ Dachau ist. Ja, da musst eben warten, bis er wieder raus kommt. Bitte, wovon soll ich bis dahin leben? Es hat Dir kein Mensch geschafft, dass Du leben sollst – der Nächste!“
Gerhard bleibt nichts anderes, als im Mai 1938 über die Grüne Grenze nach Brünn zu flüchten, er schlägt sich als Sänger durch, bis er eines Tages festgenommen wird und ins Deutsche Reich abgeschoben werden soll. Ein tschechischer Gendarm eröffnete ihm kurz vor der Grenze:
„Wenn Du diesen Weg jetzt weiter gehst, kommst Du nach einer Weile zu dem, was früher Österreich war. Aber ich an Deiner Stelle würde heutzutage dort nicht hingehen“,
sprachs, und verschwand.
Bronner kehrt nach Brünn zurück, ändert seine Identität auf Harry Braun, besucht zionistische Veranstaltungen, wo man Fluchtrouten nach Palästina in Erfahrung bringen kann. Mit einem anderen Wiener, Michel Feldmann, schlägt er sich bis zur bulgarischen Seite des Donau-Deltas durch, bis nach Rustschuk (Ruse), der Geburtsstadt Elias Canettis. Doch um das Schiff nach Palästina nehmen zu können, müssen sie auf die rumänische Seite, nach Constanța, und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Donau im Herbst zu durchschwimmen. Michel wird von einem Strudel auf den Grund gezogen, Gerhard überlebt und besteigt das Schiff nach Haifa.
Aus dem Orangenpflücker im Kibbuz wird bald der Kapellmeister einer Band mit vierundzwanzig Mitgliedern. Seine Frau Alisa Kreutzer will ihr Söhnchen Oscar ihren aus Shanghai nach Wien zurückgekehrten Eltern zeigen, Gerhard erhält ein Engagement in London, und auf der Durchreise sollte die junge Familie in Wien Halt machen – der Rest ist Geschichte.
Grabmal von Gerhard Bronner, Zentralfriedhof, Tor I, Alte jüdische Abteilung, Ehrenreihe. Foto: Haeferl, Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wiener_Zentralfriedhof_-_Gruppe_6_-_Grab_von_Gerhard_Bronner.jpg?uselang=de.
Nachlese/Zitate:
Georg Kreisler, Letzte Lieder, Arche Verlag Zürich-Hamburg 2009.
Gerhard Bronner, Spiegel vorm Gesicht. Erinnerungen. DVA, München 2004.