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Demokratische und humane Werte einer Gesellschaft leben und verteidigen Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser im Interview

Christoph Tepperberg

Inhalt

DAVID: 2020 feierte Kärnten das Jubiläum „100 Jahre Volksabstimmung“. Wie würden Sie die Eigenheiten Kärntens charakterisieren? Welche speziellen Herausforderungen und Probleme gibt es in Kärnten; in welcher Weise trägt ihnen die Landespolitik Rechnung? 
Dr. Kaiser: Das Jubiläum 100 Jahre Kärntner Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 und die damit verbundenen Feierlichkeiten und Aktivitäten haben bis weit über die Grenzen unseres Bundeslandes hinaus deutlich gemacht, dass Kärnten sich insgesamt sehr positiv weiterentwickelt hat. Zwei- und Mehrsprachigkeit werden mittlerweile nicht mehr als Bedrohung, sondern als Bereicherung gesehen. Kärnten lebt das Motto der EU, „In Vielfalt geeint“. In den letzten Jahren, insbesondere seit 2013, ist es uns gelungen, politische Altlasten aus der Vergangenheit abzubauen, wie zum Beispiel die Befreiung unseres Bundeslandes aus der Hypo-Heta-Haftungs-Zwangsjacke. Wir haben Kärnten geöffnet und viele Weichenstellungen für eine enkelverantwortliche Zukunft vorgenommen, seien es unsere auch international ausgezeichneten Bemühungen und Initiativen, um Kärnten zur kinder- und familienfreundlichsten Region in Europa zu machen, oder die zahlreichen strategischen Partnerschaften, mit denen sich unser Bundesland vom reinen Tourismusland hin zu einem vielbeachteten und begehrten Hochtechnologie-Standort mit umfassender Lebensqualität weiterentwickelt. Es ist uns auch gelungen, in gemeinsamen Kraftanstrengungen mit den Verantwortlichen aus den Bereichen Wirtschaft und Industrie sowie den Sozialpartnern die Anzahl an Beschäftigten weit über das Vorkrisen-Niveau zu heben. Mit all den Massnahmen wollen wir auch den grossen Herausforderungen, die sich aus der demografischen Entwicklung ergeben, effektiv begegnen.

DAVID: In Ihrer Antrittsrede haben Sie als erster Kärntner Landeshauptmann auch einige Worte auf Slowenisch gesprochen. Welche Initiativen und Durchbrüche gibt es im Verhältnis der Kärntner Volksgruppen zueinander, etwa im Schulwesen, und wurde der „Ortstafelstreit“ inzwischen gelöst?
Dr. Kaiser: Die slowenische Volksgruppe wurde mittlerweile namentlich in der Kärntner Landesverfassung verankert. Viel zu lange wurde der Streit zwischen slowenischsprachigen und deutschsprachigen Landsleuten politisch instrumentalisiert und geschürt. Umso verständlicher ist die jetzt spürbare Erleichterung, nicht nur durch die Beendigung des Ortstafelstreites vor zehn Jahren, sondern durch die konsequente Annäherung und Vermittlung zwischen den Landsleuten in den letzten zehn Jahren. Ein signifikantes Indiz für diese erfolgreichen Bemühungen stellt das Jubiläumsjahr 2020 zur hundertsten Wiederkehr der Kärntner Volksabstimmung dar, welches in der Trias aus offiziellen Landesveranstaltungen, einem durch umfassende Partizipation entstandenen Kultur-, Wissenschaft- und Bildungsprogramm sowie der vielbesuchten Mobilen Ausstellung erfolgreich und mit grossem Selbstverständnis unter Beteiligung vieler slowenischer Vereine und Institutionen in beiden Sprachen des Landes ausgerichtet wurde. Dem neuen Landesmuseum (die Eröffnung findet im Herbst 2022 statt) kommt in dieser Hinsicht auch eine besondere Aufgabe in einer neuen und zeitgemässen Erzählung der Landesgeschichte zu.

DAVID: Hat diese Entspannung auch positive Auswirkungen hinsichtlich Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit?
Dr. Kaiser: Davon bin ich überzeugt. Es hat auch in Kärnten lange, zu lange gedauert, bis sich im Rahmen einer sich neu etablierenden Gedenkkultur auch bei uns das Bewusstsein und das Eingeständnis einer Mittäterschaft am dunkelsten Kapitel unserer österreichischen Geschichte eingestellt und verfestigt hat. Ein Indiz für diese Weiterentwicklung und Öffnung zeigt sich in der Realisierung der 1,6 Milliarden-Rekord-Investition von Infineon am Standort Villach. Als ein ausschlaggebender Faktor, neben den hervorragenden Mitarbeiter*innen und den Bemühungen seitens der Landespolitik, die notwendigen Massnahmen für die Realisierung mit grösstmöglicher Effizienz und geringstmöglichem bürokratischen Hemmnis umzusetzen, wurde mir gegenüber von einem Vorstand die „bei Euch in Kärnten im Vergleich zu anderen Regionen gering ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit“ genannt.

DAVID: Wie beurteilen Sie die „Ulrichsberg-Treffen“, das „Kroatische Totengedenken“ auf dem Loibacher Feld bei Bleiburg und die Aktivitäten des „Bleiburger Ehrenzuges“?
Dr. Kaiser: Klar ist – und das habe ich auch in meiner Regierungserklärung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: In Kärnten ist kein Platz für wie auch immer gearteten Extremismus und/oder Geschichtsklitterung. Gemeinsam mit der katholischen Kirche in Kärnten und zahlreichen Organisationen haben wir eine klare Haltung in dieser Frage eingenommen und jedwede Form von Vereinnahmung und Demonstration antidemokratischer bis hin zu neofaschistischen Auftritten ausgeschlossen und auch die Bundesregierung diesbezüglich um eine gleichfalls eindeutige Position ersucht. Im Rahmen des Jubliläumsjahres 2020 wurden diese Problemstellungen der Stadt Bleiburg/Pliberk im Rahmen eines wissenschaftlich aufbereiteten Dialogprojekts beziehungsweise Symposions ausgeleuchtet und bearbeitet.

DAVID: In Klagenfurt, Villach, Wolfsberg, Friesach und anderen Orten gab es bis zur NS-Zeit Judengemeinden, zum Teil schon seit dem Mittelalter. Wo und inwiefern gibt es heute wieder ein jüdisches Leben in Kärnten?
Dr. Kaiser: Es ist leider eine traurige Gewissheit, dass die verbrecherische Politik der nationalsozialistischen Diktatur und deren menschenverachtende Verfolgung das jüdische Leben in Kärnten durch Enteignung, Deportation und Mord, abgesehen von vereinzelten Mitbürger*innen jüdischen Glaubens im Kärnten von heute, ausgelöscht hat, es gibt leider keine jüdische Gemeinde mehr in Kärnten. Aber es gibt höchst verdienstvolle Persönlichkeiten im Lande, die sich intensiv und seit vielen Jahren um die Erinnerung an jüdisches Leben in Kärnten bemühen. Im Jahre 2008 konnte etwa die Kärntner Kulturjournalistin Ilse Gerhardt vom Verein Memorial Kärnten Koroška mit dem Rabbiner von Triest und mit Glaubensangehörigen aus Kärnten, Ljubljana und Zagreb ein berührendes Kaddisch-Gebet organisieren.

DAVID: Wie gestaltet sich in Kärnten der interreligiöse Dia-  log, speziell mit der jüdischen Glaubensgemeinschaft, und wo setzt die Landespolitik hier ihre Schwerpunkte?
Dr. Kaiser: Der interreligiöse Dialog findet in Kärnten aufgrund der beschriebenen Situation insbesondere im Rahmen von auswärtigen Besuchen von Repräsentanten der jüdischen Glaubensgemeinschaft statt, wobei der Dialog des Landes mit der katholischen und evangelischen Kirche in Kärnten immer auch vom gemeinsamen Bemühen um das Gedenken an die der jüdischen Glaubensgemeinschaft und den jüdischen Mitbürger*innen widerfahrene Verfolgung und Vernichtung getragen ist. Hier denke ich insbesondere an das Gedenken des Novemberpogroms 1938, der zur Schändung und Zerstörung des 1905 errichteten jüdischen Bethauses in der Klagenfurter Platzgasse geführt hat. Hier wurde im Jahre 2015 eine Gedenkstätte auf Initiative des Klagenfurter Gedenk- und Erinnerungsbeirates unter Vorsitz von Peter Gstettner und der verdienstvollen Arbeit der verstorbenen Gemeinderätin Sieglinde Trannacher neu gestaltet, aber auch die Restaurierung des jüdischen Friedhofs und des Mahnmals auf dem Friedhof Annabichl ebenso wie die Verlegung von Stolpersteinen an Wohnsitzen von NS-Opfern gehörten zu diesem wichtigen Bemühen um Mahnung und Erinnerung.  Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit darf nicht im Vergangenen verharren, wie es die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch an der Gedenkstätte in der Platzgasse formuliert hat, sondern muss, ich darf hier anschliessen, vor allem auch zum Erkennen führen, in der Bereitschaft und im Bemühen die demokratischen und humanen Werte einer Gesellschaft zu leben und zu verteidigen.
DAVID: Welche Gedenkorte für die NS-Zeit, Judentum und Shoah gibt es aktuell in Kärnten? Gibt es Gedenk-
initiativen, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Dr. Kaiser: Jede Initiative und jeder Ort des Gedenkens sind wichtig und schaffen Bewusstsein für gesellschaftliche Werthaltungen und Teilhabe. Neben den Gedenkstätten in Klagenfurt möchte ich auf das Denkmal der Namen, eine Initiative des Vereins Erinnern-Villach verweisen. Hier offenbart sich symbolisch auch die Brüchigkeit eines gesellschaftlichen Gefüges in der Ausführung mit Glastafeln, zumal das Denkmal über zahlreiche Jahre hinweg Attacken und Zerstörungsversuchen ausgesetzt war. Mit der Errichtung im Jahr 1999 wurden 64 Namen von Opfern des Nationalsozialismus in diesem Buch der Namen eingetragen, nunmehr scheinen 250 Namen auf, dies bestätigt die Bedeutung der fortgesetzten Recherche- und Erinnerungsarbeit des Vereins um Hans Haider. 

In besonderer Weise und gleichermassen verdient gemacht haben sich Initiativen wie Memorial Kärnten/Koroška und das Mauthausen Komitee Kärnten/ Koroška, die sich einerseits als Plattform gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus verstehen und andererseits, im Fall des Mauthausen Komitees, um die Errichtung einer würdigen Gedenk- und Erinnerungsstätte für das Loibl KZ Nord engagieren. Auch vom Lavanttal, Stichwort „Lagerstadt Wolfsberg“, bis ins Gailtal, Erinnern Gailtal und ins Drautal, zum Beispiel mit der NS-Gedenkstätte in Greifenburg, bis zum Domplatz in Klagenfurt: Quer durch das Land gibt es wichtige und neu entstehende Initiativen, die seit einigen Jahren schon auch von einer Generation jüngerer und junger Wissenschaftler*innen engagiert umgesetzt werden.

DAVID: Die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt legt einen Schwerpunkt auf Migration, Mehrsprachigkeit, Identität und Alterität. In welcher Art unterstützt das Land Kärnten diese Forschungen? Spielen grenzübergreifende Kooperationen, etwa mit Slowenien und Italien eine Rolle?
Dr. Kaiser: Als Absolvent der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und als Soziologe sind mir die in der Frage erwähnten Themen besonders wichtig und es freut mich sehr, dass der Fokus der Universität in dieser Hinsicht entsprechende Akzentuierungen erfährt. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang die vieljährige und grossartige Arbeit des Universitätskulturzentrums im Raum Kärnten, Slowenien und Friaul. Erinnern möchte ich auch an die Alpen Adria Allianz, ein Netzwerk von elf Mitgliedsregionen mit dem Generalsekretariat in Klagenfurt, die mit zahlreichen Initiativen zu gemeinsamen Projekten äusserst positive Kooperationen und Zukunftsbilder umgesetzt und entwickelt hat.

DAVID: Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Haben Sie vielen Dank für das interessante Gespräch!

 

Zur Person: Dr. Peter Kaiser, geb. 1958 in Klagenfurt/Kärnten, Studium der Soziologie und Pädagogik an der Universität Klagenfurt (1993 Dr. phil.), 2010 Obmann der SPÖ Kärnten, 2013 Landeshauptmann von Kärnten.